Wie im Spiegelkabinett
Jeffery Deavers neuer Roman „Der Täuscher“
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas bewährte Ermittlerteam Rhyme-Sachs, das Deaver seit 1997 ins Rennen schickt, hat auch in dem neuen Roman „Der Täuscher“ alle Fäden in der Hand. Lincoln Rhyme, querschnittsgelähmt und an seine Wohnung gefesselt sowie die Ermittlerin der New Yorker Polizei Amelia Sachs, mit der er eine Beziehung hat, werden von Jane Rhyme, der Frau von Rhymes Cousin Arthur, um Hilfe gebeten. Arthur Rhyme wurde wegen Mordes verhaftet und sitzt in Untersuchungshaft. Zeitgleich wartet Rhyme auf Nachrichten aus London, wo die Jagd nach dem Auftragsmörder weitergeht, die in dem Vorgängerroman „Der gehetzte Uhrmacher“ begonnen worden war, aber nicht zum Abschluss kam. Verteilt über den Roman finden immer wieder informelle Gespräche Rhymes mit der Londoner Inspektorin Longhurst statt. Nachrichten aus London schließen den Roman auf den letzten Seiten. Da Rhyme sich an der Jagd auf der britischen Insel kaum beteiligen kann, nimmt er die Ermittlungen im Fall Arthur Rhyme auf. Die erzählte Zeit des Romans erstreckt sich über drei Tage.
Die Ermittler gelangen relativ schnell zu der Erkenntnis, dass es sich bei dem „Mordfall Arthur Rhymes“ um eine Verwechslung handelt. Allerdings keine Verwechslung im herkömmlichen Sinne, sondern um einen Identitätsdiebstahl. Der Täter, im Titel des Romans treffend als „Täuscher“ bezeichnet, hat umfassende Informationen über seine „Opfer“ gesammelt. Diese „Opfer“ sind einerseits seine Mordopfer, andererseits die vermeintlichen Täter, das heißt die Personen, auf die er den Tatverdacht mit Hilfe von manipulierten Tatortbeweisen lenkt. Diese subtile Art des Verbrechens, nicht nur die Tat, sondern auch den „Täter“ zu planen, baut Deaver in minutiöser Freude am Detail aus und es ist überraschend, welche Varianten, Finten und brillanten Verstrickungen er ersinnt, um das Labyrinth für Ermittler und Leser noch spannender, noch interessanter zu gestalten.
Letztendlich ist das zentrale Thema in Jeffery Deavers Roman der „Identitätsdiebstahl“. Er schlägt dabei die Brücken zu seinen klassischen Vorbildern, zu Huxley und zu Orwell. Letzteren zitiert er frei an exponierter Stelle im Roman. Ein Orwell’scher Gedanke aus „1984“ wird als Leitsatz von einer im Roman vorgestellten und sich für die Privatsphäre des Einzelnen einsetzenden „Widerstandsorganisation“ genutzt: „Verbrennt die Kassenbons eurer Kunden, bevor die Regierung ihre Bücher verbrennt.“ Besonders eindrucksvoll ist aber eine Liste, die in dieser Institution als Plakat an der Wand hängt, fasst diese doch die Gefahren des Identitätsdiebstahls treffend zusammen:
„Guerillataktiken im Krieg um die Privatsphäre
– Gib niemals deine Sozialversicherungsnummer preis.
– Gib niemals deine Telefonnummer preis.
– Tausche vor jedem Einkauf deine Paybackkarte mit der einer vertrauenswürdigen Person.
– Nimm niemals freiwillig an Umfragen teil.
– Nutze jede mögliche Ausschlussklausel.
– Fülle keine Produktregistrierkarten aus.
– Fülle keine ‚Garantiekarten‘ aus. Zur Wahrnehmung einer Garantie sind sie nicht erforderlich. Sie dienen der Sammlung von Informationen!
– Vergiss nicht – die gefährlichste Waffe der Nazis waren Informationen.
– Verhalte dich stets so unauffällig wie möglich.“
Dass Deaver seine Figuren komplex anlegt, ihnen Humor und Individualität zugesteht und ein vielschichtiges Szenario entwirft, das in seiner Komplexität in ebendiesem Genre seines gleichen sucht, dies ist nicht zuletzt auch für ein grandioses und spannendes Leseerlebnis verantwortlich. Es sind keine Fortsetzungsromane, die Deaver schreibt, aber trotzdem ist man schon auf den ,Nachfolger‘ gespannt. Dabei klingt einem immer noch das bedrohliche Szenario im Ohr, das er vom „Täuscher“ formulieren lässt: „Doch das Großartige an Daten ist, dass sie niemals schlafen. Meine Soldaten können zu jeder von mir gewählten Stunde und an jedem Ort die Hölle über jede beliebige Person hereinbrechen lassen.“ Deaver ist über einen gelungenen Roman hinaus auch ein erschreckender, aber vor allem realistischer Einblick in die Problematik der umfassenden Datenspeicherung in unserer hoch entwickelten Gesellschaft gelungen. Damit liefert er ein anschauliches Beispiel, warum man sich um seine persönlichen Daten und deren Schutz Gedanken machen sollte.
|
||