Einführung für ein breiteres Publikum

Kurt Meyer schreibt über Leben und Werk des Basler Historikers, Kultur- und Kunstwissenschaftlers Jacob Burckhardt

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Tod von Jacob Burckhardt im Jahr 1897 ist eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit seinem Werk innerhalb der Geschichtswissenschaften festzustellen, besonders seit Beginn der 90er-Jahre des letzten Jahrtausends. Die seit 2000 von der Jacob-Burckhardt-Stiftung in Basel verantwortete Herausgabe seines auf 29 Bände angelegten Gesamtwerkes hat das wissenschaftliche Interesse an seinen Schriften neu entfacht. Ein „Jacob-Burckhardt-Preis“ wird seit 2004 von der Max-Planck-Gesellschaft an junge Nachwuchswissenschaftler verliehen. In den Rahmen dieser anhaltenden Konjunktur von Burckhardts Schriften reiht sich die in diesem Jahr erschienene Biografie des Philosophen Kurt Meyer ein, die dritte nach den Monografien von Werner Kaegi und Karl Löwith.

Nach einem kurzen Abriss, in dem der Autor versucht, Burckhardts Persönlichkeit als Konservativer und Kritiker der heraufziehenden Moderne sowie sein wissenschaftliches Vermächtnis schlaglichtartig zu erhellen, werden Burckhardts Studienjahre in Berlin und Bonn und die Jahre bis 1848 dargestellt. Anschließend werden die daraus resultierenden Konsequenzen für Burckhardts zeitlebens gültige politische Auffassungen wie für seinen beruflichen Werdegang dargestellt. Dies geschieht auf der Grundlage der von Kaegi erarbeiteten Biografie und wird mit zahlreichen Zitaten aus Briefen und anderen Schriften des Schweizer Wissenschaftlers belegt.

Die während Burckhardts Lebenszeit veröffentlichten Werke („Die Zeit Constantins des Großen“, 1853; „Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens“, 1855; und „Die Kultur [und die Kunst] der Renaissance“, 1860) werden unter der Kapitelüberschrift „Der Klassische Burckhardt“ dargestellt. Dies geschieht unter der Prämisse von Burckhardts bereits erwähnter politisch konservativer Gesinnung, deren Ziel es war, die kulturellen Werte Alteuropas für die von geistiger Verflachung bedrohte moderne Massengesellschaft zu retten. Ausdrücklich erwähnt wird in diesem Zusammenhang auch Burckhardts Abneigung gegen jede Art von Geschichtsphilosophie, der er seine aus der Anschauung gewonnenen Einsichten gegenüber stellte.

Der zweite umfangreichere Teil widmet sich dem Werk aus dem Nachlass. Zunächst werden die Monografien („Erinnerungen aus Rubens“, „Griechische Culturgeschichte“ und „Weltgeschichtliche Betrachtungen“, 1905) vorgestellt. Anhand des letztgenannten Werkes (nach Burckhardts Tod von einem Verwandten herausgegeben) stellt der Autor auch erstmals eine wissenschaftliche Methodik Burckhardts vor, deren Ziel darin bestand, anhand der gegenseitigen Durchdringung der drei Potenzen Staat, Religion und Kultur historische Entwicklungen aufzuzeigen.

Im Folgenden Kapitel werden die Vorträge Burckhardts in Form von Rekonstruktionsversuchen auf der Basis studentischer Notate dargestellt. Darin ist sicherlich ein gelungener Einblick in Burckhardts Arbeitsweise zu sehen, besonders in Bezug auf die derzeitigen Editionsvorhaben: Ende dieses Jahres soll die Ausgabe der Unterlagen zur Vorlesung „Geschichte des Revolutionszeitalters“ erscheinen. Diese Vorlesung wird von Meyer ebenfalls einem Rekonstruktionsversuch unterworfen.

In Zusammenhang mit Burckhardts Briefen, die den Wissenschaftler in seinen menschlichen Beziehungen greifbar werden lassen – etwa in den einfühlsamen Briefen an einen jungen Schüler Burckhardts – wird auch sein Antisemitismus kurz zur Sprache gebracht. Ein weiteres Kapitel ist seiner Bedeutung für die Entwicklung der Disziplin der Kunstgeschichte gewidmet: etwa indem er als einer der Ersten die Bedeutung der Fotografie für die Kunstbetrachtung erkannte und förderte oder durch seine Forschungen zur Holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts.

Unter der Überschrift „Zwei Wegmarken“ werden die bereits angesprochenen früheren Biografien Burckhardts diskutiert, die vom Autor selbst mehrfach heran gezogene materialreiche Arbeit von Kaegi und die weitaus Unbekanntere von Löwith. In dieser 1936 veröffentlichten Biografie wird Burckhardt angesichts der bedrängenden Zeitläufte zum anti-nietzscheanischen Garanten der gedanklichen Mitte aufgerufen.

In einem letzten Kapitel wird die Person Burckhardts als Mensch, Europäer und munterer Weltweiser gewürdigt. Darin gibt sich auch der Charakter des Buches zu erkennen, das sich mehr als eine an ein breiteres Publikum von Interessierten gerichtete Einführung in das Leben und Denken Burckhardts versteht, als eine fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Burckhardts Werk. Dieser Absicht kommen die flüssige Schreibweise und zahlreiche über den Text verstreute Abbildungen entgegen.

Seine biografischen Ausführungen belegt der Autor mit zahlreichen ausführlichen Zitaten aus den genannten Werken Burckhardts, zu deren Verständnis es jedoch erforderlich wäre, in ihrem wissenschaftstheoretischen und zeitgeschichtlichen Kontext erfasst und eingebunden sowie in ihrer gedanklichen Komplexität für den Leser entschlüsselt zu werden. Auf diese Weise ließe sich Verkürzungen von Meyer vorbeugen, wie beispielsweise der, die Griechen wären einer tragischen Weltsicht und lebensverneinenden Philosophie gefolgt, die sie mit kulturellen Hervorbringungen kompensiert hätten. So werden die vielfältigen Facetten von Burckhardts Denken von Meyer lediglich angesprochen, anstatt einer tieferen Analyse unterzogen zu werden.

Titelbild

Kurt Meyer: Jacob Burckhardt. Ein Portrait.
Wilhelm Fink Verlag, München 2009.
286 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770547968

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