Frauenbewegung und Kolonialismus

Anette Dietrichs Monografie „Weiße Weiblichkeiten“ wirft einen kritischen Blick auf die Überkreuzung der Kategorien ‚Rasse‘ und Geschlecht

Von Annika NickenigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annika Nickenig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die historische Verbindung und Interaktion der Kategorien von ‚Rasse‘ und Geschlecht dürfte heute unbestrittener Konsens der Gender und Postcolonial Studies sein. Die Kolonialfantasien, wie sie in Europa und nicht zuletzt in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert zu beobachten sind, waren unterfüttert von einer Vorstellungswelt, die den Gestus der territorialen Aneignung durch die Idee einer sexuellen Eroberung ergänzte und den Körper zum „Austragungsort rassifizierender, klassifizierender und vergeschlechtlichter Herrschaftspraxen“ werden ließ. Die Kulturwissenschaftlerin Anette Dietrich geht dieser Verbindung unter einem spezifischen Blickwinkel nach und fokussiert auf eine problematische Funktion dieser historischen Allianz: In ihrer Monographie „Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von ‚Rasse‘ und Geschlecht im deutschen Kolonialismus“ untersucht sie die Verwendung kolonialer Stereotype innerhalb der deutschen Frauenbewegung und stellt dabei die Frage, wie Frauen sich innerhalb der kolonialen Diskurslandschaft positionieren und ihrerseits rassistische Vorstellungen zum Zwecke der Emanzipation nutzen konnten.

Mit der gesetzten Fragestellung räumt Anette Dietrich mit zwei zentralen Vorurteilen der Kulturwissenschaften auf. Zum einen wendet sie sich gegen die Vorstellung des Kolonialismus als einer ausschließlich männlich dominierten Eroberungsgeschichte; Zum andern gegen die Annahme, die Bedeutung des Kolonialismus sei für die Geschichte Deutschlands – verglichen mit den historischen Beispielen Frankreich oder England – zu vernachlässigen. Noch immer wird die eigene Kolonialgeschichte in Deutschland sehr marginal behandelt und nur ungern erinnert. Dietrich belegt aber, dass der Kolonialismus Spuren hinterlassen hat, die sich in der heutigen Kultur und Gesellschaft und den darin zu findenden Diskursen über Entwicklungspolitik, Ausländergesetzgebung und medial reproduzierte rassistische Stereotypen wiederfinden lassen. Vor allem stellt die Autorin heraus, dass sich kolonialistische Denkstrukturen nicht allein „über tatsächlichen Kolonialbesitz heraus[bildeten], sondern auch über eine diskursive Ebene und kulturelle Praxen, über die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus anderer europäischer Nationen […] sowie über Kolonialphantasien, die sich in der Literatur, der Kunst etc. niederschlugen.“

Die Prämissen der zugrundgelegten Vorgehensweise, den deutschen Kolonialismus auch und vor allem auf der Ebene des Imaginären zu untersuchen, sind in einem umfassenden Methoden- und Theorieteil dargelegt. Dietrich diskutiert darin zunächst Positionen postkolonialer Theorien, um sie durch die Perspektiven der feministisch ausgerichteten Post Colonial Studies sowie der Critical Whiteness Studies zu konterkarieren. Sie folgt dabei der grundlegenden Idee der postkolonialen Studien, dass Kolonialismus vor allem in seinen kulturellen und diskursiven Dimensionen zu denken ist – nicht ohne den traditionellen Kulturbegriff und die Vorstellung von einheitlichen Kulturen und damit verbundenen identitären Praxen zu problematisieren. Der Erweiterung dieser Perspektive um die Dimension feministischer Kritik an traditionellen postkolonialen Fragestellungen schließt sich dabei unmittelbar die Kritik an den Kategorien des weißen, bürgerlichen Feminismus an, der sein eigenes Selbstverständnis unter Ausblendung der Kategorien ‚Rasse‘ oder Religion konstruiert. Dietrich arbeitet dabei die Problematik einer einseitigen Besetzung der Opferperspektive heraus, aber auch einer Universalisierung der Kategorie Frau: „So reproduziert die feministische Forschung in der Fokussierung auf die Kategorie Geschlecht die Annahme, weiße Körper seien die Norm, der Andere Körper die Devianz.“ Die Untersuchung der deutschen Frauenbewegung seit dem Ende des 19. Jahrhundert und ihrer Partizipation an einer Vorstellung von Expansion und Nation geht im wesentlichen diskursanalytisch vor. Den Debatten, wie sie in den Zeitschriften der Vereine und Bündnisse der bürgerlichen Frauenbewegung zu finden sind, wird eine umfassende Betrachtung der dominierenden Kolonialdiskurse zur Seite gestellt, wobei der Fokus auf der Frage liegt, welchen spezifischen Beitrag die Vorstellungen und Forderungen der Frauenbewegung zur Herausbildung und Verfestigung rassistischer Stereotype ‚geleistet‘ haben.

Wie Dietrich überzeugend skizziert, kann sich ein historisch-kritischer Umgang mit der Prämisse einer Verbindung von ‚Rasse‘ und Geschlecht nicht damit begnügen, die kolonisierte Frau aus ihrer Schattenexistenz herauszuholen und als zweifache Subalterne kenntlich zu machen. Zur Vervollständigung muss auch ein Licht auf diejenigen diskursiven Praktiken geworfen werden, die sich die ethnozentrischen Ausschlussmechanismen zum Zwecke der eigenen Emanzipation zunutze machen. Der seit den 1990er-Jahren diskutierte Begriff der weiblichen Mittäterschaft erweist sich in diesem Kontext als problematisch, insofern darin weniger die aktive Rolle der Frauen akzentuiert wird sondern nurmehr wieder ihre Abhängigkeit vom patriarchalen System. Dietrich rückt deshalb die konkrete Partizipation von Frauen in den Blickpunkt und untersucht konsequent die „diskursive Überkreuzung [der Kategorie Geschlecht] mit kolonialistischen und rassistischen Diskursen jenseits der konkreten Handlungsebene“.

