Die Lara Crofts der Spätaufklärung
Mareen van Marwycks Studie „Gewalt und Anmut“ untersucht den weiblichen Heroismus in der Literatur und Ästhetik um 1800
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseXena, Buffy, Nikita, Lara Croft und andere neue Heldinnen in Spielfilmen, Fernsehserien, PC-Spielen und Comics haben keine Probleme mit Gewalt – so lange sie es sind, die sie ausüben und so lange sie die richtigen, das heißt die Bösewichter trifft. Vor rund 200 Jahren sah man gewaltsame Frauen noch ganz anders. In der Geschlechterdebatte um 1800 wurden weibliche Heldenhaftigkeit und von Frauen ausgeübte Gewalt als Widersprüche in sich diskutiert, wie Mareen van Marwyck in ihrer Untersuchung über „weiblichen Heroismus in der Literatur und Ästhetik um 1800“ konstatiert, die unter dem Titel „Gewalt und Anmut“ im transcript Verlag erschienen ist.
Dennoch, so zeigt sie, trat zu dieser Zeit der Typus einer „kriegerischen Heldin“ auf den Plan, „die in frappierender Weise weibliche Anmut und Schönheit und militärisches Handeln miteinander vereinte“. Bei dem Plan, den diese Kriegerin betrat, handelt es sich genauer gesagt um einen Spielplan, denjenigen der Theaterhäuser nämlich. „Das Frappierende“ an den fortan die Bühnen bevölkernden Heldinnen ist der Autorin zufolge nun, dass deren Anmut nicht nur ihrem „martialischen Handeln“ nicht widerspricht, sondern ganz im Gegenteil „ihre kriegerischen Taten selbst charakterisiert beziehungsweise im kriegerischen Handeln hervorgebracht wird“.
In ihrer methodisch an Michel Foucault und Judith Butler angelehnten Arbeit geht van Marwyck der Frage nach, „wie und mit welchem Zweck hier das ästhetische Konzept der Anmut zur Rechtfertigung von Gewalt dient“, und führt zu deren Beantwortung insbesondere „die Stränge einer performativen Heroendarstellung im Zeichen der Fechtkunst und ‚Anmut‘“ zusammen und stellt die Bühnenfigur der kriegerischen Heldin so „in ihren Bewegungsabläufen und ihrer Körperinszenierung“ ins Zentrum des Interesses. Einerseits stelle die fechtende Frau „das männliche Privileg militärischer Auseinandersetzung“ in Frage, zugleich aber füge sie sich als „anmutige Kämpferin“ in „die ihr zugewiesene Körperästhetik“ ein und erfülle so „ihre Funktion, einem männlichen Betrachter zu gefallen.“ Denn „typisch ‚feminine‘ Attribute“ würden durch die Kampfbewegungen „eher herausgestellt als konterkariert“. Ganz ähnlich lässt sich das heute noch etwa in Quentin Tarantinos Film „Kill Bill“ sehen, wenn die rächende Braut Kiddo in geradezu balletartigen Choreografien zunächst gegen die Crazy 88 und später zum show down mit O-Ren Ishii antritt.
Van Marwyck versäumt es nicht, darauf hinzuweisen, dass fechtende Frauen Männern nicht nur auf der Bühne gefallen, sondern im wirklichen Leben auch gefährlich werden können. Die von ihr als Beleg angeführte Julie Maupin, eine „berühmte Darstellerin an der Pariser Oper“, etwa forderte während eines Balles nicht nur zwei Männer zum Duell, sondern ging auch noch siegreich aus den Kämpfen hervor und tötete beide. Andererseits wurden Fechtkämpfe zwischen Frauen oft im „Halbweltmilieu“ inszeniert und dort „zum Teil explizit als erotische Schaukämpfe angekündigt“. Da ein Korsett als unzulässiger Schutz galt und abgelegt werden musste, war der voyeuristischen Gier der Zuschauer „Tür und Tor geöffnet“.
Es ist eine der besonderen Stärken der Arbeit, dass sie solche Ambivalenzen immer wieder sehr nachdrücklich herauszuarbeiten versteht. Darüber hinaus geht die Autorin der Frage nach, wie sich „die konzeptionelle Synthese von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Gewalt‘ beziehungsweise von ‚Anmut‘ und ‚Gewalt‘“ auf die Ästhetik und die Genderkonstruktionen um 1800 und danach auswirkten.
