Dada macht Mode

Helen Adkins stellt die frühen Dada-Montagen des Modefotografen Erwin Blumenfeld vor

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielleicht bestätigt das nur all unsere Ahnungen: Die Mode ist am Ende auch nur ein Produkt des künstlerischen Avantgarden, ja des Dadaismus. Die Trennung von Kunst und Leben aufgehoben, der Sinn gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion unterlaufen – vieles von dem, was den Dadaismus auszeichnete, ließe sich auch auf die Mode übertragen, mit ein bisschen Mühe und auch ein wenig angestrengt wirkend. Aber wozu sind Kulturphilosophen denn da, wenn nicht das Unmögliche möglich und das Schräge denkbar zu machen.

Aber Spaß beiseite, das Anliegen, das Helen Adkins antreibt, die frühen Dada-Arbeiten, ja die frühe Dada-Karriere des spätestens in den USA zu einem der führenden Modefotografen reüssierten Erwin Blumenfeld zu präsentieren, ist ernst zu nehmen. Die Verbindungen, die die Dada-Arbeiten Blumenfelds mit den späteren Fotografien erkennen lassen, sind deutlich genug. Aber eins nach dem anderen.

Biografisch ist die Nähe Blumenfelds zum Dadaismus vielleicht ein Zufall, aber plausibel. Der 1897 in Berlin geborene Blumenfed ist seit Schulzeiten eng mit dem aus den Niederlanden stammenden späteren Maler Paul Citroen befreundet, dessen Schwester Lena er 1921 heiratet, und gründet sogar mit ihm und Walter Mehring 1912 einen gemeinsamen Lesezirkel. Durch die Freundschaft mit Mehring und Citroen gerät Blumenfeld beinahe automatisch in das Umfeld des Berliner Dadaismus, der zwischen 1918 und 1920 seine kurze Blütezeit hatte. Während aber Citroen eine gediegene Ausbildung als bildender Künstler erhält (er ist etwa 1922 bis 1924 am Weimarer Bauhaus), erfüllen sich Blumenfelds Hoffnungen nicht, was seine Ambitionen jedoch nicht mindert.

Es bleibt aber bei malerischen Versuchen und bei Collagen, die die ungeübte und ungeschulte Hand allzu deutlich verraten. Dennoch spielt Blumenfeld am Rande des Dadaismus seine kleine Rolle, spätestens seit seinem Wegzug in die Niederlande nach der Hochzeit fungiert er für die großsprecherischen Berliner Dadaisten unter dem Namen „Bloomfeld“ neben Paul und dessen Bruder Hans Citroen als einer der Repräsentanten von Dada-Holland, wofür es sogar einen Beleg gibt: In der dritten Ausgabe von „Der Dada“ aus dem April 1920 lässt sich sogar ein Gedicht „Bloomfelds“ finden.

Auf solche verstreuten Hinweise angewiesen ist man, da ansonsten Blumenfeld seine Collagen, die er bis Anfang der dreißiger Jahre anfertigt, nicht veröffentlichte. Danach werden sie ím Zusammenhang mit seiner Professionalisierung als Fotograf durch Fotomontagen abgelöst, die sich ausschließlich im Medium der Fotografie bewegen und das Produkt intensiver Dunkelkammerarbeit sind.

Denn nachdem Blumenfelds Karriere als Kunsthändler scheiterte und er sich auf den Handel mit Damenhandtaschen verlegen musste, geriet er – anscheinend durch einen Zufall – mehr und mehr an die Fotografie: 1932 habe er, so wird in Adkins Band berichtet, nach dem Umzug hinter dem neuen Ladengeschäft eine Dunkelkammer gefunden, die ihn dazu motivierte, sich verstärkt auf die Fotografie zu werfen.

Dass er auch in diesem Beruf keine gediegene Ausbildung, wenn auch ein zweifellos vorhandenes Talent hatte, habe ihn, so Adkins, sein Leben lang sich selbst als Dilettanten sehen lassen. Was allerdings angesichts auch der technischen Qualität seiner Arbeiten als Koketterie verstanden werden kann, die ihm nachzusehen ist.

Mit einem Zufall also beginnt die Karriere des Modefotografen Erwin Blumenfeld. Bis zum Ende der dreißiger Jahre veröffentlicht er in den führenden Modezeitschriften vor allem Frankreichs. Sogar erste Kontakte in die USA gelingen ihm noch 1939. Allerdings muss er – aufgrund seiner jüdischen Herkunft – sich und seine Familie 1941 nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich vor deren Zugriff retten und flieht in die USA. Und damit beginnt die atemberaubende Laufbahn Blumenfelds in der US-amerikanischen Modeszene. Kaum angekommen, kann er seine Kontakte aus dem Jahr 1939 wieder aufnehmen und kann in den folgenden Jahren – prominent platziert – in Magazinen wie „Harper’s Bazaar“, „Cosmopolitan“, „Life“ oder „Vogue“ publizieren.

Berühmt ist nicht zuletzt der „Vogue“-Titel aus dem Januar 1950, in dem das Gesicht des Modells Jean Patchett auf Mund, Auge, Braue und Schönheitsfleck reduziert wurde. Mit diesem Cover lässt sich freilich auch die Verbindung herstellen zu Blumenfelds früheren Collagen und Montagen, denn das Cover beruhte auf einem Schwarzweiß-Foto, das nachträglich geschminkt und erneut abfotografiert wurde. Die Fotografie als abbildendes Medium – einer der Standardideen des frühen 20. Jahrhunderts – war spätestens damit perdu. Auch im populären Medium wurde damit seine gestalterischen Dimensionen etabliert (sollte das auch 1950 noch überhaupt jemand ernsthaft in Frage gestellt haben).

Das gestalterische Potential der Fotografie leitet sich für Blumenfeld in großem Maße von seinen frühen Montage-Versuchen ab, wie die detaillierte und überaus lesenswerte Studie Adkins nachweist. Am deutlichsten wird das erkennbar an der Gegenüberstellung von Montagen vor allem um 1930 mit späteren Modefotografien, etwa aus der Pariser Zeit, die um 1939 entstanden. Die grafische Sprache, der Aufbau und die Struktur der Fotografie, das Zusammenspiel von vor allem städtischen und technischen Ambiente mit den Figurinen, die sie bevölkern, sind offensichtlich aus den frühen Arbeiten abgeleitet.

In diesem Sinne steht denn auch nicht die technische Qualität der Dada-Montagen im Vordergrund der Studie Adkins, sondern die thematischen und strukturellen Linien, die sich vom jungen, suchenden kunstbegeisterten Blumenfeld zum etablierten Fotografen ziehen lassen, der sich zu einer der Koryphäen seines Faches entwickelt hat. Das mag aus der Perspektive einer auf absolute Gültigkeit setzenden Kunstkritik ein Sündenfall sein, verweist aber auf der anderen Seite auf die tiefe strukturelle Verwandtschaft aller Künste miteinander und auf die weit reichende Wirkung der künstlerischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, eben auch in die viel geschmähten Gebrauchskünste hinein. Helen Adkins sei für das Exempel Blumenfeld an dieser Stelle mit Hochachtung gedankt. Der Band ist anlässlich der Ausstellung der Dada-Montagen in der Berlinischen Galerie erschienen, ist mit zahlreichen Arbeitsproben Blumenfelds ausgestattet und zudem in englischer Sprache aufgelegt worden.

Titelbild

Helen Adkins: Erwin Blumenfeld. »In Wahrheit war ich nur Berliner«. Dada-Montagen 1916-1933.
Vorwort von Janos Frecot.
Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 2008.
224 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783775721264

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch