Vater und Sohn
David Gilmours Roman „Unser allerbestes Jahr“, gelesen von Reiner Schöne
Von Sandra Rühr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseErinnern wir uns nicht noch gerne an die schwungvollen Tuschestriche der Vater und Sohn-Bildergeschichten von e.o. plauen? Mit viel Humor wurde hier die Liebe zwischen Vater und Sohn in Schwarz-Weiß-Bildern zu Papier gebracht. Nun, seit Anfang dieses Jahres, dürfen wir uns wieder an einer Vater und Sohn-Geschichte erfreuen: Dem auf einer wahren Begebenheit beruhenden Roman „Unser allerbestes Jahr“ von David Gilmour. Die Idee hierfür lieferte Sohn Jesse, der vorschlug, einmal nicht das Verarbeiten einer Trennung zu beschreiben, sondern von der fantastischen Zeit zu erzählen, die beide hatten, nachdem Jesse im Alter von 16 Jahren von der Schule abgegangen war. In erster Linie handelt „Unser allerbestes Jahr“ hiervon. Doch sind die Begebenheiten ebenso humorvoll wie e.o. plauens Bildergeschichten? Natürlich lässt sich das Eine schwer mit dem Anderen vergleichen, und doch gibt es eine Gemeinsamkeit: Die Liebe von Vater und Sohn, die sie einander zunächst ganz vorsichtig und schließlich immer deutlicher zeigen. Auf einer höheren Stufe stehen die Erkenntnisse des Vaters, dass er Zeit mit seinem Sohn verbringen durfte in einer Phase, in der Erwachsene und Jugendliche normalerweise getrennter Wege gehen und dass er seinem Sohn nicht seine Denk- und Handlungsweisen aufzwingen darf, da sie zwei gänzlich unterschiedliche Menschen sind.
Bis hierhin klingt die Geschichte wenig spektakulär, das Ungewöhnliche steckt vor allem im Anfang: Nachdem der Vater David bemerkt, wie sein Sohn Jesse immer häufiger Schule schwänzt oder das Nichterledigen von Hausaufgaben vor ihm verheimlicht, macht er ihm ein Angebot: „Du musst keine Miete zahlen und brauchst dir keinen Job zu suchen, du kannst jeden Nachmittag bis fünf Uhr schlafen, wenn du willst. Aber unter einer Bedingung: Du musst jede Woche mit mir drei Filme anschauen, die ich auswähle und du musst sie bis zum Ende anschauen. Entweder das oder du suchst dir einen Job.“ Dieser Filmclub, wie der Titel der kanadischen Originalausgabe lautet, währt drei Jahre lang. Doch ihr „allerbestes Jahr“ erleben Vater und Sohn, als sie beide glauben, am Leben gescheitert zu sein: der Sohn ein Schulabbrecher, der Vater als 50-Jähriger mit verspäteter Midlife-Crisis, nachdem er seinen Job verloren hat.
Diese Phase hat Vater David aufgeschrieben, um sie noch einmal zu reflektieren: „Wenn ich durchlese, was ich geschrieben habe, merke ich, dass der Eindruck entstehen könnte, als wäre damals in meinem Leben sonst nichts passiert, als hätten wir immer nur Filme angeschaut und ich hätte mich nebenher noch in das Privatleben meines Sohnes eingemischt.“ Tatsächlich ist weitaus mehr passiert: Beide fassen wieder Fuß im Leben. Weitab von allen Streitgesprächen, die sie bis zum Schulabbruch geführt hatten, finden sie zu einer gemeinsamen Sprache zurück.
Bei einem spannenden Gang durch die Filmgeschichte erfahren wir, was David und Jesse bewegt, nämlich die alltäglichen Begebenheiten des Lebens. Die fiktive Welt der Filme vermischt sich mit dem realen Leben der beiden Hauptfiguren, denn Vater David wählt die Filme so aus, dass sie zur Lebenssituation Jesses passen. Am Ende ist Jesse in vielen Details der Filmgeschichte versiert und verwendet sogar Filmzitate. Auch die Worte, die den Roman abschließen, stammen aus einem Film, den beide miteinander gesehen haben: „You’re so cool, you’re so cool, you’re so cool.“
Dass „Unser allerbestes Jahr“ als Roman bezeichnet wird, ist eigentlich irreführend, da hier nicht einige biografische Details fiktional umgeformt wurden, sondern alles so passiert ist. Im kanadischen Original fällt das Buch unter non-fiction. Vermutlich wurde in Deutschland die Bezeichnung „Roman“ aus Marketinggründen gewählt, und weil David Gilmour bislang als „novelist“ bekannt geworden war. Seine Karriere begann er als Filmkritiker, 1986 veröffentlichte er seinen ersten Roman, „Back on Tuesday“, ab 1997 konzentrierte er sich ausschließlich auf das Schreiben. Zuletzt erschien von ihm „A Perfect Night to go to China“. „The Film Club“ ist Gilmours siebte Buchveröffentlichung. Der 60-Jährige lebt mit seiner Frau in Toronto und ist dort Gastprofessor am Victoria College.
Über die Covergestaltung wird der Betrachter in der Regel in eine bestimmte Richtung gelenkt, so dass er eine Ahnung davon bekommt, wovon die Geschichte im Buch handelt. Während jedoch die kanadische und amerikanische Buchausgabe gezielt mit Untertiteln wie „A true story of a father and son“ oder „A dad, his teenage son, and the education he couldn’t refuse“ arbeiten, verschleiert der S. Fischer Verlag die Sache stärker. Dort sitzen zwei Personen auf einem Steg, der in einen See führt. Malerisch sieht dies aus und gemeinsam mit dem Titel „Unser allerbestes Jahr“ assoziiert man hier vielleicht eher ein Ehe- oder Freundespaar, das eine bedeutsame Lebensphase Revue passieren lässt.
Die Hörbuchausgabe von Steinbach sprechende Bücher orientiert sich an dieser Aufmachung und wiederholt das Bildmotiv auf den vier CDs und dem Booklet. Hier geht der Verlag aber noch einen Schritt weiter: Auf der vierten Seite des Booklets sind Vater und Sohn zu sehen, beide lächelnd, der Vater hat die Arme um den Sohn geschlungen. Außerdem wird man auf das Video-Interview verwiesen, so dass man die Hintergründe für die Geschichte erfährt. Dies vermittelt dem Hörer: Hier geht es um mehr als nur eine kurze Zeitspanne von einem Jahr, hier geht es um zwei Menschen, die einander nahestehen. Dass es sich um Vater und Sohn und zugleich um die Protagonisten der Geschichte handelt, kann der Hörer aus den Angaben auf der Hüllenrückseite schließen.
Als Zuhörer hat man dieses Bild stets vor dem inneren Auge, wenn der Sprecher, Reiner Schöne, die Geschichte erzählt. Der Sprecher ist Sänger mit eigener Band, Songwriter und Schauspieler. Er war in der Serie „SOKO Leipzig“ zu sehen und stand in „Jedermann“ auf der Bühne. Seine Stimme ist auf Hörbuchproduktionen wie „Nostradamus“ oder „Wirst du da sein?“ zu hören und auch in der Hörspielserie „Gestatten, mein Name ist Cox“ wirkte er mit.
Für „Unser allerbestes Jahr“ lässt Schöne seine warme Bassstimme erklingen, der man äußerst gerne zuhört. Diese Stimmlage schränkt ihn allerdings auch ein wenig ein, denn der anfangs 16-Jährige Sohn Jesse klingt viel zu reif. Dies macht es teilweise schwer, Vater und Sohn in Dialogpassagen voneinander zu unterscheiden. Andererseits ist es sehr wohltuend, dass Schöne gerade nicht rollenspielt, denn er erzählt eine wahre Geschichte nach, die keinerlei Pathos braucht. Lediglich bei den Filmbeschreibungen ereifert er sich und spürt dem Inhalt nach. Hier ist der Hörer irritiert: Handelt es sich um eine Vorlesung zur Einführung in die Filmgeschichte oder soll hier eine Phase in Davids und Jesses Leben anhand der Filmbeispiele beleuchtet werden? David Gilmour versucht den Gemütszustand seines Sohnes oft anhand seines Ganges zu interpretieren, Schöne hingegen fühlt sich nur einmal, und dann sehr stark, in das seelische Empfinden der beiden Figuren ein. Da er sich sonst zurücknimmt und zum Beispiel Zweifel der Figur nicht zögerlich spricht, wirkt die so interpretierte Szene übertrieben: Vater und Sohn weinen gemeinsam. Daran ist nichts Verkehrtes, aber in der sprecherischen Darbietung bekommt dies eine zu dramatische Note.
„Unser allerbestes Jahr“ ist eine Geschichte für Filmliebhaber, die ihre Lieblingsfilme noch einmal in einem völlig neuen Licht erleben und Hintergrundinformationen erfahren wollen, die ihnen bislang unbekannt waren. Die vorgestellten Filme lassen den Hörer zugleich sehr nahe an den Autor heran, denn die Filmauswahl zeigt, so David, wie man denkt und wie man glaubt, dass die Welt einen sieht. Zugleich ist es eine Parabel auf das Leben, das immer neue Überraschungen parat hält und in dem stets andere „magische Momente“ passieren. Schöne verleiht dieser wahren Begebenheit Märchencharakter und nach dem Hören der vier CDs lehnt man sich mit einem Seufzen zurück. Allerdings wurde das Hörbuch leicht gekürzt, so dass doch kleinere Einzelheiten verloren gegangen sind.
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