To be continued…

Ein Sammelband analysiert die „Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien“

Von Florian ReinacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Reinacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit den Worten „All of this has happened before and all of this will happen again“ unterstreicht Präsidentin Laura Roslin in der US-Fernsehserie „Battlestar Galactica“ ihren Glauben an die Zirkularität der Zeit. Die mythische Auffassung von der Geschichte der Menschheit, die in immer wiederkehrenden Episoden aufs neue die Prophezeiungen zu erfüllen hat, die in den Büchern ihrer Vorfahren niedergeschrieben stehen, lässt sich auch als Reflexion über das Konstruktionsprinzip neuerer amerikanischer Serien lesen (der Unterschied zwischen series und serials ist dabei signifikant), wie sie seit Anfang der Neunziger Jahre mit zunehmendem Maße und Erfolg in Erscheinung treten. Nicht nur das Wechselspiel sozialer und politischer Implikationen zwischen den Episoden und ihrem im realen Leben sich abspielenden Vorbildern stehen seither im Zentrum der Darstellung, sondern auch die Aporien (post)moderner Serialitätsauffassung selbst. Die Fortsetzung der Serie und ihre gebrochene Rezeption zum Thema zu machen, wie es beispielsweise sehr offensichtlich in „24“ oder „Lost“ und auf subtilere Weise in „The Sopranos“ oder „House M.D.“ geschieht, markiert eine Umbruchphase des Serienprinzips, deren Analyse sich die Autoren des von Arno Meteling, Isabell Otto und Gabriele Schabacher herausgegebenen Bandes „,Previously on…‘. Zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien“ verschrieben haben.

Die Herausgeber stellen zwei zentrale Thesen auf, die von den Autoren im weiteren Sinne diskutiert werden. Zum einen greifen zeitgenössische TV-Serien in die zeitliche Strukturierung des Rezeptionsprozesses ein, indem sie den Alltag über längere Zeiträume hinweg rhythmisieren und den Tagesablauf des Publikums einer den Vorgaben der Sendeanstalten gemäßen Einteilung in verschiedene Register unterziehen.

Diese – mit Walter Benjamin gesprochen – „Durchdringung des Alltags“ schlägt sich als spezifischer Umgang mit Zeit in einer „Ästhetik der Zeitlichkeit“ nieder. Zum anderen unterliegt durch die veränderten Ausstrahlungsbedingungen via DVD und Internet die Idee der TV-Serie selbst einem eklatanten Wandel, der sie von festen Sendezeiten entbindet und die wiederholte Lektüre, das exzessive Konsumieren ganzer Staffeln oder die transmediale Vernetzung ermöglicht. Die Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer Serien verdankt sich auch entscheidend diesen veränderten Zugriffsbedingungen. Wenn aber die Serie von den herkömmlichen Netzwerken des Fernsehens teilweise entbunden wird, so stellt sich sowohl die Frage, ob TV-Serien im engeren Sinne möglicherweise im Verschwinden begriffen sind, als auch diejenige, wie das Verhältnis von Ästhetik, Serialität und Zeitlichkeit hierfür aktualisiert wird.

Diesen Grundthemen folgt der Band in 14 Einzeluntersuchungen, die wiederum in vier Kategorien unterteilt sind. Im Kapitel „Konjunkturen der TV-Serie“ werden vor allem historische Prozesse rekonstruiert, die den gegenwärtigen Serienboom im Fernsehmarkt und in der wissenschaftlichen Bearbeitung begünstigen. Gabriele Schabacher sieht in Ihrem Beitrag „Serienzeit – Zu Ökonomie und Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer amerikanischer TV-Serien“ seit Mitte der 1990er-Jahre einen qualitativen Wandel im Begriff der Serie am Werk. Das Prinzip Serie wird hier immer mehr zum „Experimental- und Innovationsraum“ für den verschiedene Konzepte der Serialität hervortreten. Rezeptionsprozess, Produktion, und transmediale Vernetzung werden anderen zeitlichen Gemengelagen unterworfen – und umgekehrt rücken diese als ästhetische und narrative Reflexe der Zeitlichkeit einer Serien in den Bereich der Wahrnehmung. Die gesteigerte Komplexität der Erzählungen erweist sich dabei als Effekt einer Verkomplizierung der zeitlichen Ebene.

Irmela Schneider untersucht die Wechselbeziehung zwischen TV-Serien und ihrer wissenschaftlichen Erschließung, die in der Geschichte der Serienforschung einem stetigen Wandel unterliegt. Schneider macht für diese Beobachtung den Unterschied zwischen den Medien Text, TV, DVD und Internet plausibel, die als jeweiliges Objekt der Analyse herangezogen werden. In der Serienforschung zeichnet sich ein epistemologischer Wandel des Begriffs „Medium“ ab, der von der Wissenschaft jedoch kaum reflektiert wird.

