The Weapon of Choice

Ein Sammelband von Fernand Hörner und Oliver Kautny über die Stimme im HipHop

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach einer Karriere von mittlerweile fast vierzig Jahren ist das Musikphänomen HipHop immer noch von ungemein großer Vitalität. Die Entwicklung begann Ende der 1960er-Jahre in New York mit politischen Aktionsformen, erhielt jedoch erst 1982 mit einer Reihe von medialen Ereignissen weltweite Beachtung und internationale Verbreitung. Unter anderem DJ Grandmaster Flashs „The Message“ positionierte HipHop, genauer gesagt Rap in der Popkultur, die von Anfang an eine große Spanne zwischen offenem Lebensstil, politischem Statement und Unterhaltungsgenre umfasste.

Auch wenn Rap mittlerweile keineswegs mehr allzu puristisch auftritt und zahlreiche Anschlussmöglichkeiten zu anderen musikalischen Genres bestehen, stehen in seinem Kern immer noch nur zwei Positionen: der Rapper selbst (dessen Ursprungsfunktion in der Bezeichnung MC, Master of Ceremony, erkennbar geblieben ist) und der DJ, der den Rhythmus vorgibt. Rhythmus und Sprechstimme sind bis heute die beiden Konstanten von HipHop und seiner musikalischen Zentralform Rap.

Auf ihr Zusammenspiel kommt es an, was es umso bemerkenswerter macht, dass – so Fernand Hörner und Oliver Kautny in ihrem Sammelband – die Stimme, deren Funktion, Position und deren Modulationen bislang kaum in den Fokus gerückt wird. Dabei sei gerade die Stimme des MC Ausdruck des beständigen Bemühens der HipHopper um Authentizität. Sie sei, worauf eine der Hauptreferenzen der Autoren, Christian Bielefeldt, verwiesen habe, die Repräsentanz für die biografische Authentizität und leibliche Präsenz des Auftritts des MC.

Dass Authentizität eine der zentralen Anforderungen des HipHop ist, gehört zu seinen Basisannahmen, dass sie mit großem Aufwand inszeniert werden muss, ist zugleich allen Beteiligten bewusst, ohne dass sie damit den Authentizitätsanspruch selbst in Zweifel ziehen würden. Ein Paradigma, an dem sich bereits 2003 Gabriele Klein und Malte Friedrich in einem allerdings mit theoretischem Ballast allzu beladenen schmalen Suhrkamp-Band abgearbeitet haben (Is this real? Die Kultur des HipHop. Frankfurt/M. 2003). Hörner und Kautny treiben die Reflexion sogar noch darüber hinaus, indem sie darauf verweisen, dass HipHop „in hohem Maße die Fiktionalisierung seines gesamten musikalischen, textlichen, bildlichen und körperlichen Aussagebereichs“ vorantreibe, ohne darauf zu verzichten, in der jeweiligen Rolle den Anspruch auf Echtheit und Originalität aufzugeben. Das führt nahezu zwangsläufig zum Dilemma einer inszenierten (Medien-) Realität, die als einzige akzeptable Realitätsform noch erhalten bleibt. Auf der Folie einer Gesellschaft, die nicht mehr auf Identität, sondern auf Flexibilität und Rollenvarianz basiert und Stile als notwendige subjektive Ausdrucksform versteht, an die Stelle einer Essenz also die Akzidenz der Phänomene setzt, ist dieses Konzept mehr als konsequent und erklärt gegebenenfalls auch, weshalb solche Rollenmodelle, wie sie der HipHop anbietet, eine derart große Attraktivität haben.

Wie sehr die Inszenierung von Authentizität bis in die Modulierung und Wahrnehmung der Stimme reicht, zeigen in diesem Band nicht zuletzt die Herausgeber selbst in ihrer Einleitung, aber eben auch die Beiträge von Murray Forman über „Stimme und Autorität im HipHop“, Johannes Ismael-Wendt und Susanne Stemmler über den afrikanischen Rapper K’Naans und Fernand Hörner über die Funktion der Stimme bei der Behauptung von Authentizität.

Der Vorrang tiefer, dunkler Stimmlagen und deren Identifizierung mit männlichen Rollenbildern und Autorität (die, nebenbei bemerkt, Respekt bei der Referenzgruppe erzeugt) verweist darauf, dass auch im Authentizitätskosmos des Rap Rollenbilder, um nicht zu sagen Rollenklischees, eine große Rolle spielen. Der strukturelle Nachteil, den in diesem Kontext hohe oder schwache Stimmen haben, ist zwar durch ironische oder variierte Inszenierungen oder auch durch technische Verfahren (die Verstärkung der Stimme oder deren Verdopplung in der Studioaufnahme) kompensierbar. Aber selbst in diesen Verfahren wird der Referenzpunkt, die schwarze, männliche, eben tiefe und volltönende Stimme als Maß erkennbar.

Allerdings spielen im HipHop neben der Stimmlage auch andere Auszeichnungen eine große Rolle, etwa Sound, Rhythmus, Phrasierung, der sogenannte Flow, der gesamte Eindruck, der durch das Ensemble der Performance geprägt wird. Neben der musikalischen sind zudem textliche und rhythmische Aspekte relevant, wie die Beiträge von Oliver Kautny (zum Flow, zu den textlichen Variationsaspekten und mithin den Reimformen) und Dietmar Elflein zum Verhältnis von Beat, Sound und Stimme zeigen.

Christian Bielefeldt verweist darüber hinaus in seinem Beitrag auf Traditionen, in denen die Rollenspiele des HipHop wie seine Basisstruktur stehen. Stefan Neumann hingegen behandelt mit den Skits (kleine szenische Stücke) eine inszenatorische Randerscheinung des HipHop, die auf den Plattenaufnahmen als konzeptionelle Bindeglieder fungieren können.

Der Band reiht sich damit ein in eine mittlerweile auch im Kernbereich der Kultur-, Musik- und Literaturwissenschaften wahrgenommene Erkenntnis, dass der Text allein nur einen Teilaspekt der kulturellen Produktion darstellt. Für Theater und Hörspiel ist das ein lang diskutiertes Phänomen. Bertolt Brechts Theater- und Radioarbeiten etwa aus den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren sind ohne die Kompositionen nur unzulänglich wahrnehmbar. Im Bereich der Popkultur ist ein solches übergreifendes Verständnis unverzichtbar. Erst aber seitdem sie nicht mehr als das Jenseits der Kunst (Theodor W. Adornos „Stahlbad“ der Kulturindustrie), sondern als deren legitimer Zweig wahrgenommen werden, werden auch Aspekte wie die der Stimme und der Inszenierung als Desiderat erkennbar. Für gestandene Literaturwissenschaftler ist der Schritt in die Populärkultur jedoch vielleicht zu groß, die kulturelle und habituelle Differenz gegebenenfalls auch nicht aufzuheben. Was allerdings zu ihren Lasten geht.

Titelbild

Fernand Hörner / Oliver Kautny: Die Stimme im HipHop. Untersuchungen eines intermedialen Phänomens.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
201 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783899429985

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