Überwältigungsmaschine

Kristina Oberwinters Detailstudie über Leni Riefenstahls "Triumph des Willens"

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Bild des Nationalsozialismus ist in großem Maße tatsächlich visuell begründet: Es sind Bilder der formierten oder marschierenden Massen, es sind Bilder von jubelnden Menschen, Bilder einer neuen Erhabenheit und eines Pathos, das sich jedes nur möglichen Instruments bediente, mit dem das Regime und sein Volk aneinander gebunden werden konnten. Es sind Bilder der Faszination, die ein Regime erzeugte, das seinen Erfolg nicht zuletzt auf der Beherrschung des Medienapparates gründete.

Der Film hat im Spektrum der nationalsozialistisch instrumentalisierten Medien einen besonderen Rang. Versprachen sich die Cineasten unter den NS-Funktionären, insbesondere Hitler und Goebbels, vom Film doch einen direkten und unmittelbaren Zugang zur "deutschen Volksseele" oder mindestens, dass mit dem guten deutschen Unterhaltungsfilm die geschundenen und angestrengten Volksgenossen ihre verdiente Erholung genießen würden. Leni Riefenstahls NS-Parteitags- und Olympia-Filme "Triumph des Willens" und "Fest der Völker"/ "Fest der Schönheit" nehmen im Ensemble des NS-Films einen herausragenden Platz ein, zum einen weil sie maßgeblich die Ikonografie des Nationalsozialismus prägten und medial umsetzten, zum anderen weil sie zu den nationalsozialistischen Kunstwerken von Rang zählen, die sich dem Einfluss des Völkischen entziehen konnten und die cineastische Avantgarde und ihre Techniken ohne weiteres anwendeten. Die Stilisierung des Nationalsozialismus als gelungene Verbindung von Tradition und Zukunft fand in Riefenstahls NS-Filmen ihren historischen Ausdruck. Riefenstahl gelang es zugleich, dem Nationalsozialismus jene Schönheit und Macht signalisierende Oberfläche zu verleihen, die das auf gewalttätiger Einigkeit ruhende Regime beanspruchte.

Dennoch bleibt zu konstatieren, dass Riefenstahls Filme das Maß, nicht aber die Normalität des Films im Nationalsozialismus darstellten, dass sie möglicherweise sogar ihre Existenz dem Übergang der Bewegung zum Regime verdankten, das seine Überlegenheit demonstrieren und etablieren musste. Das mindert nicht ihre Bedeutung und ihren Einfluss auf die öffentliche Inszenierung der Diktatur, sondern führt nur zu einer Neuvermessung des Filmischen im "Dritten Reich".

Kristina Oberwinters Studie nun unternimmt einen interessanten Versuch: Auf der Basis einer als gesichert angenommenen Wirkung von Riefenstahls Parteitagsfilm "Triumph des Willens" führt sie eine detaillierte Anamnese seiner Filmsequenzen durch, der Perspektiven, Lichtverwendungen, Schnitte, Ausstattungen und Motive. Sie verweist nicht generell auf die von Riefenstahl verwendeten Techniken, sondern präsentiert sie, immer wieder belegt durch Film-Stills. Nach einer knappen Einführung in den Forschungsstand (der freilich eher eine Art common sense zum NS-Film und zu Riefenstahls Werk ist), zum Einsatz des Films in der NS-Propaganda und zur Produktion des Parteitagfilms folgt eine detaillierte Aufarbeitung der Filmszenen, vom Prolog bis hin zum Schlusskongress. In einem weiteren Abschnitt führt sie die Verwendung spezifisch nationalsozialistischer Inszenierungen vor: NS-Hoheitszeichen, Massenchoreographien, Körperbilder und Adaptationen religiöser Inszenierungstraditionen. Die andere, technische Seite der Inszenierung folgt anschließend. In einem knappen Schlusswort kennzeichnet Oberwinter Riefenstahls Film als "emotion machine".

