Passt Pastior zu Oskar?

Michael Lentz hat eine handliche Anthologie des 2006 verstorbenen Büchner-Preisträgers Oskar Pastior vorgelegt

Von Nils BernsteinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Bernstein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oskar Pastiors lyrisches Werk in ein literarisches Raster einzuordnen, ist ein ebenso schwieriges und fragwürdiges Unterfangen, wie dem in einer siebenbürgisch-deutschen Familie in Rumänien Geborenen eine eindeutige nationale Zugehörigkeit zu geben. Zwar sind seine experimentellen Texte im Zusammenhang mit Dadaismus und Konkreter Poesie zu sehen. Doch eine solche Analogisierung wäre eine voreilige und vermeintlich fein säuberliche Einsortierung in eine Schublade literarischer Untergattungen, die ohnehin durch Hybridität gekennzeichnet sind. Pastiors Werk lässt die vorschnelle Beantwortung der Erkenntnis fördernden Diskussion um literarische Provenienz und Zugehörigkeit nicht zu. Bereits in seinen ersten, noch in Rumänien verfassten Veröffentlichungen schafft er neue lyrische Formen, ohne Kontakt zu Konkreter Poesie oder zur Wiener Gruppe um Friedrich Achleitner, Gerhard Rühm und Konrad Bayer zu haben. Später soll er mit "sonetburgern", "Vokalisen", "Gimpelstiften" und "Hörichten" das Feld der Poesie durch Gattungsneuschöpfungen erweitern.

Wer wäre geeigneter, eine Auswahl aus dem breit (und "krimgotisch") gefächerten Werk zu treffen, als Michael Lentz, der 1999 eine viel zitierte zweibändige Dissertation über Lautpoesie nach 1945 vorlegte und dazu unter anderem auch Pastior persönlich interviewte. Dort äußert sich Pastior zu seiner polyglotten Lautpoesie, die rumänische, ungarische, deutsche oder türkische Sprachfetzen vereint und zusammenfügt. Dies lässt sich freilich nicht von jedem Leser erschließen und Pastior erklärt Lentz in dem Gespräch: "Und im Ohr jedes einzelnen Zuhörers entsteht ja sowieso was anderes." Ein freies Betätigungsfeld also für die Assoziationskraft des Lesers, bei dem Wahrnehmen und Hervorbringen zusammenfallen und jeder einem heiteren 'anything goes' freien Lauf lassen kann, das Bezüge dort herstellen darf, wo möglicherweise gar keine sind.

In der Tat springt Pastior zwischen sinnfrei anmutenden Ratschlägen aus dem Kuriositätenkabinett der Alltagsweisheiten ("Rohe Kartoffeln aber sind stets von innen nach außen zu schälen, damit die Stärke erhalten bleibt. Andere Tricks sind weniger interessant.") und dem Experimentieren mit streng reglementierten Gedichtformen wie der Sestine und dem Sonett. Davon zeugen die vier von Lentz aufgenommenen Sestinen oder Pastiors in der Anthologie leider nicht berücksichtigte Sammlung "sonetburger" von 1983. Stattdessen stößt man auf das bekannte, den Formen des Sonetts gehorchende Gedicht "Meeresruh" aus dem "krimgotischen Fächer" (1978). Neben bizarr-amüsanten Sprach- und Reimspielereien ("Aus besserwisserischen Meßbechern schmeckt Sekt miserabel bis schlecht.") finden sich auch assoziativ-onomatopoetische Gedichte wie "Gelsenvertreiben", bei dem den Lesern Kenntnisse österreichischer Varietäten und rumänischer Vokabeln zum Vorteil gereichen:

"Simtar haische Guggl: Simtsar
Simtsar Guggl haische: Tsimsar
Tsimsar haische: Guggl Tsimtsar
Tsimtsar glaische Tsintsar glaische
Wiasche Guschlwurg Tsintsar

Hujdu-hu hujdu-huh
Onnoma-pöh [...]"

Überflüssig anzumerken, dass die stimmliche Realisation des Autors das größte Hörvergnügen zu bereiten vermag. Kennt man das österreichische Wort für Stechmücke, 'Gelse', und die entsprechende Vokabel des Rumänischen, 'tîntar' (ausgesprochen 'tsintsar'), so wird die Wut des von der Mücke Geplagten, die ihm und der ihr nachstellt, durch diese Onomapöie ("Onnoma-pöh") nachvollziehbar. Auf das reizvolle Übertreten von Sprachgrenzen verwies Pastior, der dermaleinst in Bukarest ein Germanistikstudium absolvierte, auch in seiner Frankfurter Poetikvorlesung von 1994/95 mit dem Titel "Das Unding an sich": "die siebenbürgisch-sächsische Mundart der Großeltern; das leicht archaische Neuhochdeutsch der Eltern; das Rumänisch der Straße und der Behörden; ein bissel Ungarisch; primitives Lagerrussisch; Reste von Schullatein, Pharmagriechisch, Uni-Mittel- und Althochdeutsch; angelesenes Französisch, Englisch."

Natürlich wird man Einiges in der Zusammenstellung von Lentz vermissen. Natürlich ist Einiges kontextfrei aufgenommen worden. So entgeht einem etwa eine Parallelstelle zwischen dem aufgenommenen Gedicht "Kontaminoplum" und dem fehlenden "AIM PLE ORZ", die einmal mehr Anekdotisches und "Privatsprachliches" des Autors erläutern könnte. Dieser Umfang kann indes in einer kleinen Anthologie aus völlig einleuchtenden Gründen nicht abgesteckt werden. Dazu sollte man auf die von Ernest Wichner herausgegebene Werkausgabe zurückgreifen, deren vierter Band soeben erschienen ist. Bei Lentz wird man hingegen mit fünf bisher nicht publizierten Gedichten aus dem Nachlass belohnt. Das Nachwort des Herausgebers bietet viel Emphase mit dem Appell zur Pastior-Lektüre und einen stark gerafften Überblick über Pastiors Schaffen für Nicht-Eingeweihte. Ob man sich Lentz' Urteil, Pastior sei ein Genie, anschließen möchte, sei getrost dahingestellt.

Ernst Jandl, der sich ebenso gerne wie Pastior (und Lentz?) voreiligen Zuordnungen zu literarischen Gruppierungen widersetzte, widmete Pastior zwei Gedichte in der Gedichtsammlung "idyllen" (1989). In einem heißt es:

"oskar passt zu pastior
pastior paßt zu oskar"

In jedem Fall passt Pastior in den Bücherschrank eines jeden, der sich für die assoziative Kraft experimenteller Lyrik interessiert.


Titelbild

Oskar Pastior: durch - und zurück. Gedichte. Ausgewählt von Michael Lentz.
Herausgegeben von Michael Lentz.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
320 Seiten,
ISBN-13: 9783596176762

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