Das petrarkistische Sonett als Knotenpunkt der Diskurse

Ursula Hennigfeld kreuzt Körper- mit Ruinenpoesie und Sonette über ruinierte Körper

Von Evi ZemanekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evi Zemanek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Einige grundlegende Aspekte des Sonetts am Leitfaden der Kategorien Körper und Ruine anhand exemplarischer Gedichtanalysen zu entwickeln", ist laut Einleitung das Ziel von Ursula Hennigfelds Studie "Der ruinierte Körper". Tatsächlich verbindet die äußerst anregende Arbeit mehrere unterschiedliche Interessen: am Körper- sowie am Ruinendiskurs der Renaissance, an der Verschmelzung beider Diskurse in Gedichten über ruinierte Körper, an der diesbezüglichen Rolle der Sonettform und - allgemeiner - am dabei sichtbar werdenden kulturellen Austausch zwischen einzelnen Nationalliteraturen.

Zweifelsohne fungiert das Sonett, zu jener Zeit die meistverwendete Gedichtform, als Medium der Tradierung kulturell geprägter Konzepte und poetischer Bilder. Es erweist sich als Textraum, in dem sich verschiedenste Diskurse kreuzen. Hier werden Schönheitsideale gleichermaßen verhandelt wie das Pendant zum Körper: die Seele, das neoplatonische Liebeskonzept und sein erotisches Gegenmodell, Renaissance-Anatomie und Antikenverehrung, Glanz und Verfall großer Städte, Mythen et cetera. Daher betrachtet die Autorin das Sonett vor dem Hintergrund der Petrarkismusforschung als Medium und Indiz für die transkulturelle Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Diese Rolle verdanke es seiner Form, die sich besonders gut dafür eigne, "diskursive Spannungen in einem historischen Kontext zum Ausdruck zu bringen". Damit meint Hennigfeld vor allem die Beobachtung, dass die volkssprachlichen Sonette einerseits im Dienste nationaler Identitätsbildung stehen, andererseits aber auf gesamteuropäisches Gedankengut zurückgreifen.

Da die Studie auf der Beobachtung basiert, dass Körper und Ruine hauptsächlich im Sonett poetisiert werden, wäre von Interesse, inwiefern die beiden Themen strukturell mit der Form korrespondieren. In diesem Sinne fokussiert Hennigfeld das Sonett nicht nur, weil es die dominante Gattung jener Zeit ist, sondern auch weil sich die Spannung zwischen der geschlossenen Form und der Fragmentierung des Körpers als besonders fruchtbar erweise - was im selben Maße übrigens auch für die Ruine anzunehmen ist.

Betrachtet werden im Anschluss an Musterbeispiele aus Francesco Petrarcas "Canzoniere" etwa gleich viele französische und spanische Sonette, in der Mehrzahl von den kanonischen petrarkistischen Autoren (Joachim Du Bellay, Pierre de Ronsard, Louise Labé, Luis de Góngora, Francisco de Quevedo, Lope de Vega und andere) aus Renaissance und Barock beziehungsweise Siglo de Oro. Ergänzt werden sie durch englische Beispiele, vor allem von William Shakespeare, der subversive Varianten bietet. Die englischen Texte sollen belegen, was bereits bekannt ist, nämlich dass der Kulturaustausch über romanische Grenzen hinausgeht. Dies wirft die Frage auf, warum keine deutschen Gedichte erwähnt werden, zumal die theoretischen Grundlagentexte aus dem deutschen Kulturraum gewählt sind (Niklas Luhmann, Walter Benjamin, Georg Simmel).

Bevor Hennigfeld die Diskurse von Körper und Ruine im dritten Teil wohlvorbereitet aufeinandertreffen lässt, untersucht sie jeden für sich sowohl im petrarkistischen Korpus als auch in kultur- und medienwissenschaftlicher Forschung, wodurch die ruinierten ,Textkörper' lesbar gemacht werden sollen. Sämtliche Referate verschiedener theoretischer Ansätze sind sehr informativ, jedoch nicht alle im gleichen Maße für die Textanalyse fruchtbar.

