Heroinen der Aufklärung

Ursula I. Meyer wirft ein erhellendes Licht auf Aufklärerinnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den letzten beiden Jahrzehnten des vergangen Jahrhunderts war der Wellenkamm der zweiten Frauenbewegung bereits überschritten und unter den verschiedenen Strömungen, in die sie zerfloss, gab es einige, welche die als männlich geltende Rationalität kritisierten. So erschienen schon Ende der 1980er-Jahre verschiedene „Ansätze feministischer Vernunftkritik“. Zu den Vernunftkritikerinnen zählten einerseits biologistischen Thesen zuneigende Differenzfeministinnen, andererseits aber auch postmodern instruierte Kritikerinnen einer nicht nur instrumentellen Vernunft. Recht betrachtet vertraten letztere allerdings eine Position der über sich selbst aufgeklärten Aufklärung. So wundert es auch nicht, dass es bereits in der so bezeichneten Geistesepoche Streiterinnen für die Frauenrechte gab, die sich aus guten Gründen als Aufklärerinnen verstanden.

Ihnen hat Ursula I. Meyer ein Buch mit eben diesem Titel, „Aufklärerinnen“, gewidmet. In Meyers Werk hallt gelegentlich ebenfalls eine wenn auch wohl kaum differenzfeministisch fundierte prinzipielle Vernunftkritik nach. Wenn die Autorin etwa meint, in der Aufklärung habe die Vernunft als „einzige und letzte Instanz“ Gott „abgelöst“, so ist eine solche Parallelisierung nicht eben unbedenklich. Gerade in Zeiten, in denen KulturrelativistInnen die Werte der Aufklärung zur Disposition stellen und IslamkritikerInnen eines Aufklärungsfundamentalismus zeihen, der dem Fundamentalismus der übelsten IslamistInnen nicht nachstehe. So, als sei es einerlei, ob sich jemand auf Argumente beruft und von kritischen Köpfen Gegenargumente fordert, oder ob er sich auf göttliche Offenbarung beruft und die kritischen Köpfe selbst fordert. Blind für diesen Unterschied zeigte sich jüngst etwa Thomas Steinfeld, der VerteidigerInnen von Aufklärung, Freiheit und Demokratie in der „Süddeutschen Zeitung“ als „unsere Hassprediger“ beschimpfte. Damit soll Meyer allerdings keineswegs in Steinfelds Nähe gerückt werden. Denn dies hätten sie und ihr Buch nicht verdient. Geht es ihr doch gerade darum, die weibliche Seite der Aufklärung zu würdigen und ins rechte Licht zu rücken.

Meyer gliedert ihr Buch entlang der „große Themenkreise, um die sich Denken und Schreiben der Aufklärerinnen drehte“. Dies sind zunächst die gleichen, mit denen sich die Aufklärung insgesamt befasste, also Fragen der Philosophie, Politik, Bildung und Erziehung. Hinzu treten der Autorin zufolge allerdings zwei Themen, „die vor allem für Frauen relevant waren: zum einen rechtliche Fragen, wobei hier vor allem der Status der Frau in der Ehe interessierte, und die Literatur.“

Die Autorin hat das Buch nicht nur für studierte PhilosophInnen geschrieben, sondern für alle, die sich gerne über das Leben (einschließlich gelegentlicher anekdotischen Anklänge) und mehr noch die Werke der Aufklärerinnen informieren möchten. Entsprechend unprätentiöse tritt es, vor allem sprachlich, auf. Meyers Bestreben, allgemeinverständlich zu sein, tut ihrem Buch im Ganzen gut.

Einige Namen der von ihr vorgestellten Aufklärerinnen dürften zumindest den Leuten vom philosophischen Fach bekannt sein. So etwa Amalie Holst, die „vor allem Rousseau“ kritisierte, Olympe de Gouges, „die bekannteste Philosophin der französischen Revolutionszeit“, die weitgereiste Mary Wortley Montagu (1689-1762) und Louise Adelgunde Viktorie Gottsched (1713-1762), die Schriftstellerin wider Willen.

Etliche andere werden hingegen selbst den meisten LeserInnen mit akademischen Weihen unbekannt sein. Daher kann man auch ihnen den Griff zu diesem Buch empfehlen. Nicht wenige dürften erstaunt sein, wie groß die Zahl der vergessenen Aufklärerinnen ist. Zudem wird man immer wieder überrascht sein, wie modern manche der von ihnen vertretenen An- und Einsichten sind. So hielt die Frühaufklärerin Marie de Gournay (1565-1645) die Inferiorität von Frauen nicht etwa für gottgewollt oder naturbedingt, sondern gab mangelnder Bildung und Erziehung die Schuld: „Wenn Frauen also weniger oft als die Männer einen Grad an Vollkommenheit erlangen“, so schrieb sie, dann sei es „ein Wunder, dass der Mangel an guter Erziehung und selbst die Häufigkeit von schlechtem Ruf und Unterricht nichts schlimmeres anrichtet“. Außerdem bezweifelte sie, dass es „mehr Unterschiede zwischen Männern und Frauen als unter den Frauen selbst“ gibt.

