Ein Sommertag mit Sonnenritterschlag
Annette Hagemanns Gedichtband „Streit mit dem Sonnengott“
Von Thorsten Schulte
Besprochene Bücher / Literaturhinweise
Reisen und leben wie Björk, den Schlaf erforschen, sich selbst definieren und den Rand der Schönheit erleben – die Überschriften der vierundvierzig Gedichte in Annette Hagemanns literarischem Debüt „Streit mit dem Sonnengott“ versprechen eine spannende Reise. Hagemann nimmt den Leser in gleißendem Licht mit auf eine Reise in Helios’ Wagen. Die Welt wird jung, zerfällt und setzt sich in funkelnden Splittern wieder zusammen. Lautlos bewegen sich diese Teilchen: einzelne Worte, die scheinbar keinen Sinn ergeben. Der Leser kann sich des Eindrucks nicht erwehren, er sehe die Welt im Gegenlicht. Und doch strömen immer neue Bilder aus den Zeilen. Die Gedichte sind nicht euphorisch und gewaltig, sondern eher punktloses Sinnen, zielloses Wohlgefallen an der fühlbaren Fülle der Dinge.
Jede sinnliche Erfahrung wird mit Licht verbunden. Ein kunstvoller Höhepunkt des Lichtspiels ist das Glimmen zweier Zigaretten. Zwei Menschen rauchen synchron – voneinander getrennt und nur verbunden über die Mobiltelefone. Sie „sprechen sich“ mit nackten Füßen an einem Sommerabend im Freien sitzend „fast wund“. So ist die Funkverbindung der Träger der Sehnsucht und der Liebe. Doch große Liebesmythen verdampfen in den Gedichten von Hagemann wie Sommerregen in der Wärme der Abendsonne. Hier werde nur am „Leierkasten der Liebe“ gekurbelt, wird die Situation entzaubert. Begann im ersten Gedicht der Tag, so endet die Reise des „Streits mit dem Sonnengott“ in der Dunkelheit und mit der Frage, weshalb man jeden Tag erwachen sollte. „Es gibt keinen Menschen der nicht verschwindet“, resümiert das lyrische Ich fast verzweifelnd. Vanitas vanitatum, et omnia vanitas. Romantische Bedürfnisse sind trotzdem längst nicht obsolet und tauchen in den meisten Gedichten auf. Das lyrische Ich stellt fest, dass die Welt nicht jeden Tag „alle deine Erwartungen so skrupellos nieder[streckt] wie du es nun schon erwartest“.
Annette Hagemann arbeitet seit 2001 hauptamtlich im „Literaturbüro Hannover e.V.“. Dort moderiert sie Lesungen und sucht nach jungen Talenten, „mit Spannung kann man den Start einiger neuer Stimmen bei uns verfolgen“, wirbt die Homepage für den Verein. Vermutlich gab der tägliche Umgang mit den verschiedensten Autoren Annette Hagemann den Mut, ihre eigenen, ungewöhnlichen Texte drucken zu lassen. Wie praktisch, dass der Wehrhahn Verlag nur 5.900 Meter vom Künstlerhaus und somit Hagemanns Arbeitsplatz entfernt ist. Der Verlag wagt es, auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten moderne Lyrikeditionen zu vermarkten. Dass er nun Hagemanns „Streit mit dem Sonnengott“ veröffentlicht hat – beweist ökonomische Risikobereitschaft. Lyrische Risikobereitschaft attestiert auch der unermüdliche Verleger und Autor Michael Krüger auf dem Klappentext des Buches den Gedichten. Ihm gefalle „das Übermütige, die unverhofften Verbindungen“.
Annette Hagemann gelingt es, immer das zu thematisieren, was sich am Leben eher nicht verständlich machen lässt. Es bleibt daher auch zuletzt immer eine Rätselhaftigkeit. Hagemann bündelt mit quasiexpressionistischer Emphase Tag und Nacht, Leben und Tod, Triviales und Erhabenes, Gemeines und Feines, Privates und Mythologisches zu einem bunten Strauß. Sie geht interessante Wege, aber die Unabgeschlossenheit stört und hinterlässt das Gefühl von Unzufriedenheit. Nicht zuletzt entsteht die Rätselhaftigkeit auch durch die Form. Ohne Punkt und Komma prasseln die Bilder auf den Leser ein. Syntaktische Konstruktionen werden abgelehnt. Alle Wörter sind durchgängig klein geschrieben. Hagemann will ihren Gedichten keine Schranken setzen, sie will die Fesseln der Form sprengen. Einige Splitter bleiben scheinbar überflüssig. Die Fragmente rotieren im Kopf des Lesers und setzen sich neu zusammen.
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