Im theoretischen Körper-Kapitel werden zunächst Körper-Konzepte und die Körper-Seele-Dichotomie skizziert. In diesem Zusammenhang wägt Hennigfeld mit Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Michel Foucault ab, inwiefern die abendländische Kultur eine ,Hassliebe' des Körpers zwischen Tabuisierung und Begehren propagiert. Einen wichtigen Denkanstoß liefern dabei neuere kulturwissenschaftliche Studien, die den Körper als ,Schnittstelle' oder ambivalenten ,Grenzbereich' ansehen. Demnach versteht Hennigfeld den Körper als ,Ort des Übergangs' und fragt, welche Rolle ihm als ,Schwelle' im petrarkistischen Sonett zukommt, das heißt sie liest ihn als Ort, an dem etwa das Verhältnis ,Mann versus Frau', ,Innen versus Außen', ,Individuum versus Gesellschaft' ausgelotet wird.

Im Einklang mit kulturwissenschaftlichen Trends konstatiert auch Hennigfeld einen somatic turn, ablesbar in der Lyrik. Daher versucht sie, die Auswirkungen der Renaissance-Anatomie auf die Dichtung zu zeigen. Ein besonders enges Verhältnis von Literatur und Anatomie beziehungsweise Text und Körper gerade in der Renaissance stellen jüngere Studien fest, die von einer ,culture of dissection' sprechen. Hennigfeld betont aber auch, dass es schon vor der Renaissance poetische Texte gab, die den (weiblichen) Körper in seinen Teilen beschreiben, und erörtert, inwiefern sie sich von den petrarkistischen unterscheiden. Die Bedeutung der Darstellung fragmentierter Körper sieht sie darin, dass sie kulturelle und soziopolitische Umbrüche bezeugen, entsprechen sich Welt und Leib doch nach damaliger Vorstellung als Makro- und Mikrokosmos. Wichtige Vorlage für die Betrachtung der Texte über ,ruinierte Körper' (im letzten Teil) ist die Analogisierung von Körper und Gebäude, die in architektonischen Schriften der Renaissance auftritt.

Ein eigenes Kapitel referiert Luhmanns Liebe als Passion, da laut Hennigfeld das darin entwickelte Konzept von Liebe als gesellschaftlicher Kommunikationscode den Petrarkismus erschließen helfe. Obgleich mehrere Gedichte Luhmanns Konzept partiell entsprechen, ist es fraglich, ob man der Textanalyse passende Elemente dieser Theorie voranstellen sollte, könnte man die Beobachtungen doch eigenständig anhand der Texte machen und

auf Übereinstimmungen mit Luhmann hinweisen. Für wichtig hält Hennigfeld "Luhmanns These, dass literarische Darstellungen der Liebe ihr Thema nicht zufällig wählen, sondern auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren", weshalb auch das Sonett als Reaktion auf ,funktionale Notwendigkeiten des Gesellschaftssystems' zu interpretieren sei. Gewinnbringend für die Textanalyse erachtet sie ferner Luhmanns Beobachtung, dass sich das Schreiben über die Liebe der sozialen Kontrolle entziehe, und folgert daraus, dass die Sonette durch Unterlaufen des dominanten Diskurses politisch brisant werden. Folglich versucht sie zu zeigen, wie der Liebesdiskurs dazu genutzt wird, eine andere Problematik zu thematisieren. Letztlich stellt sie allerdings fest, dass Luhmanns gesellschaftstheoretischer Ansatz für die literaturwissenschaftliche Analyse zu undifferenziert bleibt - zumal er gerade die Epoche und den Kulturkreis, den sie fokussiert, in seiner Studie ausspart und nur geringes Interesse am Körper zeigt. Zwar bietet Luhmann Theoretisches über die Liebe, die natürlich im petrarkistischen Zyklus eine wichtige Rolle spielt, aber Hennigfeld geht es doch eigentlich um Körper und Ruine.

Um die Analyse der petrarkistischen Sonette vorzubereiten, leitet Hennigfeld von einem Sonett Petrarcas ein Leitmodell literarischer Körpermodellierung ab, das auf Zerlegung, Alphabetisierung und Rekomposition basiert. Obwohl sie seine Sonette in ihrer Studie durchweg als Prototypen verwendet, relativiert sie seine oft verabsolutierte Vorreiterstellung durch Hinweise auf die Intertextualität seines Werkes. Entscheidend für Hennigfelds Gesamtinteresse ist, dass Petrarca dem Fragment, das Körper- und Ruinendarstellung gleichermaßen kennzeichnet, neue poetische Qualität verleiht.

Anders als die bisherigen Studien zum petrarkistischen Frauenlob interessiert sich diejenige Hennigfelds für zweierlei Körper: nicht nur für den ,quälenden' der beschriebenen Dame, sondern auch für den des schreibenden ,lüsternen' Subjekts, weshalb sie klugerweise zwischen ,Objekt- versus Subjektkörper' unterscheidet. Von besonderer Relevanz für die spätere Kreuzung mit dem Ruinendiskurs sind die Kapitel zu Sonetten, in denen Körper fragmentiert oder mit Gebäuden in Zusammenhang gebracht werden, wie bei Góngoras Metaphorisierung des Körpers als Tempel, die dazu einladen, das Zusammenspiel von Gebäudemetaphorik und Textform genau unter die Lupe zu nehmen. Hierbei schöpft die Textanalyse ihr Potenzial nicht vollends aus, sondern verliert diesen spannenden Punkt durch die Beachtung verschiedenster Aspekte aus dem Blick. Insgesamt fokussiert Hennigfeld mehr die Semantik anstatt Form- und Proportions-Analogien zwischen Gebäude, Körper und Sonett.

Andere Kapitel, wie zum Beispiel das zu Labés "Körper im Gender-Trouble" und die Untersuchung der Geschlechterbeziehungen im Rahmen des Shakespeare-Kapitels, sind im Hinblick auf das Endziel der Studie von nachgeordneter Bedeutung, wenngleich sie interessante Körperkonzepte vorstellen. Mit der Versammlung von Sonetten aus verschiedenen Kulturräumen bezweckt die Verfasserin mitunter auch die Überprüfung der Thesen zum ,spanischen Sonderweg in die Neuzeit' (Ernst Robert Curtius) und zum ,schwachen Subjekt' im spanischen Barock (Bernhard Teuber), die sie schließlich bekräftigt.

Der zweite Teil der Studie, der sich dem Ruinendiskurs widmet, beginnt mit dem Referat theoretischer Überlegungen zur Ruine von Benjamin und Simmel, gefolgt von einem Überblick über die diesbezügliche neuere medien- und kulturwissenschaftliche Forschung. Hennigfeld beruft sich auf Benjamins Aufwertung des barocken Fragments, dem er in seinem "Trauerspiel"-Buch mindestens ebenso viel Aussagekraft zuspricht wie dem unverletzten Ganzen. Dasselbe gelte für den menschlichen Körper, so Hennigfeld mit Blick auf die Benjamin'sche Körpermetaphorik. Direkt thematisiert wird er im Rahmen der Überlegungen zur Melancholie und zur Allegorie, deren Sprachgebrauch ein zerstückelndes Prinzip zugrunde liege: Tote Körperteile, beispielsweise, verweisen allegorisch auf ihr Gegenteil, den lebendigen, ganzen Leib. Im Passagenwerk stellt Benjamin den Zusammenhang zwischen allegorischer barocker Dichtung und anatomischer Leichensektion her - so auch Hennigfeld implizit im einleitenden Kapitel zur Renaissance-Anatomie. Dass das Verfahren der Fragmentierung erkenntnisfördernde Funktion hat, lässt sich sowohl anhand von Körper- als auch Ruinentexten zeigen. Hennigfeld sieht in der bedeutungsstiftenden Rekombination von Fragmenten Parallelen zwischen dem petrarkistischen Dichter und dem benjaminschen Melancholiker.

Während für Benjamin die Ruine Bruchstück bleibt, verleitet sie Simmel zur Imagination des Ganzen. Da Simmel die Baukunst als Sieg des menschlichen Geistes über die Natur (im Sinne einer Vergewaltigung) versteht, sieht er in der durch den Lauf der Zeit entstandenen Ruine die Rache der Natur. Da die Ruine den Kampf zwischen Mensch und Natur veranschauliche, ohne dass schon ein Sieger erkennbar wäre, konstatiert Simmel: "Der ästhetische Wert der Ruine vereint die Unausgeglichenheit, das ewige Werden der gegen sich selbst ringenden Seele mit der formalen Befriedigtheit, der festen Umgrenztheit des Kunstwerks". Darin sieht Hennigfeld das tertium comparationis bezüglich petrarkistischer Sonette: "Auch in der petrarkistischen Urkonstellation kämpfen zwei gegensätzliche Kräfte: die Weltverfallenheit und sinnliche Liebe zu Laura einerseits und die Weltentsagung und Liebe zu Gott andererseits. Man könnte auch sagen, dass in der von Petrarca sezierten Seele der Konflikt zwischen Affekt und Norm oder Individuum und Gesellschaft ausgetragen wird. Diese Gegensätze werden auch nicht aufgelöst; trotzdem bildet das Sonett eine geschlossene, einheitliche, harmonische Form. Der inhaltliche Konflikt tritt natürlich angesichts dieser strengen formalen Geschlossenheit des Sonetts umso deutlicher zutage".

Aus dem Forschungsbericht zur "Medien- und kulturwissenschaftlichen Ruinenbetrachtung" ist festzuhalten, dass die Beliebtheit der Ruine als Konzept auf ihrer Schwellenposition zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Natur und Kunst, Fragmentarizität und Totalität beruht.

Die anschließende Textbetrachtung fragt zunächst, ob man Petrarca (mit Hartmut Böhme und Karlheinz Stierle) auch als "Vater aller Ruinenpoesie" ansehen müsse und untersucht "Canzoniere" und "Secretum" unter diesem Aspekt. Schon hier fungiert die Ruine als Exemplum für die Vergänglichkeit alles Irdischen und damit auch des Menschen, wodurch Gebäude und Körper implizit verglichen werden. Anhand petrarkistischer Gedichte zeigt Hennigfeld überzeugend, inwiefern die Ruine zur Reflexion über anthropologische Grundfragen animiert, und kontrastiert melancholische Ruinenbetrachtung mit Verklärung. Erhellend ist auch der Exkurs zu französischen Prosatexten zur Ruine aus dem 18. Jahrhundert.

Gemeinsam ist den verschiedensprachigen Ruinentexten, so das Ergebnis der komparatistischen Untersuchung, der Rückgriff auf dieselben antiken und humanistischen Vorbilder, was Hennigfeld als Beweis für den "kulturellen Transfer in Zeiten politischer Auseinandersetzungen" ansieht. Neben semantischen Detailunterschieden hält Hennigfeld einen formalen fest: Während in Spanien vor allem Einzeltexte mit Ruinenthematik in Anthologien erscheinen, entstehen in Frankreich dazu vermehrt Sonettzyklen (von Joachim Du Bellay, Pierre de Ronsard, Olivier de Magny, Maurice Scève).

Der dritte Teil der Studie löst ihr eigentliches Versprechen ein, indem er zeigt, "wie zwei unterschiedliche Lyriktraditionen - Petrarkismus und Ruinenpoesie - im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert miteinander verschmelzen und dazu führen, dass der ruinierte Körper ein zentrales Thema von Sonetten wird". Impliziert dies, dass die Petrarkisten ohne den Einfluss der Ruinenpoesie niemals zerlegte, entstellte Körper präsentiert hätten? Könnte man nicht sagen, beides, die Ruinendichtung, die Bauwerke fokussiert, und die "culture of dissection", die auch im poetischen Menschenbild sichtbar wird, seien Phänomene einer Auseinandersetzung mit dem abstrakteren Prinzip des Verfalls wie jegliche barocke Vanitas-Motivik? Hennigfeld führt die Veränderung des Körperbildes hin zum ,ruinierten Körper' in der petrarkistischen Lyrik auf die Verbindung mit der Ruinenpoesie zurück.

Wichtiger als das Kapitel zu kritischen Darstellungen geschminkter Körper - gelesen als unterschwellige Kritik an der höfischen Gesellschaft - sind thematisch diejenigen über Du Bellays metaphorische Stadt-Bilder von Rom als totem Körper, Quevedos hässliche Körperruinen auf der Folie des Troja-Mythos und Ronsards alternde Körper sowie schließlich Lope de Vegas Präsentation der trojanischen Ruinen als Sinnbild für den seelisch zerstörten unglücklich Liebenden. Als überzeugenden Berührungspunkt zwischen Sonetten mit petrarkistischer Liebesthematik und solchen über Ruinen hebt Hennigfeld den topischen zerstörerischen Brand hervor, der den unglücklich entbrannten Liebenden (innerlich) ebenso wie das Gebäude (äußerlich) ruiniert. Auf mit der Thematik korrespondierende formale Indizien einer Auflösung des Textkörpers - ohne dass das Sonett als solches seine Form aufgäbe - macht Hennigfeld leider nur am Rande aufmerksam.