Die eigentliche Neuerung von des Buchs besteht nun in der speziellen Fokussierung auf die Rolle der Frauenbewegung in dem Prozess der Nationalstaatsbildung. Die sich zu Vereinen und Verbänden zusammenschließenden Frauen – Dietrich nennt hier unter anderem den „Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft“, den „Deutschen Frauenverein für die Ostmarken“ oder den „Flottenbund deutscher Frauen“ – spielten eine bedeutende Rolle im Hinblick auf die Herausbildung und Fortführung einer bestimmten Vision von ‚Nation‘, die im Sinne einer homogenen Gemeinschaft erst hergestellt werden musste. Die Kolonien schienen dabei neue Räume und größere Freiheit für Frauen bereitzustellen, wie etwa das Motiv der ‚mutigen Farmerin‘ als Inbegriff starker, weißer Weiblichkeit evoziert. Dennoch, so wird deutlich, werden die traditionellen und konservativen Geschlechtermodelle von der Metropole in die Kolonie übertragen, so dass die klassische dualistische Sphärentrennung, die Frauen dem Bereich des Privaten zuordnet, perpetuiert wird. Darüber hinaus verlaufen – und dies ist der zentrale von Dietrich formulierte Kritikpunkt – die Ansätze zur Emanzipation von Frauen abermals über einen Prozess einer Dichotomisierung von Eigenem und Fremdem, Innen und Außen, über eine Abgrenzung gegenüber der kolonisierten Bevölkerung mit dem erklärten Ziel, die eigene Machtposition zu konturieren.

Die zentralen Debatten, die innerhalb der Frauenverbände geführt werden, nehmen sich daher ‚private‘ Themen zum Ausgangspunkt, verhandeln aber gerade darüber die großen politischen Fragen. Dietrich untersucht dabei zum einen die Thematik des Haushalts, die dem bürgerlichen Ideal der Frau als Hausfrau und Mutter Vorschub leistete und zugleich die staatsbürgerliche gesinnte Hausfrau zur tragenden Säule des Nationalstaates deklarierte. Zum andern geht sie den Sittlichkeitsdebatten nach, in denen neben den Forderungen nach einer gleichberechtigten weiblichen Sexualität auch problematische bevölkerungspolitische, evolutionstheoretische und rassenhygienische Diskurse artikuliert wurden. Gerade die Elemente Haushalt und Sittlichkeit zeigen deutlich, dass die vermeintlich privaten Debatten von Machtbeziehungen durchzogen und an der Herstellung von Normalisierungsdiskursen beteiligt waren. Die Partizipation von Frauen am deutschen Kolonialismus ist also, entgegen der bisherigen Forschungsmeinung, keineswegs nur als sekundär einzuschätzen: „An der Schnittstelle von Sexualität und ‚Rasse‘ entwickelte sich unter Einflussnahme frauenrechtlerischer Diskurse eine koloniale Biopolitik, die Vorstellungen von weißer Weiblichkeit, Körperlichkeit, Sexualität und Begehren hervorbrachte und den weißen Körper politisch und symbolisch für die Etablierung einer Rassenpolitik besetzte. Diskurse um Hygiene, Sexualität, weibliche (weiße) Kultur und Sittlichkeit trugen zu einer Distinktion und zur Herstellung einer weißen Überlegenheit bei.“

Dietrichs Buch, so lässt sich abschließend feststellen, leistet zweierlei: Die einleitenden und methodischen Kapitel bilden eine gute Einführung in Fragestellungen und Debatten der Postcolonial Studies, wobei die einzelnen Positionen einer aufschlussreichen, kritischen Betrachtung unterzogen werden. Die eigentliche Analyse schließlich umfasst eine weitreichende diskursgeschichtliche Auseinandersetzung mit den Forderungen und Vorstellungen der deutschen Frauenbewegung. Indem die Autorin die Verzahnung der Debatten um Sexualität, Bevölkerungspolitik und Rassenhygiene aufzeigt und darlegt, wie die Kategorien von ‚Rasse‘ und Geschlecht in den Publikationsorganen der Frauenverbände zirkulieren, wirft sie einen nachhaltig kritischen Blick auf das moderne ‚Emanzipationsprojekt‘.

Besonders überzeugend an Dietrichs Ansatz ist auch die Behandlung der Kolonialismus-Thematik im spezifischen Kontext der deutschen Geschichte: die historischen Zusammenhänge von Antisemitismus und Kolonialrassismus werden in ihrer Bedeutung für die Herausbildung des deutschen Nationalbewusstseins diskutiert, jedoch nicht ohne zu problematisieren, dass jede vergleichende Analyse von Nationalsozialismus und Kolonialismus die Gefahr der Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen in sich birgt. Auch der antikoloniale Protest muss deshalb immer wieder selbst historisiert werden, weil sich in „vereinfachenden antiimperialistischen Thesen“ trotz der darin formulierten Kritik an binären Zuschreibungen andere Vorurteile, so etwa antisemitische Stereotype, „durch die Hintertür wieder einzuschleichen drohen“.

Titelbild

Anette Dietrich: Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von "Rasse" und Geschlecht im deutschen Kolonialismus.
Transcript Verlag, Bielefeld 2007.
430 Seiten, 32,80 EUR.
ISBN-13: 9783899428070

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