Für die Serien „House M.D.“ und „Gilmore Girls“ nimmt Kay Kirchmann deren Referenz- und Zitatstruktur in den Blick. Seiner Auffassung nach tritt diese zunächst als reines Oberflächenphänomen auf. Die überdeterminierte Verweisstruktur der beiden Serien macht es für den Zuschauer jedoch unmöglich, das Anspielungsgeflecht ohne die mehrmalige Lektüre auf anderen Medien zu verstehen. Die Komplexität der Zitate erzeugt auf diese Weise eine neue Zeitökonomie der Rezeption.

Im Kapitel „Temporale Formatierung“ geht es den Autoren vornehmlich um die Mikroebene der Zeitlichkeit, die in konstitutiven Paratexten wie Vorspann, Cliffhanger et cetera ihre Wirksätte haben. Judith Lehmann fragt sich in ihrem Aufsatz „Good Morning ,Cicley‘ – Serien-Anfänge, -Expositionen, -Ursprungsmythen“ welche Strategien des Anfangens relevant werden, um den Zuschauer längerfristig an eine Serie zu binden. Am Beispiel von „Northern Exposure“ geht Lehmann dezidiert auf die Funktionen von Titel, Vorspann, Pilot und serialem Ursprungsmythos ein.

Als „Die neuen Großen Erzählungen“ bezeichnet Tobias Haupts die Serien „Babylon 5“ und weitere TV-Science Fiction. Neu ist seiner Auffassung nach vor allem die veränderte Narration von Zeitlichkeit, die einen Bruch mit herkömmlichen Erzählweisen des Science Fiction im Speziellen und Serien im allgemeinen einleiten. „Babylon 5“, so die These, entwickelt hierfür ein komplexes System von Vor- und Rückgriffen auf den Handlungsbogen, das nicht nur dokumentarischen Charakter bekommt und den Umfang der Großerzählung auslotet, sondern damit ein seriengeschichtliches Paradigma neuerer Zeitästhetik einleitet.

Was es genau mit dem Begriff Cliffhanger auf sich hat, zeigen Tanja Weber und Christian Junklewitz in „To be Continued…“. Im historischen und zeitgenössischen Vergleich entwickeln die Autoren eine kleine Geschichte seines narrativen Inventars. Cliffhanger sind dabei nicht gleich Cliffhanger, sondern unterliegen je nach Serie, Sendezeit und Ausstrahlungsland unterschiedlichen Kalkülen der Zuschauerbindung, die als „gestaltete Unterbrechung“ den zeitlichen Überhang einer Serienfolge ins Werk setzt.

Das dritte Kapitel, das mit „Intermediales Gedächtnis“ überschrieben ist, befasst sich vornehmlich mit der mediengeschichtlichen Verflechtung von TV-Serien und anderen Formen der Serialisieren. Mit seinen Beobachtungen zum Aufkommen einer manufakturmäßig beschleunigten Literaturproduktion um 1800, verbindet Harun Maye in seiner Untersuchung „Übersetzungsfabriken. Kolportageliteratur und Soap Operas“ die Produktionsbedingungen moderner Soap Operas. Die Übersetzungsarbeit, die um 1800 einen Großteil der durch Arbeitsteilung hervorgebrachten Pfennigliteratur ausmachte, basierte Maye zufolge ebenso auf der fortwährenden Teilung der Arbeitsschritte, wie dies auch bei heutigen Serien der Fall ist. Das Interessante dabei ist, dass sich nicht nur die Produktionsweise, sonder auch die Vorbehalte und Ressentiments gegen die Produkte einer industriell hergestellten Literatur vererbt zu haben scheinen, was wiederum für eine bestimmte Ästhetik der Serialität prägend ist.

Mit der Serie „Heroes“ wird nicht nur der Superheldencomic ins TV-Format übersetzt, es setzt damit auch die Selbstreflexion des intermedialen Gedächtnisses der Figur des Comicbuches ein. Arno Meteling analysiert die Transformationen der Zeitästhetik in den Superhelden Comics der 1960er- und 1970er-Jahre und der Heroes, die in spezifischen Figuren der Zeitreise das Superhelden-Genre metafiktional reflektieren. Die Gedächtnisleistung, die im Medienwechsel von Comicbuch und TV-Serie hervortritt, erzeugt wiederum ein neues Differenzmodell des Comics im Film, das Meteling mit Theorien transmedialen Erzählens abschließend weiter ausdifferenziert.

Mit einem neuen Typus des Serienkillers konfrontiert die Serie „Dexter“ den Zuschauer seit Oktober 2006. Der Forensikexperte Dexter Morgan, der Tagsüber bei der Miami Mordkommission Aufklärungsarbeit im Namen der Normalität betreibt, wird Nachts zum Ritualmörder, der seine Opfer nach einem ausgeklügelten moralischen Code umbringt. Diese Doppelexistenz bedarf nicht nur der achtsamen Sauberkeit der persönlichen und topografischen Oberfläche, sondern auch einer strikten Form des Zeitmanagements, um die beiden Ebenen voneinander getrennt zu halten. Der perfektionierte Mord korrespondiert hier mit einer Beherrschung von Raum und Zeit, wie sie auch für die Organisation des Alltags normaler Menschen von zunehmender Bedeutung ist.