„Heroisches Handeln“ von Frauen, besagt eine ihrer wichtigsten Thesen, dürfe zwar nicht als „per se emanzipatorisches Handeln, mithin als freiheitlich und fortschrittlich im Vergleich zu der bis dahin unfreien bürgerlichen Frauenrolle, missverstanden werden“, doch zeichne sich sehr wohl eine Differenz zwischen den Heroinnen und dem zeitgenössischen „passiven Frauenideal“ ab, die darin bestehe, dass die Heldinnen „in einem ihnen sonst verwehrten öffentlich-militärischen Handlungskontext in Erscheinung treten“. Gerade diese zentrale These wird von van Marwyck besonders überzeugend plausibilisiert. Erstaunlich ist nun, das sich etliche ihrer diesbezüglichen Überlegungen auch und gerade auf eine moderne Ikone wie Lara Croft anwenden ließen.
Doch nicht mit den Cyber-, Film- und Fernsehheldinnen Lara Croft, Xena oder Buffy befasst sich die Autorin, sondern mit den titelstiftenden Heldinnen in Friedrich Schillers „Jungfrau von Orleans“, Heinrich von Kleists „Penthesilea“, Zacharias Werners „Wanda“ und Friedrich de la Motte Fouqués „Heldenmädchen aus der Vendée“. In jedem der vier genannten Texte „steht die Kriegerin für ein unterdrücktes Volk, das sich gegen eine Fremdherrschaft zur Wehr setzen muss“. „Johanna kämpft in einer ausweglos erscheinenden Situation, in der die männlichen Krieger bereits den Mut verloren haben“, „Penthesileas kriegerischer Frauenstaat ist aus dem Widerstand gegen eine Besatzungsmacht entstanden, welche die Männer der Amazonen getötet und die Frauen zwangsverheiratet hatte“, „Wanda kämpft im Gegensatz zum männlichen Helden Rüdiger nur um die Erhaltung des Friedens, ihre Gewalt ist also durch eine Notwehrsituation gerechtfertigt“ – und „Elisabeth tritt in einem Volkskrieg gegen die zahlenmäßig und technisch überlegenen Truppen der Jakobiner an“. Die Autorin weist anhand der vier Texte zudem auf, „dass die gewaltlegitimierende Wirkung, die in der Konzeption einer kriegerischen Grazie angelegt ist, genutzt wurde, um sowohl auf ästhetischer als auch auf moralischer Ebene kriegerische Gewalt mit den Konzepten der Aufklärung und dem Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft in Einklang zu bringen“.
Neben Texten und Theaterstücken greift sie außerdem auf einen Fundus von Darstellungen anmutiger Kriegerinnen in der bildenden Kunst der Zeit zurück, zu deren bekanntesten Claude Oliviers Gallimards „Constantia“ und Eugene Delacroix’ „Die Freiheit führt das Volk an“ zählen. An ihnen und einigen anderen zeigt die Autorin, dass es durchaus kein Zufall war, dass „die Kriegerinnen in der Ikonographie der Französischen Revolution“ ebenso wie diejenigen in der deutschsprachigen Literatur die „typischen Attributen der Anmut“ aufweisen: „eine zarte feminine Körperlichkeit, fließende Kleider, elegante, tänzerische Bewegungsabläufen“. Dabei stelle die „Figur der anmutigen Kriegerin“ zunächst scheinbar ein „Paradox“ dar, dass sich jedoch aufhebe, wenn die von der anmutigen Kriegerin ausgeübte Gewalt als sittlich gut und geboten dargestellt wird.
So instruktiv, erhellend und darum auch empfehlenswert van Marwycks Arbeit insgesamt auch ist, bewegt sie sich doch auf dem Terrain der Philosophie nicht immer völlig sicher. So bemerkt sie etwa zu Beginn, „in Kants transzendental-philosophischer Ästhetik“ sei „das ‚Schöne‘ als Möglichkeit einer kontemplativen Erfahrung, eines ‚freien Spiels der Erkenntnisvermögen‘ von der Erfahrung des ‚Erhabenen‘ abgegrenzt“. Sie bezieht sich dabei ausdrücklich auf die „Kritik der Urteilskraft“, der auch das kurze Zitat im Zitat entnommen ist. Seine transzendentale-philosophische Ästhetik aber hat der Königsberger Philosoph nicht dort, sondern zu Beginn der „Kritik der reinen Vernunft“ dargelegt, und zwar im „ersten Theil“ der „transcendentalen Elementarlehre“, der eben den Titel „Die transcendentale Aesthetik“ trägt. Denn diese befasst sich nicht, wie van Marwyck zu glauben scheint, mit Fragen des Schönen und Erhabenen, sondern mit den „Prinzipien der Sinnlichkeit“ überhaupt, also mit den Bedingungen der Möglichkeit von Wahrnehmung.
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