Profunde Einführung

Matthias Eckholdts „Medien der Macht – Macht der Medien“

Von Christer PetersenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christer Petersen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach allerlei theoretical turns, wie etwa dem iconic oder dem spatial turn, die in den letzten Jahren ausgerufen wurden, scheinen zumindest hierzulande in der kulturwissenschaftlich orientierten Medienwissenschaft immer noch zwei Ansätze zu dominieren, ein diskursanalytischer in der Tradition Michel Foucaults und ein an Niklas Luhmann ausgerichteter systemtheoretischer Ansatz. Hieran orientiert sich auch Matthias Eckholdts „Medien der Macht – Macht der Medien“. Für Eckholdts Analyse der Medien zeichnet Luhmann verantwortlich, für die Analyse der Macht Foucault. Dabei gelingt Eckholdt eine profunde Darstellung gerade des späten Luhmann und des frühen Foucault. Eckholdt arbeitet dabei einen konstruktivistischen Grundtenor als verbindendes Element zweier nicht auf den ersten Blick miteinander vereinbarer Theorien heraus. Man könnte Eckholdts implizite These in etwa so formulieren: Mediale Prozesse der Realitätsverdopplung und diskursive Dispositive schaffen gleichermaßen eine kulturelle Realität zweiter Ordnung, in welche sich kaum mehr das Ereignis einer beobachteten Realität erster Ordnung einschreibt, dafür aber umso besser ein Diskurs realitätsstiftender Macht ablesen lässt.

 

Wessen Macht das im Einzelnen ist, wird allerdings nicht immer klar, wenn Eckholdt zu beweisen sucht, dass das Leben in der modernen Gesellschaft von den Massenmedien nicht nur beeinflusst, sondern bestimmt und reguliert wird. Zwar vergisst er nicht zu erwähnen, dass die Massenmedien allerlei wichtige Funktionen haben. Sie vermitteln Normen und gesellschaftliche Werte, produzieren Weltwissen, reduzieren Komplexität und erzeugen dabei eben immer auch eine „zweite Realität“, die sich ständig vor die „erste Realität“ schiebt, bis diese scheinbar unerreichbar wird: „Das System der Massenmedien stellt die Grundrealität für die moderne Gesellschaft zur Verfügung und diszipliniert, sozialisiert und produziert qua postpanoptischem Machtdispositiv die modernen Individuen“, schreibt Eckholdt und schließt damit auch gleich jede Möglichkeit aus, eine nicht manipulierte, nicht medialisierte Realität erfahren zu können. Wenn diese Folgerung auch nicht zwingend aus Eckholdts durchaus plausiblen Prämissen hervorgeht, beruft er sich in der theoretischen Begründung doch wieder ganz zu Recht auf Luhmann und dessen Überlegungen zur „Realität der Massenmedien“ aus dem Jahre 1996: So sind die Massenmedien nach Luhmann ein autopoietisches System, und als ein solches können sie schlicht nicht anders, als ihre eigenen Operationen durchzuführen. Genau wie das Wissenschafts- oder das Wirtschaftssystem erzeugt das Massenmediensystem seine Operationen aus sich selbst heraus, aus dem und in dem Netzwerk seiner eigenen Struktur. Wir – so die Zuspitzung Luhmanns durch Eckholdt – könnten daher dem Mediensystem nicht entkommen, aber für das Massenmediensystem selbst gebe es ebenfalls keinen Ausweg. Auch das System bleibe Gefangener seiner eigenen Struktur.

