Trügerische Porträts
Denise Daums postkoloniale Deutung von Albert Eckhouts brasilianischen Sujets
Von Mathis Leibetseder
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAm 23. Januar 1637 landete in Recife an der brasilianischen Küste eine Flotte, die von Johann Moritz von Nassau-Siegen befehligt wurde. Dieses Datum markiert den Beginn der kurzen, aber viel beachteten Herrschaft, die der Gouverneur aus dem Hause Oranien im Auftrag der Westindischen Kompanie über die erst kurz zuvor eroberte Kolonie Niederländisch-Brasilien ausübte. Wenn sich dies tief in das Gedächtnis der Nachwelt eingrub, dann ist das in erster Linie der Tatsache zu verdanken, dass zu der kleinen Entourage des Gouverneurs mehrere Wissenschaftler und Künstler zählten. Nach der Rückkehr trugen sie dazu bei, die Kunde von diesem kolonialen Vorhaben in Europa zu verbreiten. Einer von ihnen war der niederländische Maler Albert Eckhout, dessen brasilianische Porträts bei Ethnologen, Kunsthistorikern und Historikern bereits seit längerer Zeit Interesse geweckt haben. Es handelt sich um insgesamt acht, heute im Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen befindliche Porträts, die jeweils eine Frau und einen Mann aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – Tapuya- und Tupi-Indianer sowie Afrikaner und Mestizen – in ganzer Figur zeigen.
Es sind diese Porträts, denen sich nun die Trierer Dissertation von Denise Daum mit einem an den postcolonial und critical whiteness studies geschulten Blick zuwendet. Hat die Forschung die Porträts bislang vielfach als ethnografhische Darstellungen beschrieben, die ein authentisches Bild der indigenen Bevölkerung zeichnen, so verfolgt Daum eine gegenläufige These: Die Porträts seien nicht realistische Wiedergabe von in Brasilien lebenden Menschen, sondern Konstruktionen, die auf die kolonialen Machtverhältnisse zurückzuführen seien und zur Etablierung von Weißsein als gesellschaftlicher Norm beitrügen.
Im ersten Teil der Studie rekonstruiert die Verfasserin den künstlerischen Diskurs über die ‚Anderen‘. Ausgangspunkt hierfür bildet die Beschreibung des historischen Kontextes der Porträts. Die Verfasserin weist nach, dass die Gemälde nicht, wie oft angenommen, in Niederländisch-Brasilien, sondern erst nach der Rückkehr auf der Grundlage von Studien entstanden sind, vermutlich zur Ausstattung des Mauritshuis in Den Haag. Anschließend werden die acht Porträts mit anderen Darstellungen außereuropäischer Menschen einerseits und mit der zeitgenössischen Porträtkunst andererseits verglichen. Überzeugend legt Daum dar, dass Eckhouts Gemälde – mit den Worten Viktoria Schmidt-Linsenhoffs – als „ethnographische Typenporträts“ eingestuft werden müssen. Es handelt sich also nicht um ‚reale‘ Darstellungen existierender Individuen, sondern um die Abbildung von Personen, die exemplarisch für jeweils eine ganze Bevölkerungsgruppe stehen sollen.
Im zweiten großen Teil der Arbeit folgt Daum dem Zusammenhang von Kunst und Wissenschaft. Sie arbeitet heraus, dass die Porträts nicht nur vier verschiedene Bevölkerungsgruppen repräsentieren, sondern diese auch in einen zivilisationsgeschichtlichen Kontext rücken, der sich an körperlichen Merkmalen wie Hautfarbe und Geschlecht festmacht. Hiermit ist ein Vorgriff auf rassentheoretische Konzepte späterer Jahrhunderte verbunden. Aufschlussreich sind auch Daums Überlegungen zum Fehlen von Porträts der weißen Kolonisatoren, die so „nicht der Ordnung nach Ethnizität und Geschlecht unterworfen [werden].“ Nur ‚farbige‘ Körper werden in eine Hierarchie gepresst, während ‚weiße‘ nicht klassifiziert werden.
Im letzten, etwas skizzenhaft geblieben Teil des Buches wendet sich die Autorin dann der Rezeption der Eckhout’schen Porträts und Motive zu. Immer wieder wurden die von Eckhout geprägten Bildformeln aufgegriffen und in neue Zusammenhänge eingepasst. Die „Weltpanoramen“, die dabei entstanden, beschreibt Daum als exotisierend. Im Gegensatz dazu sei Eckhouts Zyklus eine gemalte Kolonie, der ausschließlich auf die Verhältnisse in Niederländisch-Brasilien verweist. Dabei erkennt die Verfasserin durchaus an, dass die auf den Porträts Dargestellten dadurch, dass sie hier erstmals in der europäischen Malerei in monumentalen Ganzkörperdarstellungen in Szene gesetzt werden, eine Aufwertung erfahren. Aber auch dies, so Daum weiter, sei gleichsam der ‚Werbewirkung‘ zuzuschreiben, die die Gemälde in Europa besitzen sollten. Denn Johann Moritz wurde so implizit als Herrscher über eine prosperierende Kolonie inszeniert.
Gelingt es Daum überwiegend, ihrer Thesen überzeugend zu untermauern, so ist der äußerst fachsprachlich gehaltene Sprachduktus doch stellenweise von einer Inkonsequenz geprägt, die angesichts der Präzision, die der Terminologie ansonsten abverlangt wird, erstaunt. So erklärt sie etwa, den Begriff der Hybridität aufgrund „rassistische[r] Subtexte“ nicht mehr verwendet zu wollen. Doch wird der Begriff zuvor und danach so häufig benutzt, dass es sich bei der Kritik nur um eine politische korrekte Attitüde handeln kann. Bedauerlich ist auch, dass Daum den arg strapazierten Begriff der Ambivalenz nicht näher fasst oder ihn zugunsten präziserer Formulierungen ganz aufgibt. Das Verhältnis der gegenläufigen Bedeutungsebenen, die Daum herausarbeitet, bleibt deshalb letztlich unscharf.
Zwar hinterlässt die Lektüre aufgrund solcher Monita keinen ganz runden Eindruck, letztlich überwiegt jedoch der Erkenntnisgewinn einer Studie, welche die Anregungen der postcolonial und critical whiteness studies überzeugend in kunstgeschichtliche Fragestellungen zu übersetzen versteht. Namentlich das Ziel, die Porträts in einem Diskurs über die ‚Anderen‘ zu verorten, gelingt vortrefflich. Es ist nicht zuletzt dem umfangreichen Vergleichsmaterial zu verdanken, dass die Arbeit stark über ihren engen Untersuchungsgegenstand hinausweist und für all jene von Belang sein dürfte, die sich mit der Aneignung des Fremden in der Frühen Neuzeit in ihren unterschiedlichen Spielarten beschäftigen möchten.