„Zumindest die deutsche Welt klüger, reicher und schöner gemacht“
Über Marcel Reich-Ranickis „Mein Kleist“
Von Anton Philipp Knittel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBekanntlich gehört das Werk Heinrich von Kleists neben zahlreichen anderen zu den Fixsternen Marcel Reich-Ranickis. Nun hat der knapp 90-jährige Literaturkritiker sein persönliches Kleist-Lesebuch zusammengestellt. „Der Begründung“, so Reich-Ranicki in seinem kurzen Vorwort, bedarf nicht das, was in die vorliegende Kleist-Leseausgabe aufgenommen wurde, „sondern das, was hier fehlt, leider fehlen musste. Die Dramen Kleists sind glücklicherweise allesamt bekannt – selbst jene, die, wie die ,Famile Schroffenstein‘ und vielleicht sogar die außerordentliche ,Penthesilea‘, zeitweise schon als vergessen galten.“
Und so beschränkt sich Reich-Ranicki auf die Erzählungen, wobei er „auf die längste, den ohnehin berühmten ‚Michael Kohlhaas‘ verzichtet.“ Versammelt sind also „Das Erdbeben in Chili“, „Die Marquise von O…“, „Das Bettelweib von Locarno“, „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“, „Die Verlobung in St. Domingo“ „Der Findling“ und „Der Zweikampf“.
Von den Essays wieder abgedruckt werden „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“, „Über das Marionettentheater“ und „Brief eines Dichtters an einen anderen“, da sie sich, so die Begründung des Herausgebers, „auf unterschiedliche Weise“ mit der „Gefährdung der Anmut und der Grazie durch den reflektierenden Gedanken“ auseinandersetzen.
Mit dem Ende des „Briefs eines Dichters an einen anderen“ und seinem „Lebe wohl“ schließt das gut 220 Seiten umfassende Kleist-Lesebuch. Allerdings verzichtet der Herausgeber leider – bis auf allzu spärliche Angaben auf einer Seite am Ende – weitgehend auf biografische, werk- und zeitgeschichtliche Anmerkungen. Denn außer der Tatsache, dass „die Textgestalt der hier abgedruckten Werke Heinrich von Kleists“ auf der von Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba herausgegeben Kleist-Ausgabe im Deutschen Klassiker Verlag beruhe, erfährt der Leser nur noch, dass „das Original von ,Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden‘ (1807/1808) verschollen ist und der Erstdruck von 1878 fehlerhaft war“, weshalb der hier vorliegende Text eine Rekonstruktion aus verschiedenen Lesarten sei, während die beiden anderen Texte jeweils dem Erstdruck in den „Berliner Abendblättern“ so wie auch die „Druckvorlage für die Erzählungen, die hier chronolgisch nach ihrer Enstehungszeit folgen“, nach ihrer jeweils „endgültige(n) Fassung, abgedruckt in den beiden Erzählungsbänden von 1810 und 1811“ wiedergegeben seien. Was ein Leser, der sich bei Kleist nicht auskennt, damit anfangen soll, bleibt fraglich. Entstanden ist jedoch eine handliche Kleist-Leseausgabe, die Lust auf die vertiefte Auseinandersetzung mit einem „zeitkritische(n)“ und „politische(n) Schriftsteller“ macht. Oder wie Reichn-Ranicki resümiert: Kleist „hat mit seinem poetischen Werk die Welt, zumindest die deutsche Welt, reicher, klüger und schöner gemacht“.
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