Selbstfindung in der Zelle

über Frédéric Beigbeders „Ein französischer Roman“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Frankreich genießt der Schriftsteller Frédéric Beigbeder beinahe den Status eines Popstars. 2001 hatte der heute 45-jährige Autor, der einst selbst als Werbetexter arbeitete, mit seinem Debütroman „99 Francs“ (dt.: „39,90“), in dem er schonungslos über die verlogene Scheinwelt in der Werbeindustrie berichtete, einen Riesenerfolg gelandet. Seitdem darf sich Beigbeder über eine Dauerpräsenz in den französischen Medien freuen – ob als vermeintlicher Literaturexperte, als zynischer Kolumnist oder eben als selbstarrangierter Star-Autor. Beigbeder mag diese Selbstinszenierungen, die maßlosen Übertreibungen und die selbst geschneiderte Rolle als intellektueller Daueropponent.

All dies spiegelt sich in konzentrierter Form in seinem stark autobiografischen Text mit dem anmaßenden Titel „Ein französischer Roman“. Beigbeder berichtet über einen zweitägigen Haftaufenthalt, der für ihn beinahe therapeutische Wirkung entfacht und die Zeit im Polizeigewahrsam zu einer Phase der Selbstfindung werden lässt.

„Ich hatte gerade erfahren, dass mein Bruder zum Ritter der Ehrenlegion ernannt worden war, als mein Gewahrsam begann. Die Polizisten ließen nicht gleich die Handschellen in meinen Rücken klicken, das kam erst später.“ Vorausgegangen war ein exzessiver Nachtausflug im Januar 2008, bei dem sich Beigbeder beim Koksen auf der Kühlerhaube eines parkenden Autos erwischen ließ: „An diesem frühen Morgen endete meine nicht enden wollende Kindheit.“

Er wird von den Beamten – so sein subjektives Empfinden – gedemütigt und in eine menschenunwürdige Zelle gesteckt, die er als „Kloake“ bezeichnet, als „zwei Quadratmeter großen Käfig mit Wänden voller Graffiti, getrocknetem Blut und Rotz“. In dieser Situation versucht der bis ins Mark gepeinigte Autor sein Leben Revue passieren zu lassen, stößt dabei aber auf eine beträchtliche Kindheitslücke.

Diese Form der arrangierten Amnesie ist ein geschickter Kunstgriff, der den Text halbwegs interessant macht: als Beigbeders Versuch, sich eine Kindheit retrospektiv anzueignen. Aus fragmentarischen Erinnerungen ergibt sich, dass die Eltern sich früh trennten, dass die Brüder fortan zwischen „zwei Elternhäusern“ pendelten, und zwischen den Zeilen klingt auch der Neid des kleinen Frédéric auf den klugen, nahezu perfekten Bruder Charles durch, der durch den Verkauf seines Internet-Unternehmens vor rund zehn Jahren zu einem der reichsten Franzosen geworden ist.

So lesen sich Beigbeders Aufzeichnungen wie eine achtundvierzigstündige Meditation über die eigene Kindheit, seine Familie mit ihren Wurzeln, die bis in den mittelalterlichen Adel reichen sowie die großbürgerliche Herkunft, mit der er seit jeher haderte. Die Trennung der Eltern markierte offensichtlich eine Zäsur im Leben, vielleicht war sie sogar die Initialzündung für das spätere Schreiben. Er schwankt in seiner Tonlage zwischen Ironie und Zynismus, zwischen Eitelkeit und Verletzlichkeit, zwischen Arroganz und Unverständnis.

Beigbeders Affinität zur intellektuellen Hochstapelei wird durch Unmengen in den Text einmontierte und oftmals völlig deplatzierte Zitate unterstrichen – von Shakespeare bis Marcel Proust ruft der Renaudot-Preisträger eine illustre Schar in seinen Zeugenstand.

„Was hier erzählt wird, ist nicht unbedingt die Wirklichkeit, aber es ist meine Kindheit, wie ich sie wahrgenommen und tastend rekonstruiert habe. Da das, was geschrieben steht, wahr wird, enthält dieser Roman mein wahres Leben, das sich nicht mehr ändern wird und das ich von heute an nicht mehr vergessen werde“, schreibt Beigbeder selbstcharakterisierend und verschwindet als Autor in einem dichten Nebel aus Fiktion, Wirklichkeit und Spekulation. Das klingt so geheimnisvoll und nebulös wie der gesamte Text, und wirklich überzeugen kann dieses Buch nicht.

Titelbild

Frédéric Beigbeder: Ein französischer Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Brigitte Große.
Piper Verlag, München 2010.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783492054140

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