Geisterbeschwörung

Milo Rau erforscht „Die letzten Tage der Ceausescus“

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zuletzt, in den Weihnachtstagen 1989, fiel Ceausescu – Monate nach dem Sturz der kommunistischen Diktaturen in Ungarn und Polen, Wochen nach Erich Honeckers Abgang und der beginnenden Wiedervereinigung. Der späte Zeitpunkt wie die undurchsichtigen Umstände der Flucht Ceausescus sicherten dem rumänischen Fall besondere Aufmerksamkeit. Fernsehbilder vom Schauprozess lösten beim westlichen Publikum gemischte Gefühle aus: Geschah dies in Europa? Geschah es jetzt? War es Wirklichkeit, Inszenierung?

Noch dem EU-Mitglied Rumänien haftet, zwanzig Jahren nach der ‚Revolution‘, das Odium des Mittelalterlich-Versponnenen, Barbarischen an. (Wiewohl ihm mancher Balkan-Staat in den 1990er-Jahren, kriegsbedingt, Konkurrenz zu machen begann.) Zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen von 1989 herrscht immer noch und immer mehr Verwirrung: Was ist in Temesvar, Bukarest und Targoviste, Ceausescus Hinrichtungsstätte, tatsächlich geschehen? War es, der etablierten Redeweise entsprechend, eine ‚Revolution‘, eine Palastrevolte oder beides? Mag der Umsturz größtenteils vor aller Augen, auf der Bühne des Staatlichen Fernsehens, geschehen sein – was auf der Hinterbühne geschah, wer dort die Fäden zog, ist bis heute unklar. Verschwörungstheorien schießen ins Kraut, Paranoia herrscht allerorten, Legende und Wirklichkeit scheinen ununterscheidbar. In keinem postkommunistischen Staat ist die Vergangenheit so wenig vergangen, so wenig verstanden.

Das Verdienst Milo Raus ist es, geeignete Formen der Darstellung solcher Verwirrung gefunden zu haben. Der Schweizer Journalist und Theatermann (Jahrgang 1977) ist alt genug, den ‚Livestream‘ der rumänischen Revolution – als prägendes Ereignis der eigenen Medienbiografie – mitverfolgt zu haben. (Damals schon sei ihm deutlich geworden, er werde diese Bilder künstlerisch verarbeiten müssen.) Nun bringt er unter den Auspizien des von ihm selbst begründeten International Institute of Political Murder (Zürich/Berlin) die letzten Stunden des „Conducators“ und seiner Gemahlin – der vom kollektiven Bewusstsein in mythische Höhen des Hexentums hinaufstilisierten Elena Ceausescu – im Rahmen eines theatralen Reenactment mit rumänischen Schauspielern auf die Bühne und dokumentiert dieses Geschehen mit filmischen Mitteln. Theatrale Zwischenformen im Übergang von Wirklichkeit und Erfindung, wie sie von Christoph Schlingensief und Rimini Protokoll erprobt worden sind, werden miteinander verschmolzen und einer neuen, idealen Bestimmung zugeführt: Welches, wenn nicht dieses Ereignis, das immer schon zwischen Faktum und Fiktion oszillierte, wäre prädestiniert, theatralen Reenactments unterzogen zu werden? Weil Rau während der Vorbereitungen seines Theaterprojekts ehrlich bemüht war, durch Ortstermine wie Zeitzeugengespräche den Raum der Tatsachen einzugrenzen, kann sein Theater dokumentarische Qualitäten beanspruchen, als Prüfstein der Wirklichkeit gelten. Mehr noch: Durch Raus Theater wird Wirklichkeit gewissermaßen erst erschaffen, nicht in gesteigerter, überhöhender Form – solche ‚mimetische‘ Potenz wurde dem Drama ‚immer schon‘ zugemessen –, sondern als ‚wirkliche‘ Wirklichkeit, als ‚Wie-es-eigentlich-gewesen‘. Dergleichen Reenactments können Exorzismen nahekommen: Dämonen der Erinnerung werden angerufen, ausgetrieben.

Weil zeitgeschichtliche Forschung zum Kern des Ganzen, nicht seiner Umgebung, gehört, ist schriftliche (und bildliche) Dokumentation – im Unterschied zu den meisten ‚Theaterbüchern‘ –, nicht Zutat, sondern Teil der Sache: „Die letzten Tage der Ceausescus. Materialien, Dokumente, Theorie“, im Verbrecher Verlag erschienen, bietet, in eigenwilligem, adäquatem Layout, ein „Produktionstagebuch“, Reflexionen zu rumänischen, medialen und allgemeinmenschlichen Befindlichkeiten, Interviews – zumal mit Friedrich Kittler, dem Feuerkopf der deutschen Medientheorie – und mehrere thematisch profilierte „Dossiers“. Milo Rau agiert als Herausgeber, in wenigen Fällen als Autor: Einer allein könnte die Fährnisse des Unternehmens, geistige wie logistische, nicht bewältigen.

Titelbild

Milo Rau: Die letzten Tage der Ceausescus. Texte und Materialien.
Verbrecher Verlag, Berlin 2009.
270 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426451

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