Fernsicht vom Maulswurfshaufen

Zum 100. Todestag von Wilhelm Busch

Von Gudrun SchuryRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gudrun Schury

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch immer geistern viele Vor- und Fehlurteile über den zu Ehrenden herum. "Max und Moritz" nebst "Hans Huckebein" wird gleich assoziiert und auch der Antisemitismus. Dass bei ihm so grausam gestorben werde und er wohl selbst ein bisschen sadistisch gewesen sei, bekommt man zu hören, aber auch, dass alles bei ihm so lustig sei. Wer war dieser merkwürdige Typ, der kaum aus seinem Pfarrhaushalt herauskam?

Schon zu seinen Lebzeiten wusste man wenig über ihn. Was Wilhelm Busch in seinem Geburtsort, dem niedersächsischen Dorf Wiedensahl, schrieb und zeichnete, sah man erst, wenn es in den Buchläden lag. Den Künstler selbst bekam man selten zu Gesicht. Eigensinnig beharrte er auf seinen Themen und seiner Manier, ließ sich weder von der zeitgenössischen Dichtung noch Malerei beeinflussen. Wie wenig man ihn kannte, beweist der Nachruf in der Berliner "Woche" vom 18. Januar 1908, neun Tage nach Buschs Tod. Freilich attestierte man ihm dort, ein Klassiker zu sein, aber weder in der Schriftstellerei noch in der bildenden Kunst. Als Dichter habe er "zwar recht Hübsches, aber durchaus Unerhebliches geleistet, und von malerischen und zeichnerischen Versuchen" wisse man rein gar nichts. Diese "malerischen und zeichnerischen Versuche" bestehen aus rund 1.000 Gemälden und rund 2.000 Zeichnungen.

Wie Goethe schwankte er lang zwischen verschiedenen Talenten, wie Gottfried Keller konnte er sich kaum vom Selbstbild des klassischen Malers verabschieden. Dass der dreifache Akademie-Abbrecher Busch zeitlebens nur ein einziges Bild ausstellte, zeigt seine Selbsteinschätzung. Dabei können sich seine kleinformatigen Ölgemälde durchaus behaupten neben denen eines Max Liebermann oder Lovis Corinth, ja sogar neben denen des gleichaltrigen Edouard Manet. In seiner Spätzeit stieß Busch zu einem Expressionismus der Farbe vor, der ganz unvergleichlich ist. Mit den so genannten Rotjacken, ländlichen Figuren, die in der einsamen Landschaft als irritierend befremdlicher Farbfleck erscheinen, gelang ihm ein unverwechselbares Sujet. Seit ihn seine Antwerpener Wirtsleute während einer Typhus-Erkrankung gepflegt und ihm zum Abschied drei Orangen und eine warme rote Jacke geschenkt hatten, geisterten diese Rotjacken in seinen Bildern herum. Etwa 280 seiner 1.000 Gemälde enthalten rote Jacken! Wilhelm Busch: ein Vorläufer von Joseph Beuys mit seiner Filz-Fett-Obsession.

Den malenden Busch entdeckte man erst postum, den dichtenden im Grunde nie. Vorsichtig hatte er 1874 begonnen, ein Mischwesen aus Bildergeschichten, Karikaturen und Gedichten unter dem Titel "Dideldum!" zu veröffentlichen. Noch im gleichen Jahr erschien sein erster ganz grafikfreier Lyrikband: "Kritik des Herzens". Hier versuchte er, "möglichst schlicht und bummlig die Wahrheit zu sagen" über den menschlichen Charakter. Ähnlich wie Heinrich Heine beleuchtet Wilhelm Busch den Übergang von romantischer zu desillusionierter Stimmung, von Ideal zu Wirklichkeit, von Leidenschaft zu Butterbrot, von Liebesseufzer zu Tagesgerede. Das Herz mit all seinen Sehnsüchten und Irrtümern wird gehörig aufgespießt - "das rote Ding in meiner Brust" heißt es bei ihm in schönem Understatement. In seiner Lyriksammlung "Zu guter Letzt" von 1904 wird er das rote Ding dann so bedichten:

Schreckhaft

Nachdem er am Sonntagmorgen
Vor seinem Spiegel gestanden,
Verschwanden die letzten Sorgen
Und Zweifel, die noch vorhanden.

Er wurde so verwegen,
Daß er nicht länger schwankte.
Er schrieb ihr. Sie dagegen
Erwidert: Nein, sie dankte.

Der Schreck, den er da hatte,
Hätt ihn fast umgeschmissen,
Als hätt ihn eine Ratte
Plötzlich ins Herz gebissen.

