Wichtige Pionierarbeit

Georg Seeßlen hat alle eigenen Temporekorde gebrochen und – pünktlich zum Kinostart – die feine Studie „Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über Inglourious Basterds“ vorgelegt

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie Georg Seeßlen es schafft, so viel zu schreiben, weiß niemand. Während man mit der Lektüre seiner voluminösen Politik-Diagnosen und Dossiers in der „Jungle World“ und der „Konkret“ kaum nachkommt, schlägt man Donnerstags wie immer zusätzlich „Die Zeit“ auf, um zu sehen, dass der umtriebige Filmkritiker und Essayist dort ja auch schon wieder eine Einschätzung des neuen Pixar-Films „Oben“ publiziert hat – und so weiter. Es wäre müßig, eine lückenlose Auflistung aller Seeßlen-Artikel allein der letzten Wochen zu versuchen. Denn wahrscheinlich könnte man kaum so schnell tippen, wie währenddessen bereits wie am Fließband weitere Texte des kulturjournalistischen Tausendsassas erschienen.

Von daher war man kaum darüber erstaunt, dass es Seeßlen zuletzt sogar ‚nebenher‘ geschafft hat, pünktlich zum deutschen Kinostart von Quentin Tarantinos neuem Film auch noch ein kenntnisreiches Buch mit dem vollmundigen Untertitel „Alles über ‚Inglourious Basterds‘“ vorzulegen. Natürlich gab es dazu schon längst Vorabdrucke und flankierende Essays in der „Jungle World“ und der „Konkret“ zu lesen, wobei Seeßlen darin entschlossen auf die neueste Nachrichtenlange reagierte und so bereits begann, sein eigenes Buch zu kommentieren: Tarantino hatte zur Freude des deutschen Feuilletons die Stirn gehabt, in einem „Spiegel“-Interview Leni Riefenstahls Kino ausdrücklich zu loben und auch noch eine Lanze für die Unterhaltungsfilme des „Dritten Reichs“ zu brechen, namentlich Paul Martins „Glückskinder“ von 1936, mit der britisch-deutschen Schauspielerin Lilian Harvey. Seeßlen, der in seinem soeben publizierten Buch schreibt, Tarantinos neuer großer ‚Rachefilm‘ über den Zweiten Weltkrieg und die Judenvernichtung sei als cineastisches Statement gegen die Todeskitsch-Ästhetik Riefenstahls aufzufassen, merkte daraufhin in der „Konkret“ etwas erbittert an: „So what. Stuß reden und gute Filme drehen hat sich noch nie ausgeschlossen. Es ist ein leichtes für das Werk, klüger als sein Autor zu sein.“

Es lohnt sich jedenfalls immer, Seeßlens Texte zu lesen – egal, wo man auf sie stößt. Deshalb muss sich jetzt auch jeder, der sich genauer über Tarantinos „Inglourious Basterds“ informieren will, Seeßlens Buch „Quentin Tarantino gegen die Nazis“ besorgen, und am besten den Drehbuchtext, der praktischerweise bei Luchterhand erschienen ist, gleich noch dazu. Wenn man einmal von der merkwürdigen Übersetzung mancher markiger und für Tarantinos Arbeiten so typischer four-letter-word-Dialoge („Rein in die Kutsche, aber hoppla“) absieht, so ist das Skript, das auch Szenen enthält, die für die Kinofassung des Films herausgeschnitten wurden und bei Seeßlen ebenfalls kommentiert werden, zur tiefergehenden cineastischen Reflexion unerlässlich.

Seeßlen fächert in seinem knapp gehaltenen Close Reading des Werks die atemberaubende Vielfalt der kinohistorischen Anspielungen in Tarantinos Streifen auf, hat aber unter anderem auch historische Zusammenhänge aus der jüdischen Hollywood-Szene der 1940er-Jahre recherchiert, die dem deutschen Publikum größtenteils neu sein dürften und zum Verständnis des Films überaus wichtig sind. Gewiss: Dass Seeßlens Analyse gezwungenermaßen schnell geschrieben wurde, merkt man dem Text schon an, etwa durch kleine, lustige Fehlleistungen wie die, die Rolle der Nazischauspielerin Bridget von Hammersmark (Diane Kruger) plötzlich einmal in „Fräulein von Donnersmark“ umzubenennen. Da hatte Seeßlen wohl kurz an den auch nicht gerade ‚undeutsch‘ klingenden Namen des Oscar-Preisträgers und Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck („Das Leben der Anderen“, 2006) gedacht.

Kurz: Jetzt, nachdem die ersten erregten Kontroversen um Tarantinos Film vorbei sind, ist es an der Zeit, die Fakten in Ruhe zu sortieren und die Vielschichtigkeit dieses Werks zu ermessen. Es besteht kein Zweifel: An Seeßlens wichtiger Pionierarbeit kommt man dabei ab sofort nicht mehr vorbei.

Titelbild

Quentin Tarantino: Inglourious Basterds. Das Drehbuch.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Walter Ahlers.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
253 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783630621791

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Georg Seeßlen: Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über "Inglourious Basterds".
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2009.
176 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783865051929

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch