Alle Macht der Literatur?

Uwe Hebekus’ neue Perspektiven auf die Klassische Moderne

Von Gabriele GuerraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gabriele Guerra

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die „Klassische Moderne“ hat Hochkonjunktur. Ursprünglich für die Kunst- und die Stilgeschichte ausgedacht, hat nun diese Bezeichnung wertvolle Anwendung in der Geschichtswissenschaft sowie in der Literaturwissenschaft gefunden, provoziert dabei aber stets Diskussionen über die zeitlichen Grenzen des Phänomens.

Mag die Klassische Moderne sich auf den Zeitraum zwischen 1880 und 1933, 1918 und 1933 oder auch zwischen 1880 und 1945 erstrecken, steht eines fest: In den Jahren um die Jahrhundertwende und spätestens bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die deutschsprachige Kultur und Literatur durch eine psychologische Krisenwahrnehmung und eine  gesellschaftliche Umbruchssituation sowie folglich durch eine auf ‚klassische‘ Formen und Stile zurückgeführte Ästhetik gekennzeichnet.

Es galt damals jener ästhetische rappel à l’ordre – um es mit Jean Cocteau zu sagen –, der sich ab der Mitte der 1920er-Jahre in den bildenden und literarischen Künsten der puren Form wegen und gegen den vergangenen avantgardistischen Rausch verbreitete. Ordnungsaufruf und „klassische“ Ästhetik paarten sich dann exemplarisch in Gottfried Benns politisch suspektem Aufsatz von 1934 über die „Dorische Welt“, mit dem Motto: „Die Antike ist sehr nah, ist völlig in uns, ist noch nicht abgeschlossen“.

Die Problematik, dass diese von der Antike faszinierte Ästhetik mit der Praxis der nationalsozialistischen Machtergreifung in einem Atemzug zu denken ist, betraf selbstverständlich nicht nur einen dem nationalsozialistischen Regime folgenden Dichter wie Benn, sondern die gesamte kulturpolitische Atmosphäre der Zeit zwischen den Weltkriegen. In diesem Sinn stellt der Nationalsozialismus eine spezifische Form der Kulmination einer solchen Ästhetik dar, sowohl im künstlerischen wie im politischen Sinn.

Um diese Konstellation genau zu rekonstruieren, ist jetzt ein Buch erschienen, dessen Autor Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz lehrt. Mit dieser Habilitationsschrift ist Uwe Hebekus eine profunde Revision der Klassischen Moderne gelungen, in der er Literatur, Politik, Kunst und Mentalität der Zeit zusammendenkt und umartikuliert. Vor allem in der wechselseitigen Beziehung von Ästhetischem und Politischem lässt sich für Hebekus die Klassische Moderne erkennen: „Für dasjenige, was im Deutschland der Weimarer Republik vorbereitet wird und 1933 dann auf den Plan tritt, ist das moderne autonome Ästhetische in einer bestimmten Ausrichtung zugleich das Politische“. Daher zieht der Autor die selbstverständliche Konsequenz, dass eine solche Überlagerung vom Ästhetischen und Politischen den Totalitarismus kennzeichnet – aber in dem Sinne, dass „die deutschsprachige Literatur der Klassischen Moderne in einer ihrer wichtigen, jedoch bis heute marginalisierten Ausrichtungen horizontbildend für den politischen Totalitarismus hat wirken können, und zwar aufgrund ihrer ästhetischen Struktur“. Der theoretische rote Faden von Uwe Hebekus’ Studie ist in dieser systematischen Überlagerung erkennbar, die jedoch mehr ist als man es aus den wechselseitigen Thesen der Politisierung der Ästhetik und der Ästhetisierung der Politik kennt: Durch die Kategorie der Ermächtigung beschreibt Hebekus schließlich die Verantwortung des ästhetischen Diskurses in den totalitären Regimen, auch für deren Rassismus und Antisemitismus.

Durch Fallstudien zwischen Literatur, Politik, Kunst, Wissenschaft und Medien organisiert dann der Autor sein Buch: Zuerst analysiert er den Repräsentationsbegriff in dessen Umkehrung an den Beispielen von Carl Schmitt, Gerhard Leibholz und Hans Wolff: „Das politische Repräsentierte soll sich mimetisch zum politisch Repräsentierenden – man kann auch sagen: zu seinem eigenen politischen Imaginären verhalten“; dann wird der politische Ästhetizismus bei Alfred Rosenberg und Georg Simmel untersucht und als „Wille zur Form“ konturiert, ja als „Produkt einer konstruierenden ästhetischen Intelligenz, die ‚Elemente‘, die als solche auch im Außerästhetischen bereits distinkt sind, neu konfiguriert“. Danach stellt Hebekus den politischen Mobilisierungseffekt der ästhetischen Einbildungskraft bei Hugo von Hofmannsthal, Wilhelm Worringer und Carl Schmitt dar, wo der Autor sichtbare „Urszenen“ des Politischen auffindet.

Der zweite Teil des Buches ist in „Lektüren“ organisiert, die das Ästhetisch-Politische der Klassischen Moderne paradigmatisch skandieren: Stefan George mit seiner (politischen) Ornamentlehre, Ernst Kantorowicz mit seiner (ästhetischen oder auch mythopoietischen) Erzählung der Staatskunst von Friedrich dem Zweiten, Hofmannsthal und seine politisch-literarische Opfertheologie, Bertolt Brecht und die ästhetische Kollektivierungsutopie in seinem „Flug der Lindberghs“ oder Leni Riefenstahl und die Vision ihrer faschistischen Initiationsrituale. Diese Figuren werden vom Autor sorgfältig und perspektivwechselnd analysiert und bezeichnen für ihn schließlich eine „Topologie totalitaristischer Souveränität“, die den politischen Körper der Moderne umorganisierten. Der Körper des Souveräns – seine reine Leiblichkeit (und nicht seine nach Kantorowicz bestimmte und teologisch-politisch artikulierte Zweikörperlichkeit) – wird verdoppelt und zeichnet sich durch einen konstitutiven „Willen zur Gemeinschaft“ aus. Dieser Willen aber ist im Wesentlichen – das ist die entscheidende und doch fragliche Schlussbemerkung Hebekus’ – nicht biologisch-rassistischer, sondern eher ästhetischer Natur: „Der ‚Mythus‘ der nordischen Rasse muß im Ästhetischen kulminieren, weil er der ‚Mythus‘ der Formhaftigkeit der Form ist. Sich ästhetisch realisierend und dabei ‚Leben erzeugend‘ zeigt Rosenberg nichts vor als den Willen und die Entschlossenheit zur Form überhaupt“. Fraglich erscheint diese Schlussbemerkung insofern, als sie zu einer Überschätzung der Rolle des Ästhetischen im staatspolitischen Bereich zu tendieren scheint: Indem der Autor auf Ernesto Laclaus Idee der „leeren Signifikanten“ verweist, wonach sich der politische Diskurs auf eine Logik der Differenz, auf negativ bestimmte „Anti“-Begriffe stützt, postuliert Hebekus eine solche Negativität auch für die nationalsozialistische rassistische und antisemitische Lehre: „Der Übergang vom traditionellen Antijudaismus zum modernen rassistischen Antisemitismus ist der Übergang vom partikularen, topisch-religiösen ‚jüdischen Signifikanten‘ zum entleerten ‚semitischen Signifikanten‘. Damit löst der Antisemitismus ‚das Jüdische‘ von seinem zuvor fest umrissenen sozialen Referenten“. Auf diese Weise setzt der Autor einen nationalsozialistischen body politic voraus, der mit „leeren Signifikanten“ gefüllt ist und genau dadurch seine Betriebsleistung steigert, zugleich aber auch seines politischen Charakters entledigt wird. Das führt aber nicht unbedingt zu einer „Ermächtigung“ durch das Ästhetische oder durch das Literarische, wie der Autor annimmt. Wenn einerseits die Herrschafts-, Legitimations- und Leistungsmittel des nationalsozialistischen Regimes zweifellos eine sehr ideologiegeladene Ebene darstellen, die nicht im klassisch-positiven, sondern eher im nihilistischen Sinn zu deuten ist, impliziert das nicht per se eine erfolgreiche Machtinstanz des Künstlerischen: das „Führerprinzip“ ist konstitutiv unliterarisch – umso mehr, weil nur das Wort des „Führers“ schließlich Gesetzeskraft besaß.

Wie Hebekus in seiner imposanten und hochinteressanten Studie den politischen Ort der Literatur gezeigt hat, ist überzeugend und mit hohem Gewinn zu lesen; dass er damit auch den literarischen Ort der Politik postuliert hat, bleibt hochproblematisch.

Titelbild

Uwe Hebekus: Ästhetische Ermächtigung. Zum politischen Ort der Literatur im Zeitraum der Klassischen Moderne.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2008.
458 Seiten, 58,00 EUR.
ISBN-13: 9783770546220

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