Ein Meister des Ungesagten

Bjarte Breiteig zeichnet in „Von nun an“ intensive Stimmungsbilder zum Nachdenken

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Alltag stellt uns täglich vor neue Herausforderungen. Diese gestalten sich individuell – je nach Beruf, persönlichen Fähigkeiten oder den eigenen Erwartungen. Wir können diese Herausforderungen meistern oder daran scheitern. Doch gerade existentiell bedrohliche Situationen stellen uns vor eine fast unlösbare Aufgabe. Man durchlebt starke Emotionen, stellt sich infrage oder wird mit etwas konfrontiert, das lange zurückliegt und bereits vergessen schien.

Die Protagonisten in Bjarte Breiteigs Novellensammlung „Von nun an“ durchleben genau diese Situationen. Es sind unterschiedliche Szenarien wie das Treffen eines alten Schulkameraden, ein Elternabend in der Schule, die Beerdigung eines Bekannten oder eine Party in den eigenen vier Wänden. Und doch haben sie eins gemeinsam: In jeder Erzählung steht etwas Verborgenes und Ungesagtes zwischen den Protagonisten, nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint – so zum Beispiel in „Jetzt tanzen wir“: Ein junges Elternpaar feiert bei sich zuhause eine Party. Doch Brit fühlt sich nicht wohl, findet sich nicht attraktiv und verbarrikadiert sich im Badezimmer. Ihrem Lebensgefährten Jørn gelingt es schließlich, zu ihr vorzudringen – um dann seine Gewaltfantasien an ihr auszuleben. Wie dies alles zusammenhängt, bleibt dem Leser verborgen, ebenso warum sich Brit nicht wohl fühlt, woher ihre Minderwertigkeitskomplexe stammen und warum sie Tabletten nimmt.

In „Dann werdet ihr verstehen“ erzählt ein Priester von seiner ehemaligen Jugendliebe. Sie erscheint zu einem Elternabend, um mit ihm und dem Schuldirektor über ihren Sohn Gordon zu sprechen. Der Ich-Erzähler erinnert sich an ihre gemeinsame Schulzeit und daran, wie er als Lehrer Zugang zu Gordon fand. Auch verbringen sie viel Zeit miteinander. Doch wie sie diese Zeit verbringen, wird nicht beschrieben, außer, dass es für den Ich-Erzähler Konsequenzen haben wird.

Breiteig weist mit kleinen sprachlichen Details auf unerwartete und bittere Wahrheiten hin. Die Beklemmung und die steigende Unsicherheit der Protagonisten werden dadurch greifbar. Und obwohl die beschriebenen Alltagssituationen sie in die unmittelbare Nähe von existentiellen Fragen wie die nach Leben und Tod oder Glauben bringt, entsteht eine unbehagliche Distanz. Eine Distanz zwischen Menschen, die eigentlich gemeinsam funktionieren und agieren sollten, wie etwa der Ehemann und seine Frau oder der Lehrer und sein Schüler – gäbe es da nicht das Ungesagte, eine Art ungeöffnete Tür, hinter der Gewalt und Misshandlungen, sowohl gegenwärtige als auch in der Vergangenheit versteckte, lauern.

Der Leser erhält nur dürftige Hinweise. Breiteig führt ihn nicht direkt an das Problem heran, sodass der Leser eine Weile benötigt, um zu verstehen, worum es geht. Er wird, wie die Protagonisten auch, auf einer Distanz gehalten, die sowohl Neugier als auch Beklommenheit hervorruft. Dass die Figuren die Gewalthandlungen, Abweisungen und Ausnutzung stillschweigend akzeptieren, wirkt zusätzlich verstörend.

Breiteig beschreibt Stimmungen. Seine Sprache ist konkret, präzise und knapp, wodurch die Kälte und das Unbehagen in den Novellen greifbar vermittelt wird. Es wird nur das Notwendigste gesagt und Klärung gibt es nur wenig. Oft bleibt unklar, wohin Breiteig den Leser führen will, wie in „Jørgen“, der schwächsten Erzählung der Sammlung.

In einem Interview mit der norwegischen Tageszeitung Dagblad erklärte Breiteig im Jahr 2000, Literatur solle eine dunkle Gewitterwolke an einem falschen blauen Himmel sein, geformt aus Gewohnheitsdenken und der selbstkonstruierten Sicherheit des Lesers. Dies trifft auf „Von nun an“ zu, denn die Erzählungen sind kraftvoll und intensiv, aber auch verstörend und beklemmend. Allerdings führen die Düsternis und Destruktivität zu Monotonie und die Erzählungen verlieren an Reiz. Ihre beste Wirkung entfalten sie, wenn sie einzeln gelesen werden, damit der Leser sich Zeit zum Nachdenken nehmen kann.

Breiteigs Stärke liegt in seiner minimalistischen und präzisen Sprache, die Emotionen hervorruft. Damit reiht er sich ein in den Bund der norwegischen Novellisten um Kjell Askildsen und Øystein Lønn.

Titelbild

Bjarte Breiteig: Von nun an. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel.
Luftschacht Verlag, Wien 2010.
106 Seiten, 14,60 EUR.
ISBN-13: 9783902373526

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