Die Studie zeichnet sich durch einen genauen Blick auf den Film und die eingesetzten Bilder aus: Szenen, Ausstattungen, Perspektiven, Schnitte werden auf ihre Wirkung hin begutachtet. Das denkwürdige Projekt, eine mehrtägige Massenveranstaltung in eine nie langweilende, ja faszinierende Façon zu bringen, wird einer umfassenden Analyse unterzogen. Die Platzierung Hitlers in der Zentralposition, die Ausrichtung der Massen, die Amalgamierung von futuristisch-technischer und traditioneller Oberfläche (die Verbindung des mitteltalterlichen Nürnberg mit dem modernistischen Parteitagsgelände) zeigen ein Regime, dem es gelungen ist, seine unio mystica mit seinem Volk einzugehen. Dass das vorgezeigte Volk zuvor (im Unterschied zu seinen makelbehafteten Führern, die dann als eine Art Dunkelmänner in Nachtappellen agierten) einer strengen Auswahl unterzogen wurde, weist allerdings weniger auf den rassehygienischen Erfolg des Regimes, denn auf eine spezifische Ästhetik, in der der geformte Körper zum Ideal, mithin zur Utopie stilisiert wurde. Ob Riefenstahls Film damit Identifikation und Emotionalisierung (wie Oberwinter betont) oder Bewunderung und Einschüchterung zum Ziel hatte, muss wohl im jeweiligen Kontext diskutiert werden. Er diente in jedem Fall der Stärkung der Reputation des Regimes im In- wie im Ausland. Hier zeigt sich die geordnete Gesellschaft, die der Moderne die Stirn zeigen konnte, weil sie sie beherrschte und nicht von ihr beherrscht wurde, bis hinein in die filmischen Mittel.

In gewissem Sinne bewegt sich die Studie auf sicherem Gelände: Mit Riefenstahls Film hat Oberwinter einen Gegenstand gewählt, bei dem es keinen Zweifel geben kann, dass er dem Regime dienen sollte. Von der ersten Idee über die Umsetzung bis hin zum Kinoereignis ist dieser Film eine Apologetik des Nationalsozialismus. Allerdings ist die Interpretationsbasis, das zugrunde liegende Bild des Nationalsozialismus und die Funktion des Films im Medienverbund selbst wieder derart stilisiert, dass Zweifel an ihrer Belastbarkeit angebracht sind. Das ist für Oberwinters Studie nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Inszenierung und Rezeption respektive Wirkung nicht eindeutig genug voneinander getrennt werden. Das gezeigte Bild wird ohne weiteres mit einer klaren Bedeutung und einer eindeutigen Wirkung identifiziert. Deren Genese, Ableitung, ja Widersprüchlichkeit bleibt aber undiskutiert.

Selbst ein Störfaktor wie Siegfried Kracauers Diktum, der Film verweise auf die Entwurzelung der Individuen, vermag die Verfasserin nicht zu irritieren, sondern wird noch als Beleg zitiert. Die Intention wird damit zur Wirkung, das Konzept zu seinem Erfolg gewendet - und zurück.

Das Kino ist ein Ort der Suggestion, aber letztlich arbeitet sich das Regime über seine gesamte Dauer hinweg daran ab, die gewünschten Wirkungen zu erreichen. Diese methodische Unschärfe mindert schließlich den Ertrag der Studie, bestätigt sie doch eigentlich nur, was wir immer schon über diesen Film wussten oder zu wissen glaubten: eine perfekte NS-Imaginationsmaschine. Was bleibt, sind allerdings weiter reichende Erkenntnisse über die von Riefenstahl eingesetzten Mittel, über die von ihr eingesetzten Bildreservoirs, die Konventionen, mit denen sie arbeiten konnte - und die Ziele, die sie wohl zu erreichen hoffte.


Titelbild

Kristina Oberwinter: "Bewegende Bilder". Repräsentation und Produktion von Emotionen in Leni Riefenstahls Triumph des Willens.
Deutscher Kunstverlag, München 2007.
204 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783422067370

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