Geschlechterdifferenz als künstliches Konstrukt

Judith Lorbers "Gender Paradoxien"

Von Wibke Cherubim-WirthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wibke Cherubim-Wirth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch sei all denen empfohlen, die sich mit Gender-Fragen beschäftigen und auf der Suche nach einer guten und übersichtlichen Einführung sind. Judith Lorber verarbeitet in ihrem Buch eine Fülle von Titeln (die Bibliografie umfasst 81 Seiten), die sich mit Gender- und Gleichberechtigungsfragen auseinandersetzen. Ihr gelingt es, diese Flut von Informationen schlüssig und für jedermann/-frau verständlich aufzuschlüsseln und zusammenzufassen. Sie stützt sich dabei u.a. auf die These Simone de Beauvoirs, man werde nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht, oder anders formuliert: die uns bekannten Geschlechterrollen sind samt und sonders konstruiert. Lorber entlarvt die Dichotomie Natur /Kultur als künstliches Konstrukt, das dazu dient, bestehende Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten und zu legitimieren, das aber gleichzeitig markante Paradoxien aufweist. Das Buch ist grob in drei Teile untergliedert:

Der erste Teil beschäftigt sich mit der Gender-Produktion. Wieso unterscheidet man überhaupt zwischen Mann und Frau, wobei der Mann als Kulturschaffender einen universellen Platz beansprucht, die Frau aber als Teil der Natur betrachtet wird, die es zu beherrschen gilt. Im Kapitel "Biologie als Ideologie" zeigt Lorber, dass die Wissenschaft eine Institution ist, die geschaffen wurde, um die Dichotomie zu rechtfertigen. Sie verweist in einem anderen Kapitel auch darauf, welchen Platz die Sexualität hierin einnimmt, zeigt aber auch auf, dass es neben den bekannten auch noch andere Geschlechteridentitäten und -repräsentationen gibt.

Teil II ist der Gender-Praxis gewidmet und veranschaulicht an zahlreichen Beispielen (Elternverhalten, Sport, Erwerbsleben, Medizin etc.) die Mechanismen der Geschlechterdichotomisierung. Besonders hilfreich sind hier die historischen Rückblicke, die nicht dazu dienen, bestimmte Ansprüche zu rechtfertigen, sondern umgekehrt, die Unsinnigkeit gewisser Entwicklungen aufzuzeigen.

Wer bis zu diesem Punkt immer noch davon überzeugt ist, wir hätten das Patriarchat längst überwunden, wird spätestens im Teil III eines Besseren belehrt. Hier geht es um Gender-Politik. Mit Fakten und Zahlen aus Mikro- und Makropolitik wird hier dem Leser oder der Leserin gezeigt, dass wir trotz Frauenwahlrecht und Diskriminierungsverbot weit von der Gleichberechtigung entfernt sind ( z.B.: weltweit erledigen Frauen zwei Drittel aller anfallenden Arbeit, verdienen aber nur 10 % des Welteinkommens und verbuchen gerade mal 1% des gesamten Besitzes für sich. Traurig, aber wahr).

An diesem Punkt geraten andere Werke oft ins Stocken, vermögen sie zwar vieles zu kritisieren, können aber keine Lösungsansätze liefern. Zugegeben: es ist schwierig sich vorzustellen, wie eine Welt ohne die bekannten Dichotomien und Hierarchien aussehen würde. Judith Lorber gelingt es dennoch, hiervon ein spannendes Bild zu zeichnen, weswegen allein es sich schon lohnen würde, das Buch zu lesen, das nicht nur für Wissenschaftler interessant und verständlich gestaltet ist, denn schliesslich geht Gleichberechtigung alle Menschen etwas an. Zum Schluss noch ein Zitat von Gloria Steinem, das mir besonders gut gefallen hat: "Was wäre, wenn [...] plötzlich, wie mit einem Zauberschlag, die Männer statt der Frauen menstruieren könnten? [...] Die Antwort ist klar - die Menstruation würde zu einer beneidenswerten Männersache, mit der man sich brüsten kann."

Titelbild

Judith Lorber: Gender-Paradoxien.
Verlag Leske und Budrich, Leverkusen 1999.
ca. 300, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3810022233

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