Nicht verstecken, sondern auftrumpfen

Unermüdlich mischt sich der 1926 geborene Erich Loest mit Schriften und Romanen in die politische Diskussion ein und kämpft gegen das Vergessen

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unter dem Arbeitstitel „Blätter aus der Werkstatt“ wurden zu Beginn des Jahres in der Zeitschrift „Mut“ aktuelle Tagebuchblätter von Erich Loest veröffentlicht. Es finden sich dort auch Anmerkungen zur Entstehung seiner beiden neuesten Bücher. Den „Wäschekorb“ hat er nach Selbstbekunden durchaus als „Wahlkampfschrift“ verfasst, als politischen Ausdruck seiner Warnung vor einem Erstarken der Linkspartei. Mit seinem Lektor einig war sich Loest auch in der Gestaltung des signalroten Einbandes unter Verwendung eines Parteibuches der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Doch wer wird seinen Ausweis zur Gestaltung des Covers zur Verfügung stellen? Loest sinniert: „Die Luxemburg-Stiftung? Klaus Höpcke?“

Loest, der dutzende Romane und Erzählungen geschrieben hat, begibt sich mit seiner Erzählung „Wäschekorb“ ein weiteres Mal bewusst in die politische Auseinandersetzung mit der DDR. Er erfindet dazu das bejahrte Ehepaar Bernhard und Suse Kielmann. Während Suse über die politische Wende hinweg der SED in ihren verschiedenen politischen Wandlungen die Treue gehalten hat, gehörte Bernhard zu jenen, die in den stürmischen Tagen des Zusammenbruchs der DDR ihre Mitgliedschaft aufgegeben hatten. Am Eingang der Sporthalle, in welcher im Dezember 1989 der letzte SED-Parteitag stattgefunden hatte, war damals ein Wäschekorb aufgestellt, in den zu Dutzenden die SED-Mitgliedsausweise hineingeworfen worden waren. Damals gelang es Gregor Gysi, die Auflösung der Partei zu verhindern und dadurch nicht zuletzt das Vermögen der SED zu sichern. „Wäschekorb“ erzählt in einer dicht gehaltenen Sprache von den Seelenqualen eines ehemaligen Genossen, der für sein politisches Leben Bilanz zu ziehen versucht. Dabei ist der ehemalige DDR-Schriftsteller Bernhard Kielmann hin- und hergerissen, wenn er sein eigenes Verhalten mit dem politischen Lebenslauf von Paul Böttcher vergleicht, dessen Biografie er zu schreiben versucht. Dementsprechend mühsam schleppt sich Kielmanns Versuch hin, die zum Teil widersprüchlichen Materialien über einen Bilderbuchkommunisten zu einem verständlichen Gesamtbild zusammenzufügen. Das Schicksal von Paul Böttcher war Bernhard Kielmann in den 1970er-Jahren erstmals bekannt geworden, aber damals war an eine ungehinderte Recherche nicht zu denken. Böttcher, Vorkriegskommunist, Spion für die Sowjetunion, später GuLag-Opfer und zuletzt in der DDR gefeierter Parteiveteran, stellt den ewigen Mitläufer Bernhard Kielmann vor unlösbare Aufgaben. Für Kielmanns Frau Suse hingegen ist das politische Gebot der Stunde sonnenklar: „Wir Linken dürfen uns nicht verstecken, müssen auftrumpfen: Guckt euch einen wie Böttcher an“.

In den eingeblendeten Telefonmonologen mit der Tochter Yvonne klingen neben politischen Aufmunterungen Berichte über den schwankenden Gesundheitszustand des Ehemannes an. Vor dem Hintergrund brutaler Parteischicksale muten die saloppen Tagesplaudereien umso frappierender an. Linkspolitische Verbohrtheit vermischt sich mit kleinbürgerlicher Beschränkung. Die bevorstehende Darmspiegelung von Kielmann, das Auslandspraktikum der Tochter in Schottland und die politische Freude darüber, dass die „Panne von neunundachzig nicht mehr gilt“ – der „Wäschekorb“ ist eine eindrucksvolle Erzählung über ein deutsches Schicksal.

Ein Blick auf den Lebensweg des 1926 im sächsischen Mittweida geborenen Erich Loest verdeutlicht die von ihm unternommene politische Aufarbeitung. In der jungen DDR war er einst ein erfolgreicher Schriftsteller gewesen. Sein agitatorischer Roman „Die Westmark fällt weiter“ (1952) war wohlgelitten. Loests politischer Bruch ist mit dem XX. Parteitag der KPdSU verknüpft. Am 25. Februar 1956 referierte in Moskau Nikita S. Chruschtschow seine Abrechnung mit Stalin. Zur Sprache waren die internen Machtkämpfe in der Nachfolge nach Lenins Tod gekommen, sowie die Schauprozesse, in denen die alten Bolschewisten sich selbst der Spionage und des Verrates bezichtigten. Auf einmal waren all jene populären Genossen entzaubert, die einst die großen Prozesse gutgeheißen hatten: Bertolt Brecht, Ludwig Renn, Anna Seghers, Lion Feuchtwanger und sogar Ernst Bloch.

