Das erste Buch

Mit "Die Vorzüge der Windhühner" begann der Zeichner und Dichter Günter Grass seine Schriftstellerkarriere

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über die Entstehung seiner ersten Buchveröffentlichung "Die Vorzüge der Windhühner" berichtet Günter Grass in "Beim Häuten der Zwiebel": "Gedichte schrieb ich seit eh und je. Ich schrieb sie und verwarf sie. Nie hätte ich auf die Veröffentlichung all dessen gedrängt, was mir aus bloßem Schreibzwang unterlaufen war [...] Erst die in Berliner Luft entstandenen Gedichte waren ganz mein eigen, wollten gesprochen, gelesen, gedruckt werden. Und gleichfalls sind jene Federzeichnungen für jene englische Broschur, die unter dem Titel 'Die Vorzüge der Windhühner' mein erstes Buch werden sollte, kein illustrierendes Beiwerk, sondern als grafische Fortsetzung und Vorwegnahme der Gedichte zu sehen."

Der Luchterhand Verlag schließlich veröffentlichte den Gedichtband und im Rückblick, so Grass, "will es mir so vorkommen, als hätte ich, ohne zu suchen, etwas auf vorgegebener Doppelspur gefunden, das der mir eigenen Egozentrik und meinem inneren Gelächter gemäß war, weshalb dem Autor die Veröffentlichung seiner Gedichte und Zeichnungen auf unverschämte Weise ganz selbstverständlich zu sein schien".

Der Band erschien 1956. Er umfasste neben neun Zeichnungen 40 Gedichte und den Prosatext "Fünf Vögel". In der Abfolge und Anordnung der Texte sowie der Zeichnungen dieser ursprünglichen Ausgabe folgend, legt der Steidl Verlag nun eine Neuausgabe des Bandes vor. In einer editorischen Notiz wird vermerkt, dass bislang erschienene "unveränderte Nachdrucke" des Bandes sehr wohl verändert worden waren. Insofern liegt nunmehr erstmals wieder ein tatsächlich "unveränderter Nachdruck" vor. Das betrifft aber nicht das Format des Bandes. Es wurde ein größeres gewählt. Dieserart mit "zeitgemäßer Anmutung" versehen, ist der Band also kein museales Erinnerungsstück.

Trifft das auch für die Texte zu? Wer die Gedichte heute liest, weiß, dass der Literaturnobelpreisträger Günter Grass diese Auszeichnung nicht für seine Lyrik bekommen hat. Er wird wohl auch deshalb zunächtst die lyrischen Texte dieses Erstlings zu dem in Beziehung setzen wollen, was er ansonsten von Grass kennt. Der Autor selber gibt beim Häuten der Zwiebel hierzu Hinweise, indem er auf das Motiv des Glaszersingens in dem Gedicht "Schule der Tenöre" oder auf den zeitungsbehelmten Trommler aus der "Blechmusik" hinweist, der bald darauf auf den Buchdeckeln der Blechtrommel auftauchen sollte. Und sind nicht die Textzeilen "Kartoffelfeuer überm Horizont, / auch Männer halb im Rauch verwickelt" aus dem Gedicht "Polnische Fahne" Vorboten einer alsbald mit aller Prosakraft ausgemalten Szenerie, in der Unterröcke sinnlich-warme Zuflucht boten?

Das letztgenannte Gedicht zeichnet dann aber doch noch etwas mehr aus, als das, was spähender Neugier genüge täte. "Es könnte heute geschrieben sein", vermerkte zu diesem Gedicht Horst Bienek und deutet damit an, was den gesamten Band noch jetzt, über 50 Jahre nach seinem Erscheinen, auszeichnet: eine fröhlich-unerschrockene Zeitlosigkeit.

Zwar spürt man zuweilen ein ambitioniertes Bemühen, die Wörter, Sätze und Zeilen in Form zu bringen und anders als den Zeitgenossen der Erstausgabe mutet hierbei manch ehemaliges Experiment uns Heutigen weniger übermütig-kühn an, eher bekannt und bewährt.

Doch tritt das formal-ästhetische Bemühen in einen Konkurrenzkampf mit einer beeindruckenden Lust an Motiven, Bildern, Ausgangssituationen. Und die Lust gewinnt! Darin liegt die Kraft dieser Gedichte bis heute: in ihrer unbändigen Sprachfreude, ihrer Lebensfülle und - nicht zuletzt - ihres Realitätsbezugs. "Am Anfang steht immer ein Erlebnis" erläuterte Grass einmal seine "Gelegenheitsgedichte" jener Jahre. Aber dann "roch ich es und gestand mir ein: es liegt ein Gedicht, und wenn mich nicht alles täuscht, ein Vierzeiler in der Luft."

Vierzeiler gibt es wenige in diesem Band, aber das ironische Kokettieren mit der Gedichtemacherei ist ja selbst nur Ausdruck einer grotesk spielerischen Unmittelbarkeit, die Kennzeichen dieser Gedichte ist. Von einem "artistischen Spielbedürfnis" sprach ein früher Kritiker und meinte darin eine kunstgewerbliche Neigung aufzudecken. Das ist aus heutiger Sicht unzutreffend: Eben dieses Kriterium hat die Gedichte jung gehalten.

Die Zeichnungen ergänzen die Texte. Sie stehen in Beziehung zum Text, denen sie gegenübergestellt sind und erweitern auf diese Art die Wahrnehmung des Realitätsbezugs. Dabei ist die Hervorhebung des Gegenständlichen keinem Naturalismus verpflichtet. Die Zeichnungen zeigen Anklänge an einen grotesk-spielerischen Surrealismus, in dem die Dinge ein komisches Eigenleben annehmen. In dieser Form illustrieren die Zeichnungen auch nicht die Texte, sondern behaupten sich eigenständig neben ihnen. So treiben Text und Zeichnung gleichberechtigt ihr Spiel mit dem Gegenstand und geben Einblick in das drängende Schaffen eines jungen Meisters der Feder.


Titelbild

Günter Grass: Die Vorzüge der Windhühner.
Mit 12 Federzeichnungen.
Steidl Verlag, Göttingen 2007.
68 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783865215697

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