Das Gefängnis ist Eckholdt die Allegorie für eben diesen Sachverhalt, um nun Luhmann zu verlassen, weil er Macht bloß als das Medium des Politiksystems verstehe, und sich nach einem Exkurs über Marshall McLuhan Foucault zuzuwenden. In Foucaults in den Jahren 1974/75 in einer Vorlesungen am Collège de France ausgearbeitetem Pest-Paradigma erkennt Eckholdt schließlich das Modell der spätmodernen Mediengesellschaft. So ginge es laut Eckholdts Foucault-Exegese – im Gegensatz zum Lepra-Paradigma, wo die Vertreibung von Kranken die Lösung sei – beim Pestfall nicht um Ausschluss, sondern um Einschluss: Hier wird eingesperrt, überwacht und registriert. Die Macht in der Zeit der Pest ist eine positive Macht, paraphrasiert Eckholdt Foucault weiter. Anstatt Anormalität zu verjagen und zu verbannen, leiste sie einen Beitrag zur Erweiterung der Individualisierung. Individualisierungsmechanismen werden aber nicht dazu entwickelt, um das Subjekt zu befreien, sondern um es zu beobachten: „Aus dem dunklen Kerker, der die Aussätzigen verbergen sollte, wurde das unerbittlich helle Licht der Überwachung, in dem die Anormalen kontrolliert wurden.“ Das soll auch für unsere medienabhängige Gesellschaft gelten: Massenmedien werden von Eckholdt als ein postpanoptisches Machtdispositiv erklärt, als ein Dispositiv also, das das panoptische Prinzip der ununterbrochenen Beobachtung abermals radikalisiert. Mittels ihrer strukturellen Kopplung an alle anderen Systeme der Gesellschaft ermöglichen Massenmedien die Kommunikation zwischen den Systemen und bieten gleichzeitig den Orientierungsrahmen für diese Kommunikation. Die panoptische Fremdbeobachtung werde im Zuge dessen schließlich zur postpanoptischen Selbstbeobachtung, indem die Gesellschaft ihre Selbstbeschreibung gänzlich den Massenmedien überlasse. Nach Eckholdt leben wir genau darum in einer Realität zweiter Ordnung, die von den Massenmedien erzeugt und kontrolliert wird. Durch die Zwischenschaltung von Technik gehe nicht nur die Interaktion zwischen Sender und Empfänger, also Individuen, verloren, sondern auch der Kontakt dieser mit einer ersten, unberührten Realität, die durch eine Bildschirm-Realität ersetzt werde.

Die rasanten Folgerungen des Autors funktionieren aber nur um einen Preis, den der Vereinfachung. So kritisch Eckholdt auf der einen Seite der massenhaften Medialisierung gegenübersteht, so unhinterfragt lässt er auf der anderen Seite das Konstrukt einer Realität erster Ordnung. Was diese Realität sein soll, muss Eckholdt nicht im Einzelnen erklären. Er ist kein Erkenntnistheoretiker. Aber einfach eine Realität erster Ordnung vorauszusetzen, um deren Abschaffung zu beklagen, ist fahrlässig. Nicht fahrlässig aber inkonsistent ist dagegen, dass Eckhold einerseits von Individualisierung spricht und andererseits von den Massenmedien, als wären sie irgendeine unabhängige, von den Individuen und Institutionen gänzlich entkoppelte Entität und eben nicht ein kompliziertes Netzwerk von Institutionen, die von Individuen mehr oder weniger machtvoll gestaltet werden und diese natürlich umgekehrt auch gestalten. Interdependenz wäre hier das (systemtheoretische) Stichwort. Und wenn Eckhold schließlich zu Recht darauf hinweist, dass Macht zirkulär und nicht „monolithisch“ sei, vergisst er doch, der kaum weg zu theoretisierenden Beobachtung Rechnung zu tragen, dass einige Individuen mehr Macht ausüben als andere.

So gelingt Matthias Eckholdt mit „Medien der Macht – Macht der Medien“ auch keine neue Theorie der Massenmedien, jedoch eine – und als solche durchaus empfehlenswerte – Einführung in die Macht- und Medientheorien Foucaults, Luhmanns, McLuhans und einiger anderer.

Titelbild

Matthias Eckoldt: Medien der Macht - Macht der Medien.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007.
214 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783865990310

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