Rätsel für Erwachsene?

Anmerkungen zu Pablo De Santis’ Roman „Das Rätsel von Paris“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pablo De Santis in Lateinamerika ausgezeichneter Roman knüpft an ein klassisches Genre des 19. Jahrhunderts an, die Detektivgeschichte. Über dem Szenario schweben die Geister der großen literarischen Figuren des Genres, allen voran Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes. Allerdings ist, wie der Titel des Romans andeutet, nicht die englische Metropole zentraler Handlungsort, sondern das Paris der Weltausstellung des Jahres 1889. Dort hat sich die „Vereinigung der Zwölf Detektive“ zusammengefunden, um ihre Arbeit auf der Weltausstellung zu präsentieren. Natürlich werden sie in eine Mordserie verwickelt, die eng mit der eigenen Standesorganisation verbunden ist. Ehrgeiz, Neid und Hochmut haben sich in der „Vereinigung der Zwölf Detektive“ zu einer explosiven Mischung verbunden, die bei dem Treffen zu eskalieren scheint. Den Hintergrund für die Unruhe und letztendlich den Einsatz der Detektive bildet eine kleine Mordserie, die auf einen vermeintlichen Täter in den Reihen der Detektive verweist.

Der Autor führt die Rätsel der Mordserie auf eine eigenartig rationale Art vor: Die Morde werden zu einem Puzzlespiel und führen letztendlich zu der Frage, welcher der Detektive die richtige Methode hat, um die Morde aufzuklären. Dabei verwirren sich die Fakten und es geht dem Leser wie den Protagonisten: Es ist nicht aufklärbar, die Fäden haben sich ineinander verstrickt. Dem Entwurf einer rationalen Weltausstellung, die alles zählt und zeigt und analysiert, wird mit den Morden ein irrationales Erklärungsmodell entgegengesetzt, dessen Geheimnis nicht rational zu lösen ist. Und damit ist das Rätsel vielleicht doch nicht dasjenige von Paris, sondern das, was der Protagonist Sigmundo Salvatrio in seinem Inneren verbirgt, die Option, sich von dem Bösen korrumpieren zu lassen, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Sein erster Meister Craig war daran gescheitert, als er bei einem Verhör eines Verdächtigen diesen zu Tode foltert, aber das Verbrechen dadurch aufklären kann.

Die letztendliche Lösung des kriminalistischen Rätsels bringt ein Mikroskop. Salvatrio nutzt eine neue Methode um eine Spur auf einer der Leichen zu identifizieren und einen der Detektive zu überführen. Damit wird die „Vereinigung der Zwölf Detektive“ zerstört. Aber gleichzeitig wird auch ein Paradigma für den Übergang zur Moderne geliefert, zu einer neuen Zeit, der ein Sherlock Holmes nicht mehr gewachsen ist: „Wir sind verloren. Wir sind schon seit Langem verloren. Wir versuchen vergeblich, unsere Methoden einer immer chaotischeren Welt anzupassen. Wir brauchen strukturierte Verbrecher, samit unsere Theorien aufgehen, aber was wir finden, ist das Böse ohne Ordnung, das Böse ohne Ende.“

Damit wird auf ein gern im Horrorfilm der Gegenwart verwendetes Paradigma zurückgegriffen. Das Böse bleibt in der Welt und es bleibt für den Detektiv, für den Guten, eine Versuchung: „Manchmal, wenn ein Fall mich lange im Büro aufhält, poliere ich den Löwenkopf und stelle mir vor, was ich empfände, wenn ich die Linie überschreiten, den Geschmack des Bösen kosten würde.“

Letztendlich wird die Frage gestellt, was eine Welt ohne diese Möglichkeit der Wahl zwischen Gut und Böse wäre? Eine Welt ohne Geheimnisse, eine Welt ohne Sinn. Eine geniale Kriminalgeschichte, die den Leser in die Abgründe der Welt und seines Inneren führt. Wie oft findet man einen solch unterhaltsamen und gleichzeitig tiefgründigen Reisebegleiter in Form eines Buches?

Titelbild

Pablo De Santis: Das Rätsel von Paris. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Claudia Wuttke.
Unionsverlag, Zürich 2010.
315 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783293004139

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