Der Autor im zeitgenössischen Kontext

Ein Werkstattbericht zur Gutzkow-Tagung in Exeter

Von Gert VonhoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gert Vonhoff

Es ist nun etwas mehr als dreizehn Jahre her, seit Roger Jones und Martina Lauster mit ihrer ersten Gutzkow-Konferenz in Keele, England, den Rahmen boten, aus dem sich das „Editionsprojekt Karl Gutzkow“ entwickelt hat. Inzwischen stellen – mit Ausnahme der Lyrik – die seit 2001 erschienenen elf Bände der „Kommentierten digitalen Gesamtausgabe“, die zahlreichen bisher nur im Internet edierten kürzeren Texte und die in Arbeit befindlichen, im Gutzkow-Jubiläumsjahr 2011 oder kurz darauf erscheinenden Bände einen brauchbaren Querschnitt aus dem Schaffen des Autors bereit: für eine breite Leserschaft, die sich neuerlich mit Gutzkow beschäftigen will oder ihn als Teil des kulturellen Spektrums von der Julirevolution 1830 bis zum Sozialistengesetz 1878 wahrnehmen möchte.

Gutzkow-Tagungen

Gerade diesem letzten Zweck diente die Tagung, die im September 2010 in Exeter stattgefunden hat und im gerade erschienenen Band der „Vormärz-Studien“ dokumentiert ist: „Karl Gutzkow and His Contemporaries / Karl Gutzkow und seine Zeitgenossen. Beiträge zur Internationalen Konferenz des Editionsprojektes Karl Gutzkow vom 7. bis 9. September 2010 in Exeter“. (Bielefeld: Aisthesis, 2011). Während sich das Keeler Symposion 1997 und auch die im Jahre 2000 unter dem Titel „Gutzkow lesen!“ organisierte Berliner Konferenz des „Forums Vormärz Forschung“ zuallererst einmal auf den Autor und seine Werke konzentrierten, markiert die jüngