Die große Sinnsuche

Stefan Wimmers Protagonist in "Die 120 Tage von Tulúm" ist auf dem Weg. Und damit in guter Gesellschaft

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf die Suche gemacht haben sich so einige Helden der Literaturgeschichte: ob nach dem Amerikanischen Traum, dem tieferen Sinn des Lebens oder einfach einem Kriminellen. Die Suche ist etwas genuin Menschliches, und damit auch etwas genuin Literarisches. Wer suchet, der findet, heißt es im ältesten Buch der Welt. Eins ist klar: Wer sich auf die Suche oder auch nur auf den Weg macht, der liegt schon mal nicht so falsch.

Stefan Wimmers Protagonist, der Journalist Ingo W. Falkenhorst, ist in Mexiko anzutreffen. Der Münchner Autor hat dort selbst drei Jahre gelebt, und in Mexiko wie daheim in München spielen die Geschichten, die im Band "Die 120 Tage von Tulúm" enthalten sind. Erschienen ist das Buch bereits 2005 im Maas Verlag, jetzt hat Eichborn es neu aufgelegt - zeitgleich zu Wimmers großartigem Debütroman "Der König von Mexiko".

. Falkenhorst schreibt, säuft und schnieft sich darin durch mexikanische Cantinas und bayerische Biergärten. Dabei ist er stets auf der Suche: nach dem ersehnten Visum, dass die kafkaeske, mexikanische Bürokratie ihm verwehrt. Nach der Liebe einer Frau, die er nicht findet - und wenn doch, dann nicht für lange Zeit. Falkenhorst, der sich der relativen Aussichtslosigkeit seiner Suche bewusst ist, wird gerade durch seine Erfolglosigkeit umso sympathischer: Denn er verzweifelt nicht. Wenn er etwas nicht findet oder etwas gerade Gefundenes - wie eine Frau - wieder verliert, macht er sich auf die Suche nach etwas Neuem. Manchmal geht die Suche im Konsum von Koks, Tequila, Whiskey und Weißbier unter, aber auch das macht nichts. Denn Stefan Wimmer hat mit Falkenhorst einen charismatischen, weil menschlichen Helden geschaffen.

Bodo Mrozek feierte das Buch in der "Süddeutschen Zeitung" bereits 2005 vollkommen zu Recht. Wimmers expressive Wortwahl werde ihm nicht den Beifall der Literaturwissenschaft einbringen. Aber das sei dem Rezensenten egal, weil Wimmer "ganz nebenbei das unterhaltsamste, ehrlichste und komischste Stück Männerliteratur der vergangenen Jahre geschrieben" habe.

Unterhaltung, Ehrlichkeit und Komik allein werden dem Buch allerdings nicht gerecht. Die Hommagen an andere große Suchende heben "Die 120 Tage von Tulúm" über reines Entertainment hinaus: Falkenhorst bewegt sich auf den Pfaden eines Paul Kemp, des von Selbstzweifeln zerrissenen Hunter-S.-Thompson-Protagonisten, der sich auf der Suche nach sich selbst in Alkohol- und Frauengeschichten verstrickt. Wimmer hat einen Protagonisten erfunden, der es mühelos mit Dr. Gonzo und Timothy Leary (Drogen und Alkohol), Philip Marlowe (Coolness), Sal Paradise und Henry Chinaski (Frauen und Schreiben) aufnehmen kann. Vielleicht wird die Literaturwissenschaft ja doch noch auf ihn aufmerksam.


Titelbild

Stefan Wimmer: Der König von Mexiko. Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
313 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783821858340

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Titelbild

Stefan Wimmer: Die 120 Tage von Tulúm. Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
264 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783821858333

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