„Komplexe Zeiten“ sind der Themenschwerpunkt des vierten Kapitels. Komplex bedeutet in diesem Fall die Herausbildung spezifischer Zeitkonzepte, die sich unter den Bedingungen veränderter Medialitäten der Serie herauskristallisieren. Gabriele Schabacher nimmt in ihrem Doppelaufsatz „,When Am I?‘ – Zeitlichkeit in der US-Serie Lost“ konkret die Frage auf, warum sich hier ein so durchschlagender Erfolg einstellen konnte. Eine Antwort findet Schabacher im Umgang mit Zeitphänomenen, die in der Serie zum einen auf der Ebene der Narration (Teil 1) zum anderen in der Herausbildung einer „dritten Zeit“ (Teil 2) manifestieren, die sich weder von der Erzählzeit noch von der erzählten Zeit zusammenfassen lässt. Die Übergänge zwischen beiden werden darin vielmehr verwischt. Dies wird vor allem dort sichtbar, wo sich die transmediale Überschreitung der Serie in der Fangemeinde als Reflex auf die temporalen Verhältnisse in der Serie vollzieht.

Einen anderen Klassiker der Seriengeschichte nimmt derweil Oliver Fahles in „Die Simpsons und der Fernseher“ in den Blick. Bezeichnend ist für ihn, dass die seit 1989 bestehende Comicserie mit zwei Zeitkonzepten spielt. Auf der einen Seite entziehen sich die Figuren den physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Alterns, andererseits steht dieser Überzeitlichkeit eine Geschichte der Charaktere gegenüber, die über diverse Erzählstrategien und ein langanhaltendes Fortschreiben der Serie veranschaulicht wird. Diese doppelte Zeitkonzeption formiert letztlich eine gewisse Widerständigkeit zwischen der Verfilmung und der Serienumsetzung der „Simpsons“.

Die Bildgebenden Verfahren in „House M.D.“ sind in Isabell Ottos Untersuchung Dreh- und Angelpunkt einer auf Stillstellung der Zeit ausgelegten Spurensuche. In Anlehnung an die Geschichten über Arthur Conan Doyles Figur des Sherlock Holmes erreicht die Verwendung von Monitoren, Röntgengeräten oder des Magnet Resonanz Tomografs eine Form der Detailanalyse, welche die Zeiten des Tathergangs im kurzen Moment der Konklusion in eins setzen. Durch das Stillstellen der Zeit wird so die besondere Verwandtschaft von Medizin und Kriminologie als Spurensicherung am Corpus Delikti sichtbar.

Allgemein liegt mit „Previously On…“ ein in gewohnter Fink-Qualität editierter Band vor, der inhaltlich über weite Strecken zu überzeugen vermag. Zwar stößt auch dieser Sammelband, wie die allermeisten Publikationen der Gattung hin und wieder an seine Grenzen. Dies passiert vor allem dort, wo die Autoren der Beschreibung der einzelnen Serien übermäßigen Raum einräumen und die Lektüre so an einigen Stellen ins Stocken zu geraten droht. Keiner der Autoren lässt den Leser jedoch irgendwie ratlos zurück. Vor allem das Kapitel „Intermediales Gedächtnis“ erweist sich bei genauer Betrachtung als Filetstück des Buches.

Überzeugen kann die Ausgabe nicht zuletzt dadurch, dass sich der Schreibstil durchweg nicht als Koketterie mit akademischer Wissensrhetorik erweist, sondern sich als gut lesbares Überblickswerk zeitigt, dass seine inhaltliche Zielsetzung nicht unnötig überschreitet. Der Band steht somit in einer Reihe mit jüngeren Erscheinungen zur Darstellung von Zeit im Fernsehen, wie beispielsweise Rüdiger Steinmetz „Dokumentarfilm als ,Zeichen der Zeit‘“ oder Kathrin Ackermanns und Christoph F. Laferls „Transpositionen des Televisiven“. Wer also etwas zu den Themen Zeitlichkeit, Serialität und deren ästhetische Transformationen im Fernsehen seit den 1990er-Jahren erfahren will, ist mit der Lektüre von „,Previously On…‘. Zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien“ auf der sicheren Seite.

Titelbild

Arno Meteling / Isabell Otto / Gabriele Schabacher (Hg.): "Previously on...". zur Ästhetik der Zeitlichkeit neuerer TV-Serien.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2010.
285 Seiten, 37,90 EUR.
ISBN-13: 9783770548354

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