So informativ das vorliegende Buch auch ist, so versteht es sich doch, dass es am besten ist, zu den Werken der AufklärerInnen (und deren Kollegen) selbst zu greifen. Dies zu tun, dürfte auch ganz im Sinne der Autorin sein. Doch da diese Texte nicht immer ganz einfach zu beschaffen sind, sei das Buch hier zum Kauf und zur Lektüre empfohlen.

Allerdings sind auch kritische Worte nicht zu vermeiden. Nicht jeder ihrer Geschlechtsgenossinnen wird die Autorin gerecht. So tut sie etwa Marie Antoinette (1755-1793) beiläufig als „gedankenlose Frau“ ab. Immerhin aber erwähnt sie an anderer Stelle, dass diese von Madame de Staël (1766-1817) für ihr „großes politisches Gespür im Sinne des Volkes“ sowie für ihren „Mut“ und ihre „Charakterstärke“ gepriesen wurde. Auch bleibt schon mal ein Spannungsverhältnis zwischen zwei von Meyer aufgestellten Behauptungen ungelöst, so etwa wenn sie zunächst erklärt, Descartes res extensa und res cogitans (das Ausgedehnte und das Erkennende) seien als „zwei Substanzen“ zu verstehen, „die von einander getrennt sind, sich aber gegenseitig bedingen“, [Hervorhebung R.L.] um wenige Zeilen später von „zwei unabhängigen Substanzen“ zu sprechen. Ungereimt ist des weiteren eine Passage, der zufolge Samuel König „[a]ls er bemerkte, dass er nicht nur ihre [Gabrielle-Emilie du Châtelet-Lomonts (1706-1749) R.L.] privaten Aufzeichnungen, sondern ein Manuskript bearbeitete“, beleidigt war und sich rächte, „indem er ihre Autorinnenschaft publik machte. Außerdem habe er behauptete, er selbst sei der Autor des Textes“. Ja, was denn nun?

Wenig sattelfest erweist sich Meyer bei ihren gelegentlichen Ausflügen in die Theologie. Dass Eva „die gesamte Verantwortung für den Fall des Menschen zugeschrieben“ wurde und dies dazu beitrug, dass „die Frau“ zur „Repräsentantin aller negativen Aspekte wurde“, trifft zwar im Ganzen zu. Nicht so jedoch, dass die „Lehre von der Erbsünde“ ebenso zum „negativen Frauenbild“ beigetragen habe. Für die Erbsünde gilt nämlich seit Augustin (354-430), dem Begründer dieser kuriosen Lehre, allein Adam als verantwortlich. Der Kirchenvater berief sich – wie berechtigt auch immer – vor allem auf die Briefe von Paulus an die Römer (insbesondere auf Römer 5,11fff.). Doch nicht nur gläubige ChristInnen dürften Augustin darin gefolgt sein. Auch den gelehrten Köpfen könnte es recht schlüssig erschienen sein, die Erbsünde allein auf Adam zurückzuführen, wenngleich aus anderen Gründen. Galt die Frau doch seit der Antike als bloßes Gefäß, das den männlichen Samen aufbewahrte und nährte, ohne dem Kind selbst etwas Wesenhaftes mitzugeben. Was vererbte wurde, wurde vom Vater vererbt. So interessierten sich bereits die AutorInnen der Bibel – man muss davon ausgehen, dass es möglicherweise mit Ausnahme des Buches „Ruth“ (fast) ausschließlich Männer waren – denn auch nur für die patrilinearen Genealogien, die sie ein ums andere mal herunterbeten: A zeugte B, B zeugte C, C zeugte D und so immer weiter. Von welcher Frau all diese zeugenden Herren jeweils geboren wurden, ist der Bibel hingegen weder ein göttliches noch ein sonstiges Wort wert.

Meyer wiederum ist nicht jedes Zitat eine Quellenangabe wert. Wenn sie darauf verweist, dass Ann Finch Conways (1613-1679) einzige Publikation, die „Principles of the Most Ancient and Modern Philosophy“, „[v]on der heutigen, jedenfalls der feministischen Forschung […] als wichtiges philosophisches Werk gewürdigt und sogar als ‚wahrscheinlich eines der originellsten philosophischen Dokumente, das jemals von einer Frau geschrieben wurde‘ bezeichnet“ wird, so hätte man doch gerne den Namen der Person erfahren, die dieses große Lob spendete.

Titelbild

Ursula I. Meyer: Aufklärerinnen.
ein-FACH Verlag, Aachen 2009.
249 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783928089494

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