Von der Poesie des Films
Zur Lyrikanthologie „Die endlose Ausdehnung von Zelluloid“ von Andreas Kramer und Jan Volker Röhnert
Von Sigrid Gaisreiter
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Gattung Lyrik fand in Studien zu Wechselbeziehungen von Literatur und Film bislang wenig Berücksichtigung. Dies zu ändern, traten die Literaturwissenschaftler Jan Volker Röhnert und Andreas Kramer mit der Anthologie „Die endlose Ausdehnung von Zelluloid“ an.
Lyrik begegnet Film in der weitgehend chronologisch aufgebauten Anthologie in 118 Gedichten von siebzig deutschsprachigen Autoren in einem Zeitraum von 100 Jahren. Auswahlkriterien waren, so die Herausgeber im umfangreichen Nachwort, originelle Positionen im Hinblick auf Film und Kino und „die Auswirkung dieses Bezugs auf Form und Sprache“. Das Besondere an diesem Band ist vor allem darin zu sehen, dass die Einwirkung des Films auf die Lyrik herausgearbeitet und erläutert wird. Anschaulich wird dies etwa in Ernst Jandls (1925-2000) Gedicht „Film“. In diesem wird das formale Prinzip der laufenden Bilder auf das Wort „Film“ übertragen, in dem es vertikal angeordnet und variiert wird. Ein weiteres Kriterium ist für die Herausgeber die literarische oder auch literaturgeschichtliche Bedeutung der Gedichte. Aufgenommen wurden Werke heute eher unbekannter Autoren wie Walter Rheiner (1895-1925) oder Hans Leybold (1892-1914). Das Spektrum der Sammlung reicht von jüngeren Autoren wie Hendrik Rost (*1969) oder Durs Grünbein (*1962) bis zu René Schickele (1883-1940), mit dessen Gedicht „Prolog im Kino“ von 1913 die Anthologie eröffnet wird.
Diese zeitliche Eingrenzung begründen die Herausgeber damit, dass erst unter den Expressionisten der „Film eigentlich bei seinem Namen genannt“ worden sei und so „offiziell Einzug ins deutschsprachige Gedicht“ gefunden habe. Diese verspätete Reaktion der Dichter auf das Aufkommen von Film, Kino und Massenkultur erklären die Herausgeber damit, dass die älteren Autorengenerationen, genannt werden Charles Baudelaire (1821-1867) und Stefan George (1868-1933), den neuen Massenkonsum nicht nur verachtet hätten, sondern – stark verunsichert – eine „Exklusivierung“ der Lyrik betrieben hätten.
In Stoff, Motiv und Form kam eine breite Auswahl unterschiedlicher lyrischer Positionen zustande. So trifft Langgedicht auf Kurzform, Expressionismus auf Visuelle Poesie und Pop Art. Als Stoff und Motiv treten Filmstars wie Asta Nielsen ebenso auf wie Regisseure. So möchte Helmut Heißenbüttel (1921-1996) „Selbst als Buñuel“ filmen, Michael Krüger (*1943) geht am liebsten ins „Dorfkino“ und gedreht wird bei Bertolt Brecht (1898-1956) in „Hollywood“. In jedem Fall aber weiß Alfred Kerr (1867-1948) im „Sieg des Lichtspiels“: „Denn die Sache trägt a Geld!“ Von solch materiellen Gedanken sind Johannes R. Becher (1891-1958) und Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975) weit entfernt, gelten ihnen Film und Kino als Metaphern für eine herbeigesehnte soziale Umwälzung oder als „Initiation ungeahnter Freiheit“.
Doch diese Zeit ist, seit dem „ursprünglichen Format des Kinofilms“ mit Fernsehen und Internet eine starke Konkurrenz erwuchs, vorbei. Eingetreten in die Zeit der Medienrevolution, antworteten Dichter, so jedenfalls die Herausgeber, mit Formveränderungen im Gedicht. Auch in der Metaphorik des Films, als „Metapher für eine Welt“, die nur noch in „Ausschnitten und Fragmenten“ zur „Darstellung gelangen kann“, schlug sich der Lauf der Zeit nieder. Diese zeitliche Eingrenzung ist gewagt, sprach doch bereits Friedrich Nietzsche vom „Auseinanderfallen“ der Moderne.
Viel aber wagten die Herausgeber mit dieser Anthologie der Querverbindungen von Film und Lyrik. Thematisch als ‚Film im Gedicht’ und formal als ein ‚Film in Worten’ angelegt, liegt mit der Anthologie eine Pionierarbeit im Cinemascope-Format vor. So widmet sich die Ausstellung „Dichter am Apparat“ im Züricher Strauhof-Museum (23. September – 29. November 2009) auch diesem Thema, ohne jedoch Gedichte sprechen zu lassen.
Das Kino, so der Dichter Paulus Böhmer (*1936) in „Aus dem sechsten Kaddish“ den Regisseur Jean-Luc Godard zitierend, sei „eine Sättigung herrlicher Zeichen“. Einige fügten die Herausgeber in einem umfänglichen Apparat noch hinzu und dann ist – exzellent ausgeleuchtet und vom Verlag Edition Azur kongenial als ‚Film im Buch‘ ausgestattet, begleitet von sechs schwarzweißen Fotogrammen des Künstlers Glen Vincent – die letzte Klappe gefallen.
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