Gegen Windmühlenflügel

In "Tatsache Evolution" bekämpft Ulrich Kutschera den Kreationismus

Von Benno KirschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benno Kirsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der gelernte Pflanzenphysiologe Ulrich Kutschera aus Kassel hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht durch seine öffentlichen Interventionen gegen alles, was er unter dem Label "Kreationismus" subsumiert. Er hat unter anderem zwei Sammelbände zu diesem Thema herausgegeben. Auch sein Lehrbuch zur Evolutionsbiologie wird man diesem Themenkreis zuordnen dürfen, was sich bereits an dem Umstand ablesen lässt, dass die letzten drei von 12 Kapiteln dem Kreationismus und dem Verhältnis von Naturwissenschaften und Glauben gewidmet sind. Kutschera hat mehrere Aufsätze zum Thema publiziert, gibt Interviews und äußert sich in Publikumszeitschriften. Außerdem hat er mit einer von ihm initiierten Kampagne dafür gesorgt, dass der Genetiker Wolf-Ekkehard Lönnig seine wissenschaftlichen Arbeiten nicht mehr auf dem Server seines Arbeitgebers, des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung in Köln, veröffentlichen darf, sondern auf seine private Homepage ausweichen muss.

Doch nicht nur dem Kreationismus, den er für eine Gefahr für die menschliche Gattung hält, hat Kutschera den Kampf angesagt. Darüber hinaus ist es ihm ein Herzenswunsch, die Naturwissenschaften im allgemeinen und die Evolutionsbiologie, der er sich verschrieben hat, im besonderen von allem freizuhalten, was er als unwissenschaftlich ansieht. Das sind insbesondere vorwissenschaftliche Annahmen wie die von der Existenz Gottes oder anderer nicht-materieller Entitäten wie der Seele. Denn die Naturwissenschaften, glaubt Kutschera, kommen gänzlich ohne solche oder andere Vorannahmen aus und beschäftigen sich ausschließlich mit "realen" Dingen; um den irrationalen Rest können sich gerne die Religionen kümmern.

Für Kutschera folgt daraus, dass alles, was außerhalb seiner Erfahrungswelt liegt, aus den Naturwissenschaften herausgehalten werden muss: "Religiöse und politische Weltanschauungen (Ideologismen, auch '-ismen' genannt) haben in den Realwissenschaften keine Daseinsberechtigung." Denn: "Naturwissenschaft und somit Evolutionsforschung ist ein auf objektiven Fakten basierendes ideologiefreies Unternehmen, bei dem subjektive Glaubensinhalte (Götter, Geister und Designer) aus erkenntnistheoretischen und methodologischen Gründen ausgeklammert werden."

Was kann man, vor diesem Hintergrund, von dem neuen Buch Kutscheras erwarten, das pünktlich zum "Darwin-Jahr" erschienen ist? Über den Zweck lässt der Autor seine Leser leider weitgehend im Dunkeln. Sie erfahren immerhin, dass es "aus einem Seminar für Studierende der Biologie an der Universität Kassel hervorgegangen ist". Außerdem dies: "Ein Ziel dieses Buches ist es daher, die Tatsache der biologischen, (organismischen) Evolution und die wichtigsten erklärenden Theorien zum dokumentierten Artenwandel als logisch voneinander getrennte Sachverhalte darzulegen" (Hervorhebung des Autors). Über die weiteren Ziele muss spekuliert werden, zumal auch der Untertitel, der üblicherweise, wenn er gut gewählt ist, Aufschluss über den Inhalt gibt, wenig erhellend ist. "Was Darwin nicht wissen konnte" - das dürfte eine ganze Menge sein, jedenfalls mehr, als zwischen zwei Buchdeckel passt. Über Darwin erfährt man denn auch recht wenig und auch nur sehr Oberflächliches. Aber Kutschera ist weise genug zu wissen, dass er über den "geniale[n] Urvater der Evolutionsforschung" sowieso am besten schweigen sollte: "Dieser kurze Überblick [...] soll zeigen, dass über Charles Darwins Biographie im Grunde alles Wesentliche mehrfach gesagt wurde."

Um Darwin geht es also nicht. Und um Evolution geht es auch nur an zweiter Stelle, wie schnell klar wird, sie ist lediglich ein Vehikel. Worum es wirklich geht, sagt Kutschera nicht, doch sein Ziel offenbart sich auf nahezu jeder Seite: Kampf gegen "den Kreationismus". Zwar müsste selbst Kutschera wissen, dass die wenigen echten Kreationisten, die es in Deutschland gibt, weder für ihn noch für "die Wissenschaft" eine wie auch immer geartete Gefahr darstellen. Einen Beweis für deren Gefährlichkeit hat er jedenfalls noch nicht erbracht. Über diese Nebensächlichkeit geht er jedoch großzügig hinweg und kämpft weiter wie Don Quichotte gegen die Windmühlenflügel.

Alle zehn folgenden Kapitel sind dem Versuch gewidmet, die Wahrheit der Evolutionslehre zu beweisen und nicht-naturalistische Weltbilder in die naturalistischen Schranken zu verweisen. Im Verlauf dieser Apologetik stilisiert Kutschera Darwin ohne jedes Verständnis für die konkrete historische Situation zu einem der "geistigen Urväter der modernen Biogeneseforschung", zum "Urvater der Emotionen-Forschung bei Menschen und Tieren" und dergleichen mehr. Darwins Absicht sei es gewesen, das biblische Dogma von der Erschaffung des Menschen durch Gott zu widerlegen, wodurch er sich von "seinen theologisch indoktrinierten Kollegen" unterschieden habe. Allerdings habe Darwin nicht den letzten Schritt gehen und der kirchlichen Behauptung über den Beginn des Lebens auf der Erde gleichsam den Todesstoß versetzen können, weil dies zu gefährlich gewesen wäre. "Die Kreationisten seiner Zeit hätten dem ängstlich-zurückgezogen lebenden Naturforscher wohl großen Ärger bereitet (Protestaufmärsche vor seinem Anwesen usw.)." Oder noch schlimmer: "Darwins Villa wäre möglicherweise von protestierenden Christen umstellt worden usw."

Was Darwin nicht wusste, weiß Kutschera. Was Darwin nicht wagte, wagt Kutschera. In dem Buch erfährt man sehr viel über verschiedene Aspekte der Biologie und das Studium der Erdgeschichte. Nach der Lektüre hat man außerdem das Gefühl, dass die Käferforschung ein ganz schön interessantes Gebiet sein muss. Dass die Erde mehrere Millionen Jahre alt ist, hatte man zwar schon vorher irgendwo gelesen, aber es kann zumindest nicht schaden, wenn einem diese Information noch einmal auf mehreren Seiten ausgebreitet wird. Bei diesen Passagen zeigt sich, dass Kutscheras Stärke in der unphilosophischen, auf die technisch-instrumentellen Aspekte reduzierte Erforschung der Natur liegt. Leider spielt er diese Stärke nicht aus, weil er den Leser an seinem Wissen nur teilhaben lässt, um ihm seine atheistische Botschaft einzuimpfen: Es gibt keinen Gott, es gibt keine Schöpfung, und was wir sehen, ist das Resultat der blinden Evolution. Solche Bekenntnisliteratur kann manchmal amüsant sein, meistens aber ist sie ärgerlich, weil sie im Gewand der Wissenschaftlichkeit daherkommt. Darüber hinaus versteigt sich Kutschera des Öfteren zu Polemik und Verleumdungen seines Gegners; so ist der Satz "Nach christlicher Dogmatik ist die Welt vor einigen Jahrtausenden erschaffen worden" einfach falsch. Dieses Vorgehen ziert keinen Autor, auch Kutschera nicht.

Die zahlreichen einfältigen Behauptungen zur Wissenschaftstheorie, Kutscheras schlechter Stil, seine kruden Vergleiche und Analogien, die überraschenden Exkurse und nicht zuletzt die teilweise eigenartigen Illustrationen nebst ihren kaum minder befremdlichen Beschriftungen sollen an dieser Stelle nur erwähnt werden.

Wie die anderen Kampfschriften Kutscheras ist auch dieses Buch nicht als Aufklärung über ein bestimmtes Problem, als Klärung einer wissenschaftlich oder politisch interessanten Frage zu verstehen. Sondern man muss das Buch als Symptom begreifen: nicht nur für die Verirrungen eines Wissenschaftlers, dessen Bekenntnisdrang überhandnimmt, sondern auch und zuerst für die Krise der Evolutionstheorie darwinistischer Provenienz, die Kutschera glaubt, so aggressiv und mit so peinlichen Ergüssen verteidigen zu müssen. Um zu erkennen, dass die Theorie in einer Krise steckt, muss man wahrlich kein Kreationist sein: "Die meisten Biologen", sagt der Molekularbiologe James Shapiro, "scheuen sich, über Evolution anders zu denken als auf die Art, die sie gewohnt sind; Kollegen aus anderen Disziplinen tun sich da leichter. Aber es hat schon etwas Schizophrenes: Vielen Biologen ist mehr oder weniger bewusst, dass die konventionelle Sicht nicht mehr zu halten ist. Aber das sagt kaum einer öffentlich. Es ist praktisch ein Tabu."

Kutschera gehört zu jener Sorte Biologen, die das Tabu aufrecht erhalten möchten. Auf der einen Seite hetzt er nach Kräften gegen Kreationisten und Christen (als Beispiele für "politisch-religiöse Ideologien" nennt er "Sozialismus, Marxismus, Katholizismus usw." und spricht von "spezielle[n] Schöpfungsakte[n] eines übernatürlichen Geistwesens"), auf der anderen Seite formuliert er immer waghalsigere Thesen und errichtet neue Theoriesysteme wie das "Synade-Modell", das "als allgemeine General-Theorie der biologischen Evolution zu betrachten" sei. Er dreht und verdreht und schraubt und hämmert und sägt, bis alles wieder zu seinem Darwin passt. "Was ist in unserem integrativen Synade-Modell der Makroevolution von Darwin (1859/1872) übrig geblieben?" fragt Kutschera. "Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt. Der Pionier der systematischen Evolutionsforschung, die mit Lamarck (1809) einsetzte, hatte mit seinen fünf höchst originellen Theorien (bzw. Konzepten) zur Abstammung der Organismen im Prinzip recht, obwohl er sich in vielen Details geirrt hat, was wiederum maßgeblich auf das begrenzte Faktenwissen der damaligen Zeit zurückzuführen ist." Das ist nicht gerade überzeugend. Man muss dringend davon abraten, dieses Buch zur Hand zu nehmen.

Übrigens: Wer wissen will, was es mit den "Tatsachen", für die Kutschera Evolution ausweislich des Titels hält, auf sich hat, der lese "Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache" von Ludwik Fleck. Hier beschreibt der 1961 verstorbene polnische Mediziner, wie sich neue Erkenntnisse in einem windungsreichen, komplexen Prozess durchsetzen und langsam als "Tatsache" akzeptiert werden. Das zu Unrecht wenig beachtete Buch ist erstmals 1935 erschienen.


Titelbild

Ulrich Kutschera: Tatsache Evolution. Was Darwin nicht wissen konnte.
dtv Verlag, München 2008.
340 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783423247078

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