Und es zieht und zieht und zieht sich…

Über Steve Toltz’ Roman „Vatermord und andere Familienvergnügen“

Von Nadine IhleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Ihle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch „Vatermord und andere Familienvergnügen“ ist wie Kaugummi – zäh, ohne erkennbaren Eigengeschmack; und wenn man einmal damit angefangen hat, weiß man nicht so richtig, wo man damit bleiben soll. So zieht es sich in die Länge. Und am Ende bleibt außer flüchtigen Eindrücken wenig Gehaltvolles übrig: Ein schiefer, deutscher Titel bestimmt das Bild, eine holprige Sprache und Figuren, die vermutlich schräg sein sollen, aber leider nur seltsam verzerrt wirken.

Das Debüt des australischen Schriftstellers Steve Toltz erschien bereits 2008 unter dem Titel „A Fraction of the Whole“. Wie daraus „Vatermord und andere Familienvergnügen“ werden konnte, ist in Anbetracht der Tatsache, dass zwar jede Menge Morde vorkommen, allerdings keine Vatermorde, verwunderlich. Jasper Dean sitzt im Gefängnis und erzählt die Geschichte seines Lebens und das seines Vaters – von Letzterem als indirekter Berichterstatter, über handschriftliche Notizen und Manuskripte aus dem väterlichen Nachlass. Denn, so heißt es gleich zu Beginn: „Die Leiche meines Vaters werden sie nie finden.“

Was der Auftakt zu einer spannenden Familiensaga sein könnte – das Buch umfasst in der deutschen Ausgabe 790 Seiten – wird schnell zu einer Tour de Force durch ein Dickicht bemühter Familiendramatik. Die Figuren hätten jedes Potential, und sollten es wohl haben, als skurrile, verschrobene und in jeder Hinsicht merkwürdige Gestalten daher zu kommen. Alleine dazu fehlt aber der letzte Schliff, eine wirkliche Skurrilität, eine echte Bösartigkeit, ein echtes Anderssein. So bleiben leider gerade die Hauptfiguren, sei es nun Jasper Dean, sein Vater Martin oder sein Onkel Terry farblos und austauschbar. Auch die Karriere von Terry, der als Großkrimineller in die australische Geschichte eingeht, wirkt gestelzt und trotz ihrer Gewalttätigkeit erstaunlich banal erzählt. Die Spiegelung durch den Bericht des eifersüchtigen Bruders Martin, sprich dem titelgebenden Vater, läuft völlig ins Leere. Gerne hätte man mehr erfahren über Leidenschaften und Liebschaften, über das Verhältnis der beiden Brüder zueinander, zu ihrer übrigen Familie, zu ihren Nachbarn oder zu ihren Freunden. Aber da will die Geschichte zuviel. Anstatt sich auf das Beobachten zwischenmenschlicher Gezeiten zu verlegen, werden mit der Keule erzählerischer Absurdität alle denkbaren Feinheiten dem Erdboden gleichgemacht und eine Idee auf die nächste gehäuft.

Es gibt zwei rote Fäden im Laufe der Handlung: da sind zum einen die eigentlich gutgemeinten Ideen von Martin Dean, die dieser zur Verbesserung der Welt schon als Kind und später als Erwachsener ausbrütete, und die sich alle, immer, permanent und ständig ins Gegenteil verkehren. Mit diesem Scheitern hängen – wie könnte es auch anders sein – die Frauenfiguren zusammen. Ja, in diesem sich beständig um sich selbst kreisenden Männer-Universum kommen auch Frauen vor, als Mütter, als Ehefrauen oder als Freundinnen. Den Frauen in dem Buch sind allerdings ähnliche Schicksale beschieden wie der Martin'schen Idee: alle scheitern grandios und sterben im Laufe der Handlung auf mehr oder weniger langatmige oder dramatische Weise vor sich hin. Eigentlich sollte das Buch treffender „Frauenleichen und andere Familienvergnügen“ heißen. Und so kreist die Handlung stetig um ein und dieselben Themen und Motive des Dean´schen Universums.

Dabei hätte ein ebenso alter wie wirkungsvoller Erzähltrick dem Ganzen durchaus lebhaftere Konturen verleihen können: einen unzuverlässigen Erzähler einzusetzen. Die Geschichte von Vater und Sohn Dean wird aus Sicht des Sohnes erzählt, mehrfach unterbrochen von Aufzeichnungen des Vaters. Eben genau diese Brechungen hätten zu einem sehr spannenden Erzählbogen führen können. Genau an diesen Punkt kommt das Buch auch tatsächlich einmal, als die erste große Liebe des Sohnes Jasper scheitert und dieser eine Beteiligung beziehungsweise Schuld seines Vaters dabei vermutet. Als die Perspektive im nächsten Buchabschnitt wieder in den Bericht aus Sicht des Vaters springt, wird diese Episode umgehend aufgeklärt – und dabei bleibt es dann nach wenigen Seiten leider auch.

Sprachlich klappert und holpert das Buch so vor sich hin – an manchen Stellen möchte man das Original in die Hand nehmen, weil der Verdacht naheliegt, das Gerappel könne Ergebnis einer nicht sehr eleganten Übersetzung sein. Vielleicht ist der Roman im Original deutlich peppiger und flotter zu lesen, darüber kann an dieser Stelle allerdings nur vermutet werden. Sicher ist, dass eine deutlich straffere und weniger banale Handlung dem Buch gut getan hätte, ein klassischer Fall von: weniger ist mehr. Fährt man allerdings auf Kaugummi als nette Nebenbei-Beschäftigung ab und mag einen so gut wie geschmacklosen Klumpen ewig aufs Neue durchkauen, – ja, dann bietet das Buch sicherlich netten Lesegenuss. Ansonsten besteht leider die Gefahr, sich beim Lesen ordentlich den Magen zu verderben.

Titelbild

Steve Toltz: Vatermord und andere Familienvergnügen. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010.
800 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783421043894

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