Betrachtungen über einen Unpolitischen

Christian Linder reist zu Carl Schmitt

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das vorliegende Buch ist so bizarr wie die Person, der es gewidmet ist. Eine Biografie Carl Schmitts kündigt der Verlag an. Doch die chronologische Darstellung eines Lebens müsste wohl anders aussehen. "Eine Reise ins Carl Schmitt Land", so der Untertitel, beschreibt das Vorhaben schon zutreffender. Tatsächlich beginnt die Geschichte mit einer Rückkehr, allerdings der des Biografen Christian Linder, 1949 in Lüdenscheid geboren, in das heimatliche Sauerland, dem auch Carl Schmitt entstammt. Und der gesamte umfangreiche Text ist vom Erstaunen darüber getragen, dass da jemand mit dem Allerweltsnamen Schmitt "aus der hintersten Provinz in die Welt hinausging, um große Beute zu machen und tatsächlich zu einem Weltdenken kam, um anschließend als Weltphänomen misstrauisch bestaunt und angefeindet, aus der Einzelhaft des Nürnberger Kriegsverbrechergefängnisses aufs Dorf zurückkehren zu müssen, mit dem Gefühl der Vergeblichkeit." So setzt denn auch die biografische Annäherung an den Mann aus dem Sauerland, den bereits das erste Substantiv das "Ungeheuer" nennt, an jenem Tiefpunkt im Leben des Carl Schmitt an, um dann im Laufe der Untersuchung immer wieder in die alliierte Haftanstalt zurückzukehren.

Linders Verfahren besteht zunächst darin, die Originaldokumente ausführlich zu zitieren. Im Verhör durch Robert Kempner, dem stellvertretenden US-Chefankläger, erklärt Schmitt sein einflussreiches Wirken im "Dritten Reich" damit, dass er sich Hitler "geistig unendlich" überlegen gefühlt habe und "dem Wort Nationalsozialismus" einen eigenen Sinn habe geben wollen. Linders kritischer Kommentar dazu: "Kempner stockte einen Moment angesichts dieser Prahlerei [...] Hatte Schmitt in dem Moment begriffen, dass sein Hochmut, der Einzige gewesen zu sein, den Nationalsozialisten ein intellektuell anspruchsvolles Konzept liefern zu können, ihn in die größte Niederlage seines Lebens getrieben hatte?"

Wie sich Schmitts überaus schillerndes Konzept des Politischen entwickeln konnte, dieser Frage geht Linder nach. Er beantwortet sie zunächst mit einer intellektuellen Biografie, die 1919 mit dem Erscheinen der "Politischen Romantik" beginnt. Linder will jedoch nicht, wie er im Nachwort schreibt, den "zehntausendundeinsten Kommentar über Schmitts Bücher legen", sondern den Blick "frei machen auf die Texte", die deshalb sehr ausführlich zitiert werden. Linder behandelt die zentralen Werke aus der Weimarer Zeit, die den Weg zum "Kronjuristen des 3. Reiches" vorzeichnen. Es gelang Schmitt in einer Mischung aus scharfsinniger Zeitanalyse und rabulistischer Mythologie das weit verbreitete Unbehagen am völlig neuen, von den Siegermächten importierten oder zumindest favorisierten Parlamentarismus auf den Punkt zu bringen. An die Stelle des sich immer mehr kompromittierenden und in Grabenkämpfen verstrickten Parteienstaates sollte einheitlicher Volkswille treten, der Jean Jacques Rousseaus volonté génerale nicht unähnlich war.

"Eine Diktatur insbesondere ist nur auf demokratischer Grundlage möglich", heißt es 1928 in der "Verfassungslehre", zu einer Zeit also, wo Lenin und Mussolini mit dieser Lehre bereits reale Staaten begründet hatten. Auf der Grundlage dieser Homogenitätslehre entfaltet Schmitt sein Werk in verschiedene Richtungen und liefert allen Gegnern des Liberalismus Schlagworte, die in ihrer Radikalität als fulminant gewertet wurden, in Wahrheit jedoch nur von einem unpolitischen Denken zeugen, das elitäre Parolen verbreitete, ohne sich in die Niederungen konkreter Politik zu begeben. 1932 verteidigt er als einer von vier Reichsanwälten vor dem Reichsgericht in Leipzig die Diktaturmaßnahmen des Reichspräsidenten gegen Preußen, 1934 rechtfertigt er in seinem berüchtigten Artikel "Der Führer schützt das Recht" die Morde an Ernst Röhm und seinem Gefolge.

Mit Verwunderung reagiert der von Hermann Göring zum Staatsrat Ernannte, als er 1936 im SS-Organ "Das Schwarze Korps" scharf angegriffen und infolgedessen aller öffentlichen Ämter enthoben wird. Obwohl er die Diktatur mit großem Pathos begründet hatte ("Das Beste in der Welt ist ein Befehl"), hatte er nicht erkannt, dass der Diktator zwar einen Laudator, aber keineswegs einen Juristen wollte. Weil Schmitts Rechtsdenken unfähig war, Recht von Unrecht zu unterscheiden, hatte er selbst die Rechtstheorie dem Nihilismus ("Das Nichts ist stärker als das Etwas") preisgegeben und der staatlichen Willkür Tür und Tor geöffnet. Nun wurde er im Kompetenzgerangel des NS-Staates zerrieben. Immer wieder hatte er sich auf ein Zitat seines Vorbildes Thomas Hobbes berufen: Auroritas, non veritas facit legem, das den Befehl über das Gesetz stellt. Dabei hatte er übersehen, dass sich auch der Rechtsstaat nicht auf Wahrheit beruft, sondern auf universelle Normen. Eine höhere Wahrheit, die allerdings von einer anderen Institution beansprucht wurde, der sich Carl Schmitt ebenfalls verbunden fühlte, einem im 19. Jahrhundert stehengebliebenen Katholizismus nämlich, weshalb denn auch "Das Schwarze Korps" ihn als "formalen katholischen Denker" glaubte denunzieren zu müssen.

