Die Geschichtspolitik der Sieger

Wolfgang Wippermann schreibt über die Dämonisierung der DDR

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vergleiche zwischen dem Nazi-Regime und den Regierungen der sozialistischen Länder haben eine lange Geschichte. Manchmal werden sie auf kritische Nachfragen hin dadurch legitimiert, ein Vergleich bedeute schließlich keine Gleichsetzung – doch läuft es am Ende doch fast immer darauf hinaus, strukturelle oder moralische Parallelen zu behaupten. Da ändert es wenig, dass die DDR weder einen Weltkrieg noch einen Völkermord zu verantworten hat. Die Behauptung des Schriftstellers und Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs, die Stasi habe ein „Auschwitz in den Seelen“ zu verantworten, ist nur eine besonders missglückte Metapher für einen verbreiteten Irrtum.

Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann hat sich bereits in zahlreichen Publikationen mit solchen Vergleichen beschäftigt und nun ein übersichtliches, einfach geschriebenes Buch vorgelegt, das einführenden Charakter hat und auch neueste Entwicklungen berücksichtigt. Dabei legt er den Schwerpunkt weniger auf die Berechtigung von Vergleich oder Gleichsetzung – aber das ist auch nicht notwendig. Wenige, kurze Anmerkungen genügen, um die wesentlichen Unterschiede zwischen „Drittem Reich“ und DDR überzeugend darzulegen. Um so interessanter wird die Frage, weshalb die Parallelisierung zwischen beiden Systemen dennoch eine so große Rolle in der öffentlichen Diskussion spielen kann.

Zunächst zeichnet Wippermann die Konjunktur der Totalitarismusdoktrin während des Kalten Kriegs nach. Den geläufigeren Ausdruck „Totalitarismustheorie“ lehnt er ab, weil es sich weniger um einen wissenschaftlichen Ansatz als um einen politischen Kampfbegriff handele. Das mag etwas zu genau sein – in den Sozialwissenschaften lässt sich beides nicht immer trennen. Doch wird deutlich genug, dass der Erklärungswert der Totalitarismusdoktrin so gering zu veranschlagen ist wie die politische Macht, die sie im Westen beförderte, groß war.

Um 1970 verlor der Ansatz denn auch an Bedeutung. Zum einen passte er nicht recht in die Entspannungspolitik. Zum anderen scheiterte das starr typologische Herangehen, das Wesen einer Herrschaft durch Definition bestimmter Merkmale zu erklären, an der unverkennbaren Entstalinisierung der sozialistischen Länder. Als polemischer Ersatzbegriff setzte sich dann „Extremismus“ durch. Das Schema, die Extreme von links und rechts würden gemeinsam die freiheitliche Grundordnung bedrohen, wurde anhand der Weimarer Republik veranschaulicht, die angeblich von Nazis und Kommunisten gemeinsam zerstört worden sei. In einem instruktiven Exkurs führt Wippermann aus, dass davon keine Rede sein kann. Die beiden „Extreme“ verfolgten tatsächlich völlig unterschiedliche Ziele und bekämpften sich. Die NSDAP kam dann auch in einer Koalition mit bürgerlichen Kräften, legitimiert vom konservativen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, an die Macht. Richtig stellt Wippermann fest, dass die Weimarer Republik nicht von rechts und links, sondern von oben und aus der Mitte der Gesellschaft heraus demontiert wurde.

Doch haben Tatsachen im propagandistischen Kampf nur eine sekundäre Bedeutung. Der größere Teil von Wippermanns Buch ist der Renaissance der Totalitarismusdoktrin seit dem Ende der DDR gewidmet. Dabei stellt sich der Autor keineswegs als Sympathisant des untergegangenen Systems heraus. Im Gegenteil legitimiert er seine Kritik an der DDR, in expliziter Opposition zu jeder Ostalgie, durch die überflüssige Behauptung, dass in der DDR „der Terror grundsätzlich jeden und fast an jedem Ort“ erfasst habe. Dies nun ist eine Dämonisierung eines zuletzt recht nachlässigen Regimes, die weit übertreibt. Die DDR war ohne Zweifel eine Diktatur; doch war sie eine Diktatur, die vor allem in ihren letzten Jahren viele Freiräume für einen von „Terror“ unberührten Privatbereich ließ. Will man ihre Endphase analysieren, so taugt wohl weniger das Stichwort: „Terror überall“, sondern eher „der verlorene Glaube an den Erfolg“.

