Protokoll eines Rückzugs

Klaus Böldls jüngster Roman „Der nächtliche Lehrer“ ist ebenso unauffällig wie sein Titel

Von Dorothée LeidigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothée Leidig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spröde, sperrige, verschlossene Hauptfiguren fühlen sich in allen Romanen Klaus Böldls heimisch, denn der Autor bedrängt sie nicht, er lässt ihnen stets genügend Zeit und Raum zur Entfaltung. Die großartige Natur der meist nordeuropäischen Schauplätze bietet ihnen die Gelegenheit für viele endlose Wanderungen, Spaziergänge und Ausflüge, die Böldl mit seiner ruhigen, prosaischen Sprache beinahe wie ein Maler begleitet. Aus jedem Satz spricht die Liebe zu diesen Landschaften und den Menschen, die dort leben. Böldls Romane strahlen eine tiefe Ruhe und zuweilen eine fast magische Stimmung aus.

In seinem jüngsten Buch „Der nächtliche Lehrer“ gibt es von all dem jedoch zuviel. Zu oft sind die Wälder anthrazitfarben, das Gras je nach Jahreszeit gelbgrau oder gelbgrün, zu viele Rehe laufen durchs Bild und zu unnahbar bleibt der Protagonist. Endlos viele Vergleiche durchziehen die Sätze und gelegentlich wird man von schiefen oder überladenen Bildern gestört, wie man sie von Böldl nicht gewohnt ist: von schlaftrunkenen Hummeln, die über Halme hinwegstieben oder dem Schatten einer Katze im Laternenlicht, wo die Katze schon Klischee genug gewesen wäre.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Lennart, 25, tritt Anfang der 1980er-Jahre eine Stelle als Kunst- und Religionslehrer in Sandvika an, einem kleinen Städtchen in der Einsamkeit des schwedischen Nordens. Schon bald lernt er die Bibliothekarin Elisabeth kennen, sie werden eher beiläufig ein Paar, Elisabeth wird schwanger, sie heiraten. Kurz vor der Niederkunft stirbt Elisabeth bei einem Verkehrsunfall. Lennart zieht sich weiter und weiter von der Außenwelt zurück und wird immer sonderlicher. Jahrelang trägt er nichts anderes als den schwarzen Hochzeits- und zugleich Beerdigungsanzug. Eines Tages veröffentlicht er ein Buch, über dessen Inhalt man im Unklaren bleibt. Unerklärlich bleibt auch, wieso „Waldgedanken“ nach einiger Zeit ein solch großer Erfolg wird, dass Lennart in ganz Europa Lesungen in überfüllten Sälen abhält. Der Erfolg berührt ihn nicht, das ist nach drei Vierteln des Buches keine Überraschung mehr. Lennart kündigt seine Stelle als Lehrer und zieht sich erwartungsgemäß noch weiter zurück. Nachts brennt nun manchmal im Schulhaus Licht, wenn er, der den Schlüssel unwidersprochen behalten konnte, durch die Räume streift und sich die Zeichnungen der Kinder anschaut.

Warum werden Lennart und Elisabeth ein Paar, lieben sie sich überhaupt? Treibt die Erschütterung über Elisabeths Tod Lennart in die Isolation oder ist es für ihn vielleicht eher eine willkommene Gelegenheit, der Welt zu entfliehen? Man bekommt keine Anhaltspunkte. Lennarts Innenleben bleibt vollkommen verschlossen, Gefühle zeigt er fast nur in seinem Verhältnis zur Natur, in seiner Sehnsucht nach dem ersten Schnee etwa. Der Autor wahrt stets einen so großen Abstand zum Erzählten, dass man den Eindruck gewinnt, er kenne seine Figur selbst nicht richtig, sondern protokolliere nur.

Das ist sogar für eine Leserin zu wenig, die einen ruhigen Erzählfluss schätzt. Sie klappt das Buch nach 126 Seiten zu, seufzt bedauernd und zuckt mit den Schultern, unberührt, fremd geblieben, ausgeschlossen. Aber voller Zuversicht: Böldl wird weiter Bücher schreiben und er kann es besser, als er es hier zeigt.

Titelbild

Klaus Böldl: Der nächtliche Lehrer. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010.
126 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783100076274

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