Witz und Entsetzen

Jörg Juretzkas riskantes Spiel mit dem Abgrund

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Witz ist ein merkwürdiges Phänomen. Er hilft über die schlimmsten Moment hinweg, lässt ausweglose Situationen einigermaßen erträglich erscheinen und auch Kriminalromanen, die sich ernsten Themen zuwenden, geben sie einen Grad an Unbeschwertheit, der über den Ernst der Lage hinwegzutäuschen versteht, um ihn dann am Ende umso deutlicher hervortreten zu lassen. Dabei sind nicht jene biederen Altherrenscherze gemeint, mit denen auch gemischte Gruppen zu später, stark alkoholisierter Stunde in Wallung gebracht werden. Der Witz ist, ernsthaft gesprochen, der intelligente Bruder des Entsetzens.

Jörg Juretzka ist ein witziger Schreiber, und das im besten Sinne des oben Gemeinten, was heißen soll, er ist ein intelligenter Schreiber. Er hat seine Sonderstellung im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren bereits unter Beweis gestellt. Mit „Alles total groovy hier“ knüpft er an alte Qualitäten an. Sein neuer Roman ist ein durchgängig von Lachattacken begleitetes Buch, in dem wir den mittlerweile bekannten Ermittler Kristof Kryszinski und seinen Begleiter Scuzzi nach Südwestspanien begleiten, wo sie auf der Suche nach ihrem Kumpel Schisser sind, der sich mit seinem Zweirad und 180.000 Euro Schwarzgeld auf den Weg gemacht hat, im Süden für sich und seine Kumpels von den Stormfuckers eine Ranch zu erstehen.

Dumm ist nur, dass Schisser und das Geld nichts mehr von sich haben hören lassen, deshalb schicken die Stormfuckers nun das Duo Kryszinski und Scuzzi dem verlorenen Bruder hinterher, um nach dem Rechten zu schauen.

Kryszinskis und Scuzzis Ankunft im Süden, mit der der Roman beginnt, macht bereits deutlich, dass es auf den folgenden Seiten nicht sehr friedlich zugehen wird.

Die beiden mit einem Wohnmobil ausgerüsteten Ermittler überfahren erst einmal einen brennenden Hund, der von Zigeunerkindern über die Straße gejagt wird. Dann geraten sie in eine bedröhnte Hippie- und Surferkommune, in der es zum Leidwesen Kryszinskis zwar kein Bier, dafür aber so ziemlich jede Droge gibt, die nur einigermaßen verträglich ist.

Das führt zu einer intensiven Diskussion über die Sitten und Gebräuche von Drogenkonsumenten, über ihre Essgewohnheiten (Müsli), ihren Tagesablauf (Variante Surfer: rauspaddeln, warten, mit Welle wieder rein, rauspaddeln, warten, mit Welle wieder rein), ihre Abendveranstaltungen (kiffen, ums Feuer tanzen mit Tambourin und Klampfenmusik, rammeln) und ihr Verhältnis zur Musik.

Kryszinski ist schnell ziemlich genervt. Und fällt zudem seinen Gastgebern auf die Nerven, die in ihm einen Drogenermittler sehen (wobei sich zwischenzeitlich ernsthaft die Frage stellt, was ein Ermittler da noch zu ermitteln hätte, ist doch alles offensichtlich). Aber offensichtlich haben Leroy und Alma, die in der Kommune das Sagen haben, mehr zu verbergen als nur einen intensiven Gebrauch von Mitteln, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Und mit einem Mal verwandelt sich die Hippie-Komödie in einen ernsthaften und ziemlich abgefahrenen, außerdem politisch überaus bedenklichen Kriminalroman über den europäischen Menschenhandel und seine Profiteure.

Denn Almas und Leroys Kommune verdient letztlich ihr Geld damit, dass sie Afrikaner nach Europa einschmuggeln, sie dort an Sklavenhalter vermitteln und – falls nötig – die gebrauchte Ware wieder zurücknehmen. Sie haben sich dazu ein weit verzweigtes Netz an Verbindungen und Gewährsleuten geschaffen, die allesamt daran mit verdienen, weil die illegalen Einwanderer sonst nicht nach Europa kämen. Statt eines nach einigen Jahren immerhin auch sicheren Lebens erwartet sie aber nur Ausbeutung und in vielen Fällen der Tod, an dem schließlich die Hippie-Kommune mit verdient.

Diesem Abgrund menschlicher Gewinnsucht ist Schisser anscheinend auf die Spur gekommen. Kryszinski, der anfangs kaum eine Spur von Schisser finden kann, wird auch in diesem Fall fündig. Er findet heraus, was dieser herausgefunden hat, und er findet heraus, was mit ihm passiert ist, selbst Schisser findet er schließlich, wenn es auch keinem von beiden noch etwas nutzt.

Gerade diese Verbindung von Entsetzen mit Wortwitz und Situationskomik, gerade die Ernsthaftigkeit, mit der Juretzka eine humane und politische Katastrophe anspielt, verbunden mit bitterböser Ironie zeichnet Juretzkas Krimi aus. „Alles total groovy hier“ ist damit in der Tat mit das Beste, was es in letzter Zeit auf dem deutschen Krimimarkt zu lesen gab, und eben – zum Glück – nicht nur witzig.

Titelbild

Jörg Juretzka: Alles total groovy hier. Krimi.
Rotbuch Verlag, Hamburg 2009.
222 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783867890649

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