Meist aber dämonisiert Wippermann die DDR, die er offensichtlich nicht leiden mag, trotzdem nicht, sondern er zeigt, wie ihre Überbleibsel zum Objekt der Sieger von 1989/90 wurden. Dabei ist das Psychogramm von so fanatischen Anklägern wie Joachim Gauck und Hubertus Knabe ebenso lesenwert wie die Analyse des „Forschungsverbunds SED-Staat“, den an der FU Berlin zuvor von jeder Kenntnis der DDR unberührte Ideologen auf Kosten ausgewiesener Forscher mit politischer Unterstützung durchzusetzen vermochten.

Nirgends ging es darum, auf Grundlage wissenschaftlicher Standards die Geschichte der DDR zu analysieren. Vielmehr waren Anklage und Verurteilung das Ziel. Dem archivarisch unseriösen und politisch denunziatorischen Umgang der Gauck-Behörde mit DDR-Akten entsprach die Enquêtekommission des Bundestags zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, in der wissenschaftliches Herangehen einer einseitigen Geschichtspolitik geopfert wurde.

Entsprechend trübe fällt Wippermanns Fazit aus. Die DDR wird durch den Vergleich mit der NS-Diktatur dämonisiert – und gleichzeitig wird letztere verharmlost. Dass „Dämonisierung der DDR und Relativierung des Drittens Reichs zwei Seiten des gleichen geschichtspolitischen Revisionismus“ seien, scheint zwar unlogisch – in dem Maße, in dem das „Dritte Reich“ relativiert wird, taugt es nicht mehr zur Dämonisierung, so sollte man jedenfalls meinen. Doch funktioniert Propaganda nicht nach den Regeln der Logik. In der emotionalen Suggestion kann sowohl das eine als auch das andere funktionieren.

Doch fragt sich entgegen Wippermanns pessimistischem Fazit, ob es funktioniert und ob es durch diesen Zusammenhang funktioniert. Für die Relativierung des „Drittens Reichs“ ist ein anderer Diskurs, den Wippermann nur kurz nennt, wohl wichtiger: dass die Deutschen als eine Opfergruppe unter vielen definiert werden und die unzweifelhaften Leiden, die Bombenkrieg und Vertreibung aus dem ehemals deutschen Osten bedeuteten, geschichtspolitisch ausgebeutet werden. Die Dämonisierung der DDR stößt auch auf Widerstand: Wippermann weiß von einer durchaus skeptischen DDR-Forschung zu berichten, die ohne vergröbernde Vergleiche auskommt. Nur ist diese öffentlich weniger präsent. Mit der Debatte um die sowjetischen Speziallager am Ort ehemaliger Nazi-Konzentrationslager stellt Wippermann auch einen Sektor vor, auf dem internationale Opferverbände das Schlimmste verhindern konnten. So wird in Buchenwald, bedingt auch in Sachsenhausen, an die alliierten und übrigens auf US-Initiative eingerichteten Lager nach 1945 erinnert, ohne dass es zu einer primitiven Gleichsetzung zwischen dem Massenmord der Nazis und späteren Hunger- und Kälteopfern käme.

Vielleicht ist der Erfolg der Totalitarismus- und Extremismusdoktrinen noch umfassender zu bezweifeln. Dieselben Personen, die guten Glaubens Extreme von rechts und links gleichermaßen verwerfen, können identifikatorisch einen Film wie „Good Bye Lenin“ sehen und würden eine scheinbare Entsprechung „Good bye Hitler“ zu Recht empört ablehnen. Hier zeigt sich die begrenzte Reichweite von Doktrinen, die sich auf keinerlei Realität beziehen: Sogar diejenigen, die die heute geltende Staatsdoktrin auswendig gelernt haben, wissen dabei doch, dass jeder Vergleich der Nazi-Verbrechen mit anderen Handlungen in die Irre führt. In einer „SED-Nachfolgepartei“ zu sein diskriminiert ihre Angehörigen unvergleichlich weniger als es die Mitgliedschaft in einer „NSDAP-Nachfolgepartei“ täte, und dies ganz zu Recht. Wippermann zeigt, wie falsch die Totalitarismusdoktrin ist und wie versucht wird, sie durchzusetzen; das ist wertvoll. Wie erfolgreich sie in der Praxis ist – angesichts eines Kapitalismus, der gerade jetzt sein Nicht-Funktionieren anschaulich macht –, das bleibt genauer zu untersuchen.

Titelbild

Wolfgang Wippermann: Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich.
Rotbuch Verlag, Hamburg 2009.
160 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783867890601

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