Malerei für die Ewigkeit

Joachim Poeschke legt einen ebenso wissenschaftlich anspruchsvollen wie prächtig ausgestatteten Band zu frühen Mosaiken in Italien vor

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Wandmosaik oder Opus musivum bezeichnet man eine der Malerei ähnliche Wand- beziehungsweise Deckendarstellung aus Steinwürfeln, Glasstäbchen oder anderen geeigneten Materialien. Die frühesten Zeugnisse stammen aus dem 4. Jahrhundert vor Christus, und zwar aus dem mesopotamischen Raum. Wandmosaiken wurden bereits in Ägypten, im Römischen Reich und später im byzantinischen Herrschaftsgebiet geschaffen. Mit der frühchristlichen Mosaikkunst kam es dann zu einer transzendenten Auflichtung beziehungsweise Entmaterialisierung des Bildgrundes, zu einer Aufhebung des organischen Zusammenhanges der Figuren- und Gegenstandswelt, zu einer zeichnerischen, abstrakten Verhärtung der Gestalt- und Ornamentwiedergaben im Sinne einer neuen christlichen Repräsentationskunst. Ob es sich nun um die Mosaikkunst in den frühen Sakralbauten von Rom, Ravenna, Neapel und Mailand im Weströmischen Reich handelt, die dann seit dem 6. Jahrhundert unter byzantinischen Einfluss gerät, um die um 800 mit der zunehmenden Souveränität des Papsttums erfolgende Wiederbelebung der frühchristlichen Tradition in Rom oder um die Blütezeit der Mosaikkunst im 12. und 13. Jahrhundert nicht nur in Rom, sondern auch in Venedig, Sizilien und Florenz – hier entstand eine „Malerei für die Ewigkeit“, die zu den kostbaren Schätzen des Weltkulturerbes gehört.

Vielfach sind die frühchristlichen und mittelalterlichen Mosaiken in Italien zerstört oder beschädigt worden, sie haben Erneuerungen oder Restaurierungen über sich ergehen lassen müssen. Im Laufe der Zeit schadhaft gewordene Mosaiken sind zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert auch vollständig ersetzt worden. Das macht mitunter die Datierungsfrage, die Frage der Echtheit der frühen italienischen Mosaiken, die Frage, inwieweit sie unabhängig von der byzantinischen Tradition entstanden sind, so schwierig.

Joachim Poeschke, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Münster und Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zur italienischen Kunst des Mittelalters und der Renaissance, hat im Hirmer Verlag einen opulenten Band „Mosaiken in Italien 300 bis 1300“ herausgebracht, der bei jedem Kunstinteressierten helle Freude auslösen wird. Das Monumentalwerk ist in erster Linie an interessierte Laien gerichtet, darüber hinaus auch an Studierende der Kunstgeschichte, so betont der Verfasser im Vorwort. Denn er will nicht mit den verdienstvollen Standardwerken von Otto Demus (1949, 1984), Ernst Kitzinger (1960), Guglielmo Matthiae (1967), Walter Oakeshott (1967), Friedrich Wilhelm Deichmann (1969-1989), Beat Brenk (1975, 1977), Walter Nikolaus Schumacher (Joseph Wilpert, Walter N. Schumacher 1976), Maria Andaloro (2006) und Serena Romano (2006) wetteifern, sondern erstmals ein „Überblickswerk“ geben, das in Detailfragen weder mit diesen Standardwerken konkurrieren kann noch will. Ausführlich werden die Mosaiken in 19 Kirchen, Baptisterien und Mausoleen über zehn Jahrhunderte in Wort und Bild vorgestellt. Ganzseitige beziehungsweise über zwei Seiten sich erstreckende Großaufnahmen wechseln sich ab mit kleinformatigen Darstellungen, vor allem, wenn es um die Erfassung von ganzen Zyklen geht oder ein Raumeindruck dem Leser vermittelt werden soll. So ist ein illustriertes Werk von respekteinflößendem Ausmaß entstanden.

Der Autor setzt ein mit den frühen christlichen Sakralbauten, in denen das Mosaik vor allem die Rolle der Wandmalerei übernahm. Apsis, Triumphbogen, Langhauswände und Gewölbe der Zentralbauten wurden damals mit heilsgeschichtlichen Darstellungen geschmückt. Hierbei fand zunehmend Glas- und Goldmosaik Verwendung. Wurde zunächst noch die antike, illusionistische Formgebung beibehalten, so in Santa Costanza in Rom (um 340) oder im Baptisterium der Orthodoxen in Ravenna (451-460), so setzte mit den Mosaiken von Santa Maria Magggiore in Rom (2. Viertel des 5. Jahrhunderts) eine flächenhafte, zugleich monumentale Kompositionsweise ein. Von der byzantinischen Mosaik-Kunst vor der Zeit des Bilderstreits sind nur wenige Beispiele erhalten. Hauptwerke sind die Mosaiken von Ravenna (6. Jahrhundert): Sant’Apollinare Nuovo, San Vitale, Sant’Apollinare in Classe. Hier fand der hieratische, antinaturalistische, byzantinische Stil seine vollendete Ausprägung, wobei der transzendente Goldgrund zur Entmaterialisierung des Dargestellten beitrug.

