Kunststück mit kleinen Mängeln

Dirk von Petersdorffs Kurzgeschichte der deutschen Lyrik

Von Wulf SegebrechtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wulf Segebrecht

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die ganze Geschichte der deutschen Lyrik von den Merseburger Zaubersprüchen bis zu Durs Grünbein auf 120 Seiten, geschrieben von einem einzigen Verfasser - das kann doch nicht gut gehen, denkt man. Zuletzt (2004) benötigten immerhin sechs Autoren 750 Seiten, um den gleichen Gegenstand bei Reclam abzuhandeln, und für Walter Hinderers Darstellung unter demselben Titel (2. Auflage 2001, Königshausen & Neumann) brauchten nicht weniger als 22 Spezialisten über 700 Seiten. Und nun das! Vorsicht scheint allemal geboten und Skepsis angebracht.

Und doch: Es geht! Dirk von Petersdorff, selbst Lyriker und Literaturwissenschaftler, macht das schier Unmögliche möglich. Seine "Geschichte der deutschen Lyrik" erschöpft sich keineswegs in Allgemeinplätzen und lexikonartigen Summarien; sie hat sogar Platz für Epochencharakterisierungen, ausführliche Gedichtzitate, Formbeschreibungen und eingehende Interpretationen. Es ist wirklich ein staunenswertes Kunststück, das Dirk von Petersdorff hier zustande gebracht hat.

Gewiss: Wer darauf aus ist, "Lücken" aufzudecken, wird schnell fündig. Das ehrliche Register der Namen macht es ihm leicht: Gottfried August Bürger, Matthias Claudius, Ludwig Christoph Heinrich Hölty, Günter Kunert, August von Platen, Ludwig Uhland - um nur diese zu nennen - kommen nicht vor. Das mag, wem Verse dieser Lyriker in den Ohren klingen, unverzeihlich erscheinen. Und auch die Auswahl der jeweils exemplarisch genannten Gedichte der behandelten Autoren dürfte Kenner hier und da sicher enttäuschen; Schiller beispielsweise wird auf die "Kraniche des Ibykus" reduziert.

Aber auf die Kenner, die ohnehin schon alles zu wissen glauben, kommt es hier nicht an. Und auch auf die gern angeführten "Platzgründe" ist diese Kurzgeschichte der deutschen Lyrik als Rechtfertigungsgrund nicht angewiesen. Sie ist vielmehr im besten, das heißt im anregenden, Sinne unterrichtend und findet in aller Regel die glückliche Mitte zwischen souveräner Beherrschung der Materie und origineller Subjektivität in der Auswahl und Darstellung. Eine gute Gelegenheit für diejenigen, die sich nicht mit der bloßen ersten Information begnügen wollen, sondern bereit sind, das Buch zum Nach- und Weiterlesen zu nutzen.


Titelbild

Dirk von Petersdorff: Geschichte der deutschen Lyrik.
Verlag C.H.Beck, München 2008.
124 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-13: 9783406536342

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