Menschenleere Uferpromenaden

Joachim Sartorius genießt Istanbuls Prinzeninseln

Von Christophe FrickerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christophe Fricker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer in Oxford „Modern History“ studiert, beginnt seinen Kurs nicht etwa 1918 oder 1492, sondern mit dem Jahr 285. Die moderne Welt begann damals insofern, als der römische Kaiser Diokletian die östliche Hälfte des immer schwerer zu regierenden Reiches mit einem eigenen Kaiser ausstattete. Die Unabhängigkeit eines neuen selbstbewussten Machtraums am östlichen Mittelmeer mit eigenständiger politischer, religiöser und kultureller Identität nahm damit ihren Anfang und Byzanz, Konstantinopel und schließlich Istanbul war von etwa 330 bis 1923 eine kosmopolitische Hauptstadt mit weiter Ausstrahlung.

Die teils in Asien, teils in Europa gelegene Metropolregion hat ein stilles Zentrum in den Kizil Adalar, den Prinzeninseln im Marmarameer. Ursprünglich ein Verbannungsort für in Ungnade gefallene Mitglieder des Hofes – daher der Name –, entwickelten sich die Inseln im 19. Jahrhundert zu einem stillen Erholungsgebiet mit traditionellen Hotels und Restaurants. Auch heute noch sind Pferde und Esel die einzigen erlaubten Fortbewegungsmittel.

Joachim Sartorius hat nun eine Liebeserklärung an diese Inseln veröffentlicht, einen schmalen Reiseessay aus ganz persönlicher Perspektive. Der weit gereiste Kosmopolit Sartorius findet hier auch selbst einen ruhigen Aufenthalt. Die Inseln mit ihrem Charme ziehen ihn an. Er unterhält sich mit seinen Freunden, etwa Orhan Pamuk oder Ara Güler, und mit zahlreichen einfachen Menschen über die historische Topografie der Inseln, und er spielt mit der Idee, eines der stolzen Anwesen auf der Insel zu kaufen – vielleicht ja sogar die Villa, in der Leo Trotzki im Exil war. Mehrfach spricht er die ethnischen Säuberungen an, denen die Griechen und anderen Minderheiten in der Türkei zum Opfer gefallen sind.

Sartorius ist ein erfahrener Reisender, ein feiner Beobachter und ein reifer Autor. Ihm gelingt in beeindruckender Mühelosigkeit das Hin und Her zwischen einem fest in der Realität verwurzelten Gesprächston – hier wird geschwätzt, hier gibt es Durchgeknallte und Penner – und einem poetischen Register, das in den dicht an dicht ausgeworfenen Angelschnüren auf einer Brücke „die Saiten eines riesigen Instrumentes“ erkennt oder das Aussehen eines bärtigen Unternehmers mit Johannes Brahms statt etwa mit Karl Marx vergleicht. Wendungen wie „unglaubwürdiges Blau“ oder „schwelgerische Trägheit“ sind weitere Beispiele dieses Stils. Besonders gelungen sind die kurzen Passagen, in denen aus der Perspektive des Betrunkenen berichtet wird. Keine leichte Aufgabe, die er oft sehr gut löst: Die Teilnehmer eines Symposiums „schweben gleichsam im Raki“, nachher bei der Fahrt zurück „sausen [die grünen Pinien] an meinen Ohren vorbei. Licht und Schatten.“

Er scheut sich auch nicht, sich zuweilen kritisch von seinen Gesprächspartnern und seinen literarischen Vorgängern abzusetzen: Er verurteilt Manifestationen orthodoxer Religiosität als „reichlich anachronistisch“ und sieht darin „absurde Züge skurriler Beharrlichkeit“. Und er verbleibt im Denken von der Trennung der Welten: Wenn er glücklich ist, beginnt erst hinter dem Horizont „die wirkliche Welt.“ Was aber ist dann das, was er so welthaltig beschreibt? Umso beruhigender, ermutigender ist es zu lesen, dass Sartorius doch sagen kann: „Ich bin glücklich.“ Ein schöner Satz, mit dem ein Kapitel endet. Ein glückliches Buch über einen schönen Teil der wirklichen Welt, das mit der Abreise des Autors zu Beginn des Winters ein klangvolles Ende findet.

Titelbild

Joachim Sartorius: Die Prinzeninseln.
Mare Verlag, Hamburg 2009.
124 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783866481169

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