Ein Kundschafter der Blicke

Andreas Altmann bereist in seinem neuen Gedichtband „Das zweite Meer“

Von André SchinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heutzutage die eigene lyrische Stimme zu wahren, sich nicht der Verzweiflung über die allgemeine Selbstsucht, das schwärende Desinteresse eines mehr und mehr um sich selbst kreisenden Kulturbetriebs anheimfallen zu lassen, das ist mittlerweile eine oft genug unterschätzte Leistung.

Nicht selten hört man nur das laute wie permanente Sittich-Gerede der Fraktionen der Wortzerkrümler, die bloß einen Anschein dessen vermitteln, was heutige Lyrik sein könnte – und von daher ist es beruhigend, dass es im Angesicht all der fortschreitenden Sprachzerbröcklung nach wie vor den ernsthaften Umgang mit den tatsächlichen Möglichkeiten poetischer Kunst gibt. Das Mutige an der Wahrung des Eigenen ist inzwischen schlichtweg, sich nicht beirren zu lassen und den temporären Vorgaben um den Preis des En-Vogue’s nicht Folge zu leisten.

Andreas Altmann, dessen ungewöhnlicher lyrische Ton sich von Band zu Band zu intensivieren scheint, darf als ein gutes Gegenbeispiel gelten. Die Gedichte des Wahl-Berliners, der als gebürtiger Sachse dem fruchtbaren Humus der mitteldeutschen Dichterschulen entspringt, sind in der Abarbeitung der wenigen großen Themen reich facettiert, eigentümlich ist dem Altmann’schen Sprechen dabei ein zunehmend betörender Umgang mit der Stille hinter den Dingen und Worten. Es fängt oft den Blick in gerade dem Moment auf, der die Berührung von Natur und (aufgegebener) Zivilisation kenntlich macht, jenen Augenblick, in dem die Natur im Begriff ist, das den Menschen überlassene Gebiet wieder in Obhut zu nehmen. Der Zustand dieser Interieurs erzeugt eine Art ‚beredtes Schweigen‘ – eben dieses Schweigen ist es, um das es dem Dichter Altmann in seinen Texten geht.

In seinem neuen Lyrikband „Das zweite Meer“, der sich in sieben Kapiteln (der 2008 vorab ausgekoppelte Zyklus „Gemälde mit Fischreiher“ darunter) und einem Epilog mit jenem ‚Dazwischensein‘ befasst, hat dieses Auslegungs-Prinzip zu einer mehr als bemerkenswerten Geschlossenheit geführt. Das Buch vollführt einen thematischen Dreischritt von der Betrachtung der ‚Tiere in Bahnsteignähe‘ über die Erkundung des Gegenübers sowie die Sichtung der Küstenstreifen des „zweiten meers“, das neue Sichten und die Rückkehr ins Ersehnte verheißt: „die feder liegt im wasserlaub / und zupft mit trockenen spitzen an den augen / wimpern. sie hat sich gerade erst im seegras / netz verfangen. früher hätt ich sie befreit.“

Andreas Altmann ist dabei alles andere als ein reiner Naturlyriker, er vertraut jedoch dem Vorgegebenen das Substrat seiner Kunst an, so wie letztlich alle menschliche Regung ihren Ursprung dort hat. In seiner Arbeitsweise mag er sich Wulf Kirsten und Richard Pietraß nähern, unter den Lyrikern seiner Generation hat dieser Ton allerdings als unverwechselbar zu gelten. „schienen tragen die brücke über den grenzfluss. / wo das land beginnt, sind sie nur noch geschichte“, so beginnt „das unansehliche“ im ersten Zyklus und impliziert gewissermaßen das ungenannte Motto des Bandes, das Grenzgängerische der Gesten und Worte, die den Blicken und Nicht-Blicken, die dem Verharren der lyrischen Dioramen, von denen der Dichter spricht, mit akribischer Sicherheit entrungen sind.

Das Meer spielt dabei als altes Motiv der Größe und Macht der Natur, als Rückkehr- und Sehnsuchtsraum, und in seiner Dopplung als „zweites“, also entweder neu entdecktes oder wieder aufgesuchtes Meer, eine vermittelnde Rolle. Es hält die Distanz zu den äußeren Dingen und löst zugleich den Abstand zu einem Gegenüber, über das Andreas Altmann in diesem Buch augenfällig spricht, auf. Es sind eher Hinwendungs- als Liebesgedichte, in ihrer verhaltenen Gestik liegt allerdings eine große Tiefe, und sie enden in einem „du hast mich gerettet“. Interessant wirkt in dieser Hinsicht auch der Aspekt zweier sich spiegelnder Meere, der sich im Titeltext findet, deren Anwesenheit für die Welt und die Anderswelt stehen können, den Willen des Abgleichs von Realität und Imagination, das Zueinanderfinden und die Bereicherung dadurch, dass in das Schweigen hinein ein Name leiser und leiser, „als wärs sein echo“, den Gegenpart ortet, beschreibt.

Sei es die wirkliche Geliebte des Sprechers in diesen Gedichten oder die Ostsee, das charakter- und zauberkundigste unter den nördlichen Meeren, die unter den Blicken Andreas Altmanns und in der Aufsehen erregenden Reihengestaltung des jungen Poetenladen-Verlags lyrische Gestalt angenommen hat – sie sollte sich glücklich schätzen dafür. „Das zweite Meer“, dieses mit Tieren und Stränden, aufgelassenen Siedlungen und der Kunde von der Rückeroberungskraft der Natur bevölkerte Buch ist zweifelsohne einer der souveränsten Gedichtbände der Saison. Jener Mut, eben der Poesie zu vertrauen, er ist selten geworden.

Titelbild

Andreas Altmann: Das zweite Meer. Gedichte.
Poetenladen, Leipzig 2010.
95 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-13: 9783940691132

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