Mutter und Sohn

Christina Ujma bespricht den Briefwechsel Bettina von Arnims mit ihrem Sohn

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Du bist mir Vater und Bruder und Sohn", Bettine von Arnims Briefwechsel mit ihrem Sohn Freimund ist der erste Band der geplanten Edition von Bettines Briefwechsel mit ihren vier Söhnen. Die Herausgeber Wolfgang Bunzel und Ulrike Landfester haben eine hervorragende Edition der 55 erhaltenen Briefe von Mutter und Sohn vorgelegt, die sorgfältig annotiert und kommentiert werden. Ohne das informations- und kenntnisreiche Nachwort, das die Briefe in den familiengeschichtlichen und politischen Kontext einordnet, wären diese kaum zu verstehen. Schade ist nur, dass die Korrespondenz, was Themen wie Literatur, Kultur und Politik angeht, kaum ergiebig ist, wie auch Bunzel und Landfester einräumen. Das lag daran, dass Mutter und Sohn auf diesen Gebieten wenig Gemeinsamkeiten hatten und in ihren Briefen gezielt strittigen Themen aus dem Weg gingen. Die Korrespondenz beschränkt sich daher auf praktische Themen wie Haushalts-, Familien- und Vermögensangelegenheiten. Nach dem frühen Tod des Vaters stand Freimund der Mutter bei der Erziehung der sechs Geschwister zur Seite, für die er eine wichtige Bezugsperson wurde. Ansonsten zog er sich ganz auf seine Rolle als erstgeborener Sohn landadliger Eltern zurück und ging in der Bewirtschaftung des ererbten Gutshofes auf. Freimund war zwar der Sohn Bettine und Achim von Arnims, mithin Kind zweier Schriftsteller, aber er hatte weder literarisches Talent noch künstlerische Neigung von den Eltern geerbt. Dementsprechend steif und trocken ist seine Prosa.

In den Briefen ist eine Umkehrung des klassischen Generationskonfliktes zu beobachten: sind normalerweise konservative Eltern mit ihren rebellischen Kindern überfordert, so hat der reaktionäre Freimund besonders im Vormärz erkennbare Schwierigkeiten, mit seiner rebellischen Mutter auszukommen.

Nur in einem Brief vom März 1848 lässt Freimund alle Zurückhaltung und Diplomatie der Mutter gegenüber fallen, denn während er an Bettine schreibt, befindet er sich gleich doppelt in einer Extremsituation, in der sich Zeit- und Familiengeschichte überkreuzen. Während im Land die Revolution tobt, die er als Adliger und Gutsherr zutiefst missbilligt, zieht sich im Nebenzimmer die Geburt von Freimunds erstem und einzigem Kind über zwei Tage hin. Freimunds Ehefrau Anna erholte sich von der schweren Geburt nicht mehr. Bald war sie erneut schwanger, hatte einige Monate später eine Fehlgeburt und starb im Dezember 1848.

Bettine gibt sich in ihren Briefen an Freimund großáe Mühe, den Sohn zu trösten und seine Aufmerksamkeit auf das ebenfalls kränkelnde Kind zu lenken. Nach Auskunft der Herausgeber hat sich Freimund, obwohl er bald wieder heiratete, nie ganz vom Tod seiner ersten Frau erholt. Mit ihrer neuen Schwiegertochter hatte Bettine wenig gemein, dies mag ein Grund dafür sein, dass in den letzten Lebensjahren Bettines die Briefe spärlich werden.

Das Bild von Bettine, das sich aus diesen Briefen ergibt, hat wenig zu tun mit ihrem üblichen Image als überspannter Idealistin oder leicht ausgeflippter Kindfrau. Im Gegenteil, sie wirkt ausgesprochen reif, ist ihrem Sohn gegenüber meist tolerant, freundlich und hilfsbereit. Wer ihre politische Haltung kennt, der mag erahnen, wieviel Überwindung sie dies manchmal gekostet haben muss. Die titelgebende Zeile "du bist mir Vater und Bruder und Sohn" stammt aus dem letzten erhaltenen Brief, in dem Bettine den kränklichen und missmutigen Sohn durch eine geballte Portion Lob und Mutterliebe aufzuheitern versucht. Anders als Bettine hatte Freimund seinen Krankheiten jedoch wenig Energie und Lebenswillen entgegenzusetzen. 1863 starb er wie seine Mutter vier Jahre zuvor an einem Schlaganfall.

Titelbild

Bettina von Arnim / Freimund von Arnim: Du bist mir Vater und Bruder und Sohn. Bettine von Arnims Briefwechsel mit ihrem Sohn Freimund.
Wallstein Verlag, Göttingen 1999.
203 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3892442398

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