Die zweite Blütezeit der byzantinischen Mosaik-Kunst fällt dann in das 11. bis 13. Jahrhundert. Ein fester ikonografischer Kanon mit dem Bild des Pantokrators in der Kuppel, Maria in der Apsis und alt- und neutestamentlichen Szenen an den Wänden bildete sich heraus. Im normannischen Sizilien schufen im 12. Jahrhundert vorwiegend byzantinische Künstler die großen, ganze Wandflächen in mehreren Streifen bedeckenden Mosaik-Zyklen im Dom von Cefalu, in der Cappella Palatina in Palermo und im Dom von Monreale Die in San Marco in Venedig entstandenen Zyklen (die Dome von Murano und Torcello lässt der Verfasser aus) sind sowohl von byzantinischem Einfluss geprägt als auch von ganz neuen Tendenzen, ebenso die Mosaiken im Baptisterium in Florenz. Zu den letzten Höhepunkten des monumentalen Mosaiks im 13. und 14. Jahrhundert gehören in Italien die von Jacopo Torriti ausgeführten Mosaiken von San Giovanni in Laterano (auch sie fehlen im Buch) und Santa Maria Maggiore in Rom (vollendet 1296) und die von Pietro Cavallini geschaffenen Mosaiken in Santa Maria in Trastevere in Rom (um 1296-1300).

Poeschke untersucht die Bildprogramme und die in ihnen zum Ausdruck kommenden religiösen Ideen, die verschiedenen Stilarten und Herstellungstechniken, wobei er sich auf die neuesten Forschungsergebnisse, auf die Standardwerke und Originalquellen stützt. In welchem Umfang haben die Restauratoren die ursprünglichen Absichten der Künstler bewahrt oder entstellt? Zwar ist eine Vielzahl von Neuaufnahmen für dieses Buch angefertigt worden, doch mitunter kann der Verfasser nur auf Grund von Fotografien urteilen, die von früher her zur Verfügung stehen und die keine stichhaltige Schlussfolgerung zulassen. Andererseits gibt es oft ein hervorragend fotografisches Material, aber nicht gerade diejenigen Aufnahmen, die zu einer entsprechenden Beweisführung nötig sind. Und dennoch vermag sich der Verfasser seiner Aufgabe der Zusammenschau, der vergleichenden Betrachtung wie Einzelanalyse mit Bravour zu entledigen. Ich greife drei Beispiele heraus, wie er bei der Beschreibung der Mosaiken in den jeweiligen Sakralwerken methodisch und inhaltlich verfährt.

Das umfangreichste und bedeutendste Mosaikensemble, das sich in Rom aus frühchristlicher Zeit erhalten hat, befindet sich in S. Maria Maggiore, der ältesten Marienkirche in Rom, die Papst Sixtus III. (432-440) hatte errichten lassen. Aus dieser Zeit stammen auch die Mosaiken im Langhaus und am Triumphbogen, die aber nur einen Teil der ursprünglichen Mosaikausstattung der Kirche darstellen. Poeschke erklärt die auf beiden Seiten des Mittelschiffs angebrachten Szenen aus dem Alten Testament, denen am ehemaligen Apsisbogen Begebenheiten aus dem Neuen Testament und den Apokryphen gegenüberstehen. Der alttestamentliche Zyklus bildet die Vorstufe zu dem im Apsisbereich gezeigten Bildprogramm, das im Offenbarwerden der Gottessohnschaft Christi gipfelt. Der Verfasser weist darauf hin, dass ausschließlich Szenen aus der Kindheitsgeschichte Jesu gezeigt werden, in denen die Gottesnatur Jesu zum Ausdruck kommt – Jesus als Messias, als König und als Gott, und zwar sowohl der Juden wie auch der Heiden. Dabei weist die Ikonografie der Triumphbogenmosaiken gegenüber früheren Darstellungen der Kindheitsgeschichte Jesu eine Vielzahl ungewöhnlicher, einmaliger Motive auf. Im Unterschied zu dem eher feierlichen Gepräge der Szenen und dem zeremoniellen Gebaren der Figuren am Triumphbogen sei der Erzählstil in den Langhausmosaiken lebhafter, die Szenerien vielfältiger und – auch durch die Hintergrundslandschaften – irdischer, das Kolorit bunter. Daraus könne weniger auf eine unterschiedliche Entstehungszeit der Mosaiken, sondern vielmehr auf einen thematisch bedingten Rangunterschied im Modus der Darstellung geschlossen werden.

Bei der Basilika San Vitale in Ravenna werden von Poeschke die Mosaiken in der Apsis und im Presbyterium (um 545-550) behandelt. Man kann hier erkennen, wie die Pracht der Mosaiken und die bizarren Äderungen der Marmorpfeiler in einer perfekten Harmonie zueinander stehen. In der Bogenleibung sehen wir in einer Gegenüberstellung, die dem idealen Konzept vom Offertorium entspricht, 15 Rundbilder von Aposteln mit der Büste Christi. Jedes Rundbild umspielen grüne Delphine, harmlose Bewohner der Wellen, die Heil bedeuten. Vom Kuppelgewölbe hebt sich das zentrale Rundbild ab, das, umrahmt von einer Girlande von Blättern, Äpfeln und Birnen, das apokalyptische Lamm mit einem Nimbus auf gestirntem Hintergrund zeigt. Dieses Rundbild wird von vier Engeln getragen, die in den üppigen Gewölberippen aus Akanthusspiralen förmlich untertauchen. In den Ecken zeigen vier Pfauen, Symbole für die Auferstehung, ihren Federschmuck als offenes Rad.

Den Eindruck außerordentlicher Leichtigkeit vermitteln die beiden Seitenwände. In der linken Lünette zwei Episoden aus dem Leben Abrahams gezeigt. Überall kann man Bäume, Gräser, Blumen finden, Motive, die die weiten blumigen Wiesen der Basilika S. Apollinare in Classe vorwegnehmen. In der rechten Lünette steht Abel, der ein Lamm als Opfer darbringt, ihm gegenüber Melchisedech im Priestergewand, Brot und Wein segnend. Sie werden in den Stützen umgeben von Moses, der sich dem brennenden Dornbusch nähert, und dem Propheten Jesaias. Um die obere Trifore sehen wir den heiligen, Matthäus und den heiligen Markus mit den entsprechenden Symbolen, dem geflügelten Mensch und dem Löwen. Zur Rechten und zur Linken erheben sich die mit Edelsteinen besetzten Mauern Bethlehems und Jerusalems, jener zwei Städte, die für die Heilsgeschichte der Menschen besondere Bedeutung haben. In den Mosaiken des Presbyteriums breiten sich unbekümmert viele dekorative Elemente aus.

Entsprechen die Mosaiken des Presbyteriums eindeutig der römisch-hellenistischen Tradition, wird an der Art des goldenen Hintergrunds der Mosaiken in der Apsisschale der byzantinische Einfluss deutlich. In der Mitte thront hier der junge bartlose Heiland auf der Weltkugel (Symbol der Schöpfung), die Rolle der sieben Siegel in seiner Hand, flankiert von zwei Engeln. Er reicht S. Vitale auf seiner Rechten die Märtyrerkrone, während zu seiner Linken der Bischof Ecclesius ihm das Modell der von ihm gegründeten Kirche darbietet. Auch hier haben wir eine den himmlischen Garten darstellende blütenreiche Wiese und die vier in einem Geflecht stilisierten Paradiesströme, der Himmel darüber ist mit farbigen Zirruswolken übersät. Der Verfasser macht darauf aufmerksam, dass zur irdischen Szenerie des Paradiesgartens durch den Goldgrund im oberen Teil der Komposition die überirdische Sphäre tritt. Hier kommen realistisch-illusionistische und abstrakt-transzendierende Gestaltungsmittel unmittelbar nebeneinander zur Anwendung. Im unteren Teil der Apsis die zwei berühmten Mosaikpaneele des Kaisers Justinian und der Kaiserin Theodora, beide von einem Nimbus umgeben, dem Symbol der Macht göttlichen Ursprungs. Hier wird der kaiserlichen Gewalt von Byzanz und der ravennatischen Kirche zugleich gehuldigt. Das das Kaiserpaar begleitende Personengefolge soll historisch authentische Figuren enthalten.

Noch im 16. Jahrhundert lieferten zum Beispiel Raffael und Tizian, Veronese, Tintoretto unter anderem Kartons für die „pittura fatta di pietre“ (Malerei aus Stein), so auch für den Markusdom in Venedig. San Marco in Venedig verfügt nach dem Dom von Monreale über den größten Bestand an Mosaiken, der sich in Italien erhalten hat. Die ältesten stammen aus dem späten 11. Jahrhundert, die meisten jedoch aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. So auffällig das Nebeneinander verschiedener Stilrichtungen ist, so uneinheitlich sieht Poeschke auch das Bildprogramm, dessen Schwerpunkt in den Mosaiken der Apsis und der drei Hauptkuppeln liegt. Am Hauptportal haben sich von den ältesten, im späten 11. Jahrhundert entstandenen Mosaiken nur die Figuren der Maria mit dem Kind, der acht Apostel und der vier Evangelisten erhalten. Der Entwurf für die Figur des heiligen Markus in der Nischenkalotte wird Tizian zugeschrieben. Zentrales Bildmotiv in der Chorkuppel ist die über den Sternenhimmel erhobene und von einer kreisrunden Aureole umrahmte Halbfigur des Christus Emmanuel, die wohl im 15. Jahrhundert erneuert worden ist. Radial um sie angeordnet sind 13 Propheten und Maria in Orantenhaltung (für sie sind in jüngerer Zeit Datierungen um die Mitte beziehungsweise gegen Ende des 12. Jahrhunderts vorgeschlagen worden), wobei Maria den Platz an der Ostseite einnimmt und dadurch axial der Christusfigur zugeordnet wird. Flankiert wird das Presbyterium von der Petruskapelle im Norden (mit den Wundertaten des heiligen Markus, seinem Martyrium und seiner Beisetzung) und der Clemenskapelle im Süden (mit der Überführung der Reliquien des heiligen Markus von Alexandrien nach Venedig).

Und so geht der Mosaiken-Rundgang in S. Marco weiter: Die Versuchungen Christi und die Szenen aus dem Leben des heiligen Johannes Evangelista in der nördlichen Kuppel werden ebenso erläutert wie der Mosaikschmuck der südlichen Kuppel, der Leonhardskuppel, die Ausgießung des Heiligen Geistes in der westlichen Kuppel, der Pfingstkuppel, ebenso wie die Himmelfahrt Christi in der Vierungskuppel (hier sind die Figuren zu expressiver Bewegtheit gesteigert) oder die Gefangennahme Jesu, Kreuzigung und Höllenfahrt Christi in dem westlich an die Vierungskuppel anschließendem Gewölbe. Eine neue Epoche wird dann mit den Mosaiken zum Thema das Gebet Jesu am Ölberg an der Südwand des Westarmes angesetzt: Durch die dreimalige Wiederholung der Szenen ergibt sich eine kompositorische Verbindung der Figuren mit der Landschaft wie auch die Vielfalt der Haltungen, Gebärden und Ansichten der schlafenden Jünger höchst virtuos anmutet. In unmittelbarer Nachfolge der Ölbergszenen sind dann die Einzelbilder von Christus Emmanuel, Maria und acht Propheten an den beiden Seitenwänden des Westarms entstanden, während das Mosaik über dem Hauptportal mit dem zwischen Maria und dem heiligen Markus thronenden Christus um die Mitte des 13. Jahrhunderts anzusetzen ist. Die beiden Mosaiken im südlichen Querarm, in denen zum einen an das Gebet um die Auffindung der Gebeine des heiligen Markus und zum anderen an deren Wiederentdeckung im Jahr 1094 erinnert wird, sind wiederum ein Zeugnis für die im 13. Jahrhundert sich verstärkende Tendenz in der Bilderzählung, nicht nur die Figuren zu vermehren, sondern auch die Szenerie zu erweitern und das Raumbild zu bereichern. Damit ist aber nun lediglich die Mosaikausstattung des Innenraums der Markusbasilika zu einem vorläufigen Abschluss gelangt, nun müsste man sich mit dem Verfasser auch dem seit dem frühen 13. Jahrhundert sich ausdehnenden Mosaikschmuck im Außenbau zuwenden.

Der Auor wollte ein „genießbares“ Buch schreiben, ein Buch, das den Leser an große Kunstwerke heranführt, und das ist ihm ohne jeden Zweifel gelungen. Dieses Opus Magnum legt man nicht so schnell wieder aus den Händen bzw. man greift immer wieder danach, weil hier einfach Lesen und Betrachten, Sehen, Sich-Erfreuen und Nachdenken in gleicher Weise angesprochen werden.

Titelbild

Joachim Poeschke: Mosaiken in Italien 300 - 1300.
Hirmer Verlag, München 2009.
432 Seiten, 138,00 EUR.
ISBN-13: 9783777421018

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