Rumänien - vielfältig und überraschend

Hilkes Gerdes entdeckt das Land jenseits von Klischees

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekannt wurde Hilke Gerdes vor einigen Jahren durch ihre aus Rumänien berichtende "Post aus der Walachei" auf perlentaucher.de. Auf diese Reportagen baute sie auf und verspricht mit dem nun vorliegenden Buch "Rumänien für Deutsche" die Vorstellung dieses Landes jenseits altbekannter Klischees. Und tatsächlich gibt sie sehr empathisch einen differenzierten Ein- und Überblick zu Rumänien und seinen Bewohnern, vermag das tradierte deutsche Rumänienbild zu korrigieren und neue Facetten hinzu zu fügen. Sie zeigt gemäß der Verlagswerbung "das neue Mitglied der EU", wie es "in Vielem besser als sein Ruf" ist.

Statt gleich eingangs als versierte Rumänienkennerin zu glänzen, stellt sich die Autorin sympathisch als jemand vor, den es offenbar durch die berufliche Tätigkeit des Ehemannes in ein bis dahin unbekanntes Land verschlägt. Sie lässt den Leser teilnehmen an ihrer schrittweisen Annäherung an und Vorbereitung auf das fremde Rumänien und präsentiert schließlich als Ergebnis des dreijährigen Aufenthaltes vor Ort die gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen. Neben obligatorischen Themen wie der älteren und jüngeren Geschichte vermittelt sie Fakten zum EU-Beitritt des Landes und beobachtet die Folgen dieses Prozesses. Ihr umfangreiches Hintergrundwissen wird durch Anekdoten ergänzt. Auf einseitige und kurz greifende Erklärungen verzichtet sie zumeist.

Aufschlussreich sind vor allem ihre Entdeckungen und Erlebnisse, die den Anlass für Ausführungen zu verschiedenen Themen bilden. So beschränkt sie sich im Kapitel zu den Minderheiten nicht auf das Leben der Deutschen, sondern berichtet von persönlichen Begegnungen anlässlich einer Silvesterfeier unter Szeklern, von einem Schlachtfest bei Tataren oder einer Roma-Hochzeit.

Einen Schwerpunkt bildet auch die rumänische Kultur. Gerdes demontiert den Dracula-Mythos und gibt Einblick in die aktuelle Szene von Literatur, bildender Kunst, Musik und Film. Als Kunsthistorikerin hat sie ein besonderes Faible für die Bukarester Architektur und widmet ihr ein Extra-Kapitel, in dem sie die Vielfalt beschreibt, die vom Brâncoveanu-Stil über den Einfluss der französischen Beaux-Arts und die Zeugnisse der rumänischen Moderne bis zu Nicolae Ceausescus "Haus des Volkes" reicht.

Wohltuend, ja geradezu vorbildlich ist ihre Neugier und Offenheit sowie die Bereitschaft, sich auf die fremden Menschen, deren Lebensweise und Werte einzulassen. Man begleitet sie auf ihrem Weg aus der inzwischen offenbar recht stattlichen deutschen Auslandsgemeinde hin zur rumänischen Lebenswelt. Sie lernt die rumänische Sprache, um den direkten Kontakt mit den Leuten vor Ort zu bekommen, führt ihre eigene Toleranz und Akzeptanz wie auch deren Grenzen vor. Als Leser nimmt man teil am Alltag der Autorin als Hausfrau und Mutter, wie sie Märkte besucht, mit den Nachbarn umgeht, welche Erlebnisse ihr kleiner Sohn hat. Sie erklärt die Mentalität der Einheimischen auch aus ihrer Geschichte heraus und gibt Auskunft zur derzeitigen Lebenssituation von Randgruppen wie Schwulen und Lesben. Sie benennt kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Rumänen und gibt Tipps, wie man mit Rumänen Umgang pflegt, ohne dabei überheblich oder belehrend zu sein.

Der Leser erfreut sich an einer informativen und unterhaltsamen Lektüre. Fotos aus dem politischen Leben und vor allem vom Alltag ohne den obligatorischen Pferdewagen unterstreichen die Perspektive der Autorin. Einige Basisdaten und Internetadressen ergänzen den Band.


Titelbild

Hilke Gerdes: Rumänien. Mehr als Dracula und Walachei.
Ch. Links Verlag, Berlin 2007.
224 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783861534563

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