Hier nun setzt die Darstellung von Schmitts privaten Lebensumständen ein, die sich vor allem aus der seit der Jahrtausendwende vermehrt herausgegebenen Korrespondenz (insgesamt enthält der Nachlass rund 17500 Briefe) und seinen Tagebüchern erhellen, aber auch aus den persönlichen Erinnerungen von Schmitts Begleiter Ernst Hüsmert, der wiederum dem Freundeskreis von Schmitts Tochter Anima entstammt.

Während der Münchner Räterepublik hatte Schmitt als Referatsleiter im Bayerischen Kriegsministerium erleben müssen, wie Revolutionäre neben seinem Schreibtisch einen Offizier erschossen. Den Bürgerkrieg beenden, die Zerrissenheit überwinden, das konnte, nicht nur nach Schmitts Auffassung, allein eine starke Macht. Das Wirken des Bösen war lediglich durch ein Katechon, die griechische Bezeichnung für eine geheimnisvolle Macht, aufzuhalten, der sich jeder unterzuordnen hat. Der große Leviathan wurde konsequenterweise durch den Führer ersetzt, der nicht unbedingt mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen ist. Diesen Glauben an eine irrationale Kraft entdeckte allerdings bereits Hugo Ball 1924 in seiner Rezension von Schmitts "Politischer Theologie". Das Erlösungsbedürfnis, dessen biografischen Untergrund Linder im letzten Teil ausführlich darstellt, verbindet Schmitt auch mit dem katholischen Staatsphilosophen Donoso Cortes und lenkt ihn und große Teile der Deutschen letztlich auf die Projektionsfläche, die Hitler ihnen bot. Wie sehr Schmitt das gesamte Leben als Ausnahmezustand verstand, wird auch in Nebensachen deutlich, wenn Linder Schmitts merkwürdig pubertäre Lyrik veröffentlicht, mit der dieser 1955 in der Zeitschrift "Civis" des RCDS hervortrat. In der Nachkriegszeit webte Schmitt, anders als Martin Heidegger endgültig aus dem Lehrbetrieb verjagt, an der Legende als Opfer der Zeitläufte und versank dabei in Selbstmitleid. "Ex captivitate salus" (1950) lautet das Konzept des katholischen Pessimisten, der mit seiner gnostischen Heilsdogmatik, die immer noch auf der Unterscheidbarkeit von Freund und Feind beharrte, die alsbald wieder auftretenden Weltuntergangspropheten von Rechts und Links beflügelte. Auf dem langen Weg nach Westen in die bürgerliche Zivilgesellschaft wurde Schmitt jedoch immer mehr zum Stolperstein. Fast wirkt es, als habe den Biografen so etwas wie Erleichterung ergriffen, wenn er am Schluss das Sterben des 96-Jährigen mit einer gewissen menschlichen Anteilnahme und mit einigen Details schildern kann.

Überhaupt schlägt der Reisebericht Linders bei der Annäherung an den Privatmann Schmitt einige Volten. Vom 90. Geburtstag springt er zurück zum 50., und nach etwa hundert Seiten erfährt der erstaunte Leser, dass sich Linder selbst vor gut 30 Jahren einmal auf den Weg gemacht hat, um den Mann zu besuchen, von dem eine so beunruhigende Wirkung ausging, die bis heute anhält, wie zuletzt noch Jan-Werner Müller nachgewiesen hat ("Ein gefährlicher Geist. Carl Schmitts Wirkung in Europa" 2007). Zu einer Begegnung ist es damals nicht gekommen, wohl aber zu einem Schreiben Schmitts, das faksimiliert abgedruckt ist und in dem der Autor ganz selbstverliebt auch auf die frühe Würdigung seines Denkens durch Hugo Ball hinweist. Weil er den Lebenden nicht getroffen hat, vereinbart Linder nun ein Gespräch mit dem Toten und imaginiert auf dem Gipfel des Schwarzenberg einen langen philosophischen Diskurs über die Macht. "Sei ruhig! Es war nur gedacht", mit diesem seinem Lieblingszitat aus Goethes "Faust" pflegte Schmitt sein wildes Denken zu legitimieren. Schmitt verstand sich wohl als Partisan. Linders facettenreiche Text- und Bildcollage beweist indes, dass sich hier ein Spießbürger in der Rolle des Querdenkers gefiel.


Titelbild

Christian Linder: Der Bahnhof von Finnentrop. Eine Reise ins Carl Schmitt Land.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2008.
448 Seiten, 28,90 EUR.
ISBN-13: 9783882217049

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