1957 wurde Loests Werdegang jäh beendet, als er verhaftet und zu einer siebenjährigen Zuchthausstrafe verurteilt worden war. Er hatte mit einigen Kameraden die Entstalinisierung allzu ernst genommen, sich und seine Freunde sogar als „die besseren Kommunisten“ gewähnt, wie Loest einmal in einem Interview bemerkte.

Die enttäuschten Hoffnungen auf einen besseren Sozialismus, das Versagen menschlicher Solidarität und die Brutalität eines menschenverachtenden Systems, das sich als Sachwalter eines Sozialismus ausgab, haben Loest tiefgreifend erschüttert. Thematisch haben ihn diese Erfahrungen sein weiteres Leben lang beschäftigt und prägen auch viele seiner zahlreichen Veröffentlichungen.

In den Roman „Löwenstadt“ hat Loest seinen 1984 veröffentlichten Roman „Völkerschlachtdenkmal“ einbezogen und stark überarbeitet. Dieser größte Denkmalsbau Deutschlands mit seiner Riesenkuppel und seiner Aussichtsplattform in 90 Meter Höhe bildet ein Scharnier, das dem Erzähler über zweihundert Jahre sächsische Heimatgeschichte auftut. Loest entfaltet hier sein ganzes schriftstellerisches Können. Fiktion und Wirklichkeit verschränken sich, wenn der Erbauer des Denkmals von „Organen der Staatssicherheit“ verhört wird. Traum und Realität verschmelzen verschiedene Zeiten, Parallelen in geschichtlichen Abläufen werden sichtbar.

„Löwenstadt“ ist ein pikaresker Schelmenroman, in welchem Alfred „Fredi“ Linden den Leser an die Hand und durch die Zeiten führt. Aber einem, der für sein Wahnsinnsvorhaben, das Völkerschlachtdenkmal zu sprengen, in der DDR inhaftiert wurde, ist es ohne weiteres möglich, bereits an Napoleons Seite gekämpft zu haben. Im Oktober 1813 hatte Napoleon vor den Toren Leipzigs in der legendären Völkerschlacht eine Niederlage erlitten. Deutsche hatten damals auf beiden Seiten gekämpft und Fredi Linden ist diese Schizophrenie des Leidens wohlbekannt. Sein Vater Felix Linden rettete in SA-Uniform die Leipziger Universitätskirche vor den Brandbomben und fiel ihnen zugleich zum Opfer.

Als „Freiwilliger Selbstschutz Denkmal“ erlebte Fredi sogar einen Besuch von Adolf Hitler persönlich, der überraschend das Völkerschlachtdenkmal inspizierte: „Er trug einen feldgrauen Mantel und eine steile Mütze; als er aus dem Mercedes gestiegen war, legte er die Hände zusammen wie ein Fußballspieler, wenn er sich in die Mauer stellt, so, die Hände vorm Sack schaute er zum Gipfelstein hinauf“.

Der behandelnde Arzt von Fredi Linden ist es, der Fredi zu seinen historischen Rückblenden in Monologform bringt. Kapitel um Kapitel entsteht ein 200-jähriger Spannungsbogen deutscher Geschichte. Derb und kernig ist Fredis Sprache, seine volksnahe Perspektive deckt sich kaum mit den martialischen Phrasen der jeweiligen Tribunen.

Eine weitere Zäsur bildet das Jahr 1968, als im Mai die Leipziger Universitätskirche gesprengt wurde. Als gelernter Sprengmeister weigerte sich Fredi, seines Amtes zu walten und gerät in die Fänge der Staatssicherheit. In diesem Zusammenhang fallen die Namen jener Beteiligten, die der von der Partei initiierten Sprengung zugestimmt hatten. Exemplarisch belegt diese Passage das montierte Verfahren dieses Romans. Anhand authentischer Gestalten gelingt es, eine zuweilen nüchterne Faktenlage plastisch zum Leben zu erwecken.

Selbstverständlich wird Fredi Linden auch Augenzeuge der Leipziger Demonstration am 9. Oktober 1989, als 70.000 Demonstranten es wagten, friedlich auf dem Leipziger Ring zu marschieren. Ein weiteres ungeliebtes Regime verschwindet von der historischen Bildfläche. Aber Fredis Sohn Joachim weiß noch mehr. Die Genossen haben nicht aufgegeben! Lediglich bestimmte Teile des ehemaligen Machtapparates wie die Staatssicherheit waren dem Druck der historischen Stunde geopfert worden. Der eigentlichen Aufgabe, den Sozialismus zu errichten, wurde dadurch noch einmal Luft verschafft: „Der Kapitalismus, so mein Sohn, werde an seinen Erfolgen zugrunde gehen. Denn diese Erfolge seien Niederlagen der Menschheit. Deshalb werde ihr nichts anderes übrig bleiben, als das Experiment der Umwälzungen in radikal erneuerter Fassung zu wiederholen“.

Titelbild

Erich Loest: Löwenstadt. Roman.
Steidl Verlag, Göttingen 2009.
343 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783865218827

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Erich Loest: Wäschekorb. Erzählung.
Steidl Verlag, Göttingen 2009.
109 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783865219572

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