Ein abschließender Rückblick präzisiert, was nicht in jeder Einzeltextanalyse derart deutlich wird: "Das Sprechen über Liebe ist eine Möglichkeit, sich dem herrschenden Diskurs zu entziehen [...] Dem Körper kommt hierbei als nicht-logisches Element eine Schlüsselrolle zu. Das Sonett bietet sich für diesen unterschwelligen Diskurs an, weil es in seiner strengen Form ein körperhaftes Gefüge hat und so einen exemplarischen Text-Körper bildet. Das zeigt vor allem der antithetische Aufbau des Sonetts. Dadurch kann das Sonett diskursive Spannungen auf kleinstem Raum abbilden (ohne die Spannung aufzulösen) - vor allem zwischen Einheit (Sonettform) und Fragment (inhaltlich: Körper und Ruinen; formal: fragmentierte Text-Körper)".

Obwohl Hennigfeld in der Einleitung ankündigt, "[b]ei den Gedichtanalysen soll vor allem die Materialität des Sprachkörpers beachtet werden", geht sie auf das ,körperhafte Gefüge' - abgesehen von knappen Hinweisen auf die Analogisierung des Sonetts mit Körper und Bauwerk in der Forschungsliteratur - wenig ein. Die Semantik der Sonettform wird auf die Antithetik als wesentliches Merkmal reduziert und die Frage, warum die untersuchten Autoren ihre Sujets in der Sonettform transportieren, wird vor allem durch die intertextuelle Einbindung in der petrarkistischen Tradition beantwortet.

Überhaupt meidet die Autorin eine gattungstheoretische Auseinandersetzung und lässt die diesbezügliche neuere internationale Forschung außer Acht. Vielleicht kann man dies damit begründen, dass die Arbeit weniger philologisch als kulturwissenschaftlich ausgerichtet ist, was sich vor allem in den theoretischen Teilen zu Körper und Ruine zeigt. Die Ankündigung, "einige grundlegende Aspekte des Sonetts am Leitfaden der Kategorien Körper und Ruine anhand exemplarischer Gedichtanalysen zu entwickeln", ist insofern missverständlich, als es der Verfasserin eigentlich weniger um Erkenntnisse zum Sonett an sich als um die Diskurs-Verschränkung und ihr interkulturelles Ausmaß geht.

Trotzdem bietet die Studie wertvolle neue Erkenntnisse über die Sonettistik jener Zeit, genauer: eine Horizonterweiterung im Hinblick auf die thematische Bandbreite petrarkistischen Schreibens. Indem sie die typische unerfüllte Liebessituation abstrahiert, zeigt Hennigfeld sehr schön, wie andere Diskurse, zum Beispiel der Ruinendiskurs, in petrarkistischer Manier vertextet werden beziehungsweise im Sonett mit dem petrarkistischen Liebes- und Körperdiskurs verschmelzen. Dabei erweist sich der diskurstheoretisch-kulturwissenschaftliche Ansatz als überaus ertragreich, zumal er auf der Kenntnis diverser verschiedenartiger, internationaler Forschungsliteratur basiert.

Letzteres zeitigt als Ergebnis eine anspruchsvoll komparatistische Arbeit, die nicht nur die kanonischen, sondern auch unbekanntere Texte heranzieht, um bislang wenig beachtete intertextuelle Referenzen aufzudecken. Die Einzeltextanalysen enthalten reichhaltige Informationen (inklusive Einleitungen zum besprochenen Autor und Werk), die oft über das spezifische Anliegen hinausgehen und weitere interessante Aspekte aufzeigen. Exkurse werden dabei durch klare Einführungen und gute Resumées am Ende der großen Kapitel gezügelt. Hennigfeld legt eine in mehrfacher Hinsicht sehr inspirierende Studie vor, die der Petrarkismus-Forschung neue Perspektiven eröffnet.


Titelbild

Ursula Hennigfeld: Der ruinierte Körper. Petrarkistische Sonette in transkultureller Perspektive.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.
308 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783826037689

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