Objekte, Ausschnitte, Fluchten
Ursula Fricker skizziert in „Das letzte Bild“ das Leben eines Photographen
Von Jennifer Baden
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Noch am Tag vor Josephines Ankunft war er an der Oder gewesen, um zu fotografieren. Seither hat er nur seine früheren Fotos betrachtet. Immer wieder. Als sähe er die Dinge jetzt endlich klar, weiß er, dass er nie mehr ein besseres Bild machen wird“. Es ist dieses letzte Bild, das dem erfolgreichen Photographen Floyd noch gelingt, bevor mit dem Besuch seiner Tochter Josephine – zehn Jahre hat er sie nicht gesehen – die Vergangenheit über ihn hereinbricht und sein Leben verändert.
„Das letzte Bild“ lautet auch der Titel des Romans. War die Handlung von Ursula Frickers Romandebüt „Fliehende Wasser“ (2004) im kleinbürgerlichen Milieu der Schweiz der 1950er und 60er Jahre angesiedelt, so erzählt „Das letzte Bild“ von dem unkonventionellen Leben eines aus England stammenden Photographen, der sich nach der Flucht vor Frau und Tochter in der Nähe von Berlin niedergelassen hat. Von der Gegenwart im neuen Jahrtausend aus wird mittels unterschiedlich weit reichender Rückblenden seine Vergangenheit aufgerollt: die kurze, glückliche Liebe, das ungeplante Kind, die Ausbildung zum Photographen, Freundschaften, die Jugend und vor allem immer wieder das Leben in der Kleinfamilie, das dem Protagonisten stetig unerträglicher wird, bis er ausbricht.
Floyd bleibt Photograph, daran ändert der erste Bruch in der Biographie noch nichts. Der Text spiegelt die Profession der Hauptfigur zuweilen wider, indem Beobachtungen als Blicke durch die Kamera inszeniert werden: „Ich bin schwanger, sagte sie. Nahaufnahme ihres Mundes, der sich öffnete und schloss“. Auf die Suche nach geeigneten Motiven fixiert, mit einem alles auf Objekte für die Kamera reduzierenden und somit reduzierten Wahrnehmungsvermögen – so erscheint Floyd vor allem in den Rückblenden. Mit solchen „Nahaufnahmen“ wird zwar die Bedeutung mancher Szenen geschickt hervorgehoben, doch die Photo-Thematik selbst ist insgesamt oberflächlich ausgearbeitet. Obwohl schon der Titel das ‚Bilder-Machen‘ als ein zentrales Thema ausgibt, beschränkt sich der Text auf eher pauschale Andeutungen, etwa zur Ausschnitthaftigkeit von Photographien oder zum Machtverhältnis zwischen Photograph und Photographierten.
Der junge Floyd „verfolgt“ seine „Opfer“ bisweilen stundenlang. Auch bei dem ersten größeren, nur scheinbar sozialkritischen Projekt wird diese Machtthematik tangiert. Floyd photographiert Lennie, „irgendein Straßenjunge in einer Stadt am Meer. Auf dem Mofa, frierend, um den Mund ein rotziges Grinsen, liegend auf einer nassen Matratze“. Zwischen dem Photographen und dem Straßenjungen, an dessen Versteck er lauert, herrscht ein gewisses Vertrauen. Doch überdeutlich wird schließlich die eigentliche Distanz, die Hierarchie gezeichnet. Bevor Floyd aus jener Küstenstadt zurück nach London fährt, kauft er „eine von Hand gewobene, schneeweiße Merinowolldecke für Emma, für das Kind in ihrem Bauch“. Der Kontrast zum Schmutz von Lennies Lager könnte kaum größer sein.
Irgendwann quält Floyd die Macht seiner Bilder. Er zerstört die Serie, in der er die Trostlosigkeit in einer flughafennahen Wohnsiedlung dokumentiert hat, und photographiert danach keine Menschen mehr – aus Angst, sie zu verraten. Und nach dem letzten Bild gelingt ihm wie gesagt überhaupt keines mehr. So fügen sich diese in unterschiedlichen Zeitebenen verstreuten Elemente schließlich zu einer Art Photographen-Entwicklungsgeschichte im Roman zusammen, wenn auch en miniature und recht vorausschaubar.
Erzählerisch zeichnen sich die insgesamt 24 Kapitel des Romans überwiegend durch eine große Langsamkeit aus. Das betrifft zum einen die Handlung, denn meist passiert sehr wenig auf dem einsamen Grundstück am Wald, und auch Floyds Erinnerungen fließen langsam. Zum anderen aber erzielt die sehr bewusste Verwendung der Sprache selbst solche verlangsamenden Effekte. Es fallen etwa die vielen unvollständigen Sätze auf, die nicht selten gar auf einzelne Wörter reduziert sind. Manche Stellen können geradezu an lyrische Texte erinnern: „Die Wolken am Nachthimmel reiten Manöver, vor dem Mond, vor den Sternen. Ziehen in wahnwitziger Geschwindigkeit dahin. Schneewolken“.
Oft finden sich die Auslassungen aber in Verbindung mit umgangssprachlichen Ausdrücken und lakonischen, gelegentlich ermüdend einfachen Dialogen und Beschreibungen. Im Vergleich zum reinen Alltagsjargon ist die Kombination von Umgangssprache, vereinzelten Fachausdrücken und fragmentarischen Satzstrukturen weitaus interessanter, denn Frickers Prosa wirkt dabei sehr verdichtet: „Dann öffnet sich eine zerklüftete Senke, durchsetzt von Felsbrocken und Geschiebemergel aus irgendeiner Eiszeit. Mischwald bestanden“. Doch da sich solche Konstruktionen häufig wiederholen, besteht die Gefahr, dass der Leser ihrer schnell überdrüssig wird.
Im Strom der elliptischen, zum Teil übertrieben lakonischen Prosa treten die Stellen, in denen sich die Autorin einer bildreicheren Sprache bedient, deutlich hervor – besonders auch dann, wenn bestimmte Bilder mehrfach verwendet werden: „Wie müde Ungeheuer rollen die Flugzeuge, eins nach dem andern, zum Anfang der Startbahn“. Nur wenige Seiten später folgt ein ähnlicher Vergleich: „Kalte Mauern, schneebedecktes Dach, blattlose Bäume. Wie im aufgerissenen Rachen eines urzeitlichen Ungeheuers lauert im Eingang des Bunkers die Schwärze“. Werden die Flugzeuge sowie Floyds Wohngrundstück mittels dieses eher gebräuchlichen Bildes mit einer gewissen Bedrohlichkeit ausgestattet, so finden sich an anderen Stellen des Romans auch unkonventionellere Kreationen. Zum Beispiel „spürt“ Floyd die „Fassungslosigkeit“ seiner Tochter „wie eine zu enge Jacke“ – ein merkwürdiger Vergleich. Immer enger und aussichtsloser werden schließlich auch die Perspektiven für den gescheiterten Photographen, der sich zwischen Wahn und Wirklichkeit verliert.
Insgesamt vermag „Das letzte Bild“ nicht zu überzeugen. So formbewusst die Autorin auch mit der Sprache umgeht, in diesem Text wiederholt sich einfach zu vieles. Das mag durchaus intendiert sein, angestrengt, und damit anstrengend, wirkt es dennoch.
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