Auf der Flucht

In „Exiles Traveling“ bündelt Johannes F. Evelein Betrachtungen zur Exilkunst und den Bedingungen ihrer Entstehung

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Begriffe „Reise“ und „Exil“ beschreiben beide eine räumliche Versetzung des Individuums. Während „Reise“ jedoch durchwegs positiv konnotiert ist – man macht eine Reise, um fremde Länder und Kulturen kennen zu lernen, um Entspannung und Abwechslung vom Alltag zu suchen oder um sich neue Fähigkeiten anzueignen –, wird „Exil“ mit Gefühlen der Verbannung aus der Heimat, der Verstoßung aus der Gesellschaft und der Abtrennung aller zur Heimat bestehenden Wurzeln assoziiert. Handelt es sich beim ersten Fall um freiwillige Versetzung, die stets aus der beruhigenden Sicherheit hervorgeht, einen Ort zu haben, an den jederzeit zurückgekehrt werden kann, so ist diese Versetzung im zweiten Fall erzwungen und geht mit Gefühlen der Diskontinuität, der Einsamkeit und Verlorenheit einher. Inwiefern lassen sich aber auch Überschneidungen zwischen diesen beiden verwandten und dennoch grundverschiedenen Themen ausmachen? Wie gingen deutsche Autoren, Dichter, Künstler und Musiker, die ihre Heimat als Folge der Machtübernahme der Nazis verlassen mussten, mit der Erfahrung des Exils um und wie spiegeln sich diese in ihren Werken wieder? Wirkt deren Exilerfahrung auch auf die Rezeption ihrer Werke?

Fragen wie diese erörtern die im von Johannes F. Evelein herausgegebenen Band „Exiles Traveling: Exploring Displacement, Crossing Boundaries in German Exile Arts and Writings 1933-1945“ gebündelten Beiträge. Die Terme „Exil“ und „Reise“, die als Ansatzpunkt dienen, werden „as translations of broad experiences and practices whose translatedness underscores both their rich meaning and obvious limitations“ benutzt. In einem einleitenden Essay werden daher zunächst die Grenzen der Terminologie aufgezeigt und die Themengebiete eingegrenzt. Die folgenden, teils auf Deutsch, teils auf Englisch verfassten Beiträge sind in drei Kategorien eingeteilt: Topografien und Chronotopen des Exils, Grenzüberschreitung und Erzählen exilischen Reisens.

Dabei stehen Aspekte der Kulturkontakte und der vielfältigen inter- und transkulturellen Austauschprozesse im Mittelpunkt. Nicht nur die Wahrnehmung der fremden Kultur durch die Exilanten wird erörtert, sondern auch, wie die Neuankömmlinge von ihren Mitbürgern aufgenommen und behandelt wurden. Konkret werden Exilländer wie die USA, Ostasien (vor allem Japan), Belgien und Brasilien besprochen. Einfluss des Exils auf Thematik, Sprache und Stil im Werk von Autoren und Autorinnen wie Thomas und Klaus Mann, Irmgard Keun, Stefan Zweig, Anna Seghers und Lion Feuchtwanger, um nur einige zu nennen, werden anhand konkreter Fallbeispiele diskutiert. Als Kontrast werden auch Reisen von dem Nationalsozialismus nahe stehenden Autoren, wie zum Beispiel Hans Friedrich Blunck, einem bekannten Vertreter der „Blut und Boden-Ideologie“, untersucht. Außerdem wird die Frage erörtert, inwiefern Reiseliteratur und Exilliteratur vergleichbar sind. Die Betrachtungen in diesem Band beschränken sich aber keineswegs auf die Literatur. Genauso werden Verarbeitungen von Exilerfahrungen in Filmen und der Umgang mit dem Exil durch Musikschaffende beleuchtet.

Als sehr positiv seien zwei Aspekte anzuführen: Erstens schaffen es die am Sammelband mitarbeitenden Autoren und Autorinnen, das Spannungsverhältnis zwischen „hier“ und „da“, dem „Eigenen“ und dem „Fremden“, dem „Einheimischen“ und dem „Außenseiter“, das in manchen der diskutierten Fälle vor, nach und auch während des Exils währte, deutlich abzubilden. Zweitens werden, ausgehend vom Totalitarismus des 20. Jahrhunderts, der viele Menschen ins Exil zwang, auch Anknüpfungsmöglichkeiten ans 21. Jahrhundert gesucht, wo der Begriff „Heimat“ im Zuge von Prozessen wie Dynamisierung und Globalisierung stets mehr an Bedeutung verliert. Dieses breite Spektrum an Ansatzpunkten sowie die klare Sprache machen „Exiles Traveling“ zu einer Bereicherung auf dem Sektor der Exilforschung.

Titelbild

Johannes F. Evelein (Hg.): Exiles Traveling. Exploring Displacement, Crossing Boundaries in German Exile Arts and Writings 1933-1945.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2009.
392 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9789042025400

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