Die damaligen Leser interessierte der Dichter Busch wenig. Ja, manche waren so sehr schockiert von der "Kritik des Herzens", dass sie das Buch am liebsten auf dem Index gesehen hätten. Das Publikum wollte keine Lyrik lesen, sondern über Missgeschicke lachen. Also blieb einer der populärsten Künstler seiner Zeit weiterhin unbekannt. Aber er wollte es auch gar nicht anders. Er verbarg sein Leben vor denen, die es nichts anging. Einer seiner guten Freunde schrieb über den 46-Jährigen: "Er ist schon mehrfach totgesagt worden, und man hat an seinen Tod geglaubt, weil man von seinem Leben so wenig weiß [...] von den deutschen Berühmtheiten gibt es wohl keine einzige, die mit ihrer Person so wenig an die Oberfläche getreten wäre wie der Verfasser von 'Max und Moritz'." Sämtliche an ihn gerichtete Briefe verbrannte Busch, desgleichen viele Bilder und die Skizzen zu seinen Bildergeschichten.

Die Reserviertheit des Wilhelm Busch - kein unsympathischer Zug in einer Zeit, in der man Nichtigkeitsberichten von Leuten ausgesetzt ist, deren einziger Beruf "Prominenz" ist. Und so muss man sich wohl doch an sein Werk halten, will man etwas erfahren über den Bewunderer Darwins, Schopenhauers und Bismarcks, den Freund Franz Lenbachs und Hermann Levis. Aber auch das Werk bleibt hinsichtlich seines Verfassers undurchsichtig, jedenfalls das humoristische. Die Figuren der Bildergeschichten bewegen sich in einem Ungefähr. Sie sind "Konturwesen" auf einem "Papiertheater", wie Busch das nannte. In ihre Umrisse schrieb der Zeichner alles ein, was ihm an spöttischer Kritik des Allzumenschlichen einfiel. Jede von ihnen ist Ausdruck des einzigen Glaubensbekenntnisses, das Busch je ablegte. Er war davon überzeugt, dass "wir nicht viel taugen von Jugend auf". Vielleicht sind seine Geschichten deshalb so komisch. Weil sie schonungslos darstellen, wie Alkohol, die Tücke des Objekts oder die eigene Überzeugung den Bürger lächerlich machen können. Weil sie Dinge verlebendigen, Tiere vermenschlichen und Menschen vertieren. Weil sie hunderterlei Quälmethoden und Todesarten ersinnen, nur um in der nächsten Bildergeschichte das Böse munter wiederauferstehen zu lassen.

Buschs Privatleben aber erfährt man nicht aus diesen Abenteuern, in denen so fröhlich gesündigt, gehauen und gestorben wird. Er hätte sich schön bedankt, wäre ihm auch nur ein einziger Streich gespielt worden. Er fühlte sich am wohlsten, wenn sein Leben ein geregeltes Gleichmaß aufwies. Er war seinen Neffen ein verständnisvoller Onkel, seinen Freunden ein guter Unterhalter, seinem Garten ein kompetenter Pfleger. Nur zwei Mal überschritt er die Alpen. Weder Rom noch Venedig konnten ihn beeindrucken, umso mehr hatten es ihm Amsterdam und Antwerpen angetan mit ihren großen Meistern der altniederländischen Malerei. Die studierte er immer wieder, eroberte sich das platte Land ringsumher mit Bleistift und Pinsel. Wenn er etwas Persönliches zu sagen hatte, so tat er das nicht mit diesen Instrumenten oder gar in den Holzstichen der Bildergeschichten, die sich zu Zehn-, ja Hunderttausenden verkauften. Dann griff er zum Gänsekiel, schrieb Briefe, Gedichte oder Prosa. Nur in seinen beiden Erzählungen, "Eduards Traum" und "Der Schmetterling", lässt er ein wenig heraus von seinem Innersten, das so sarkastisch und doch so sensibel war.

Da er nach heutigen Maßstäben Millionär geworden war mit seinen Büchern, konnte Wilhelm Busch es sich leisten, in Vorruhestand zu gehen. Mit 52 gab er das Bildergeschichten-Fabrizieren auf, mit 66 auch das Malen.

Welche Bilanz konnte er ziehen? Manches war nicht aus ihm geworden: Berufsmaler, Ehemann, Vater. Etwas war zufällig aus ihm geworden: der berühmteste Humorist. Und zu etwas hatte er sich in langen Jahren qualifiziert: zum scharfen Beobachter. Er, der sich nicht zum Draufgänger, Springinsfeld oder Hansdampf eignete, zog sich ins Reich der Ideen zurück. Dort pflegte er das, was er am besten konnte: Zusehen und kommentieren. Er nannte den Posten "Maulwurfshügel allerschärfster Betrachtung". Von dort oben beschaute er das Treiben ringsumher. "Und wär's nur ein Maulwurfshaufen - Fernsicht" notierte er auf einen Zettel.

Titelbild

Wilhelm Busch: Hundert Gedichte.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Gudrun Schury.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
185 Seiten, 12,50 EUR.
ISBN-13: 9783351032173

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Titelbild

Gudrun Schury: Ich wollt, ich wär ein Eskimo. Das Leben des Wilhelm Busch.
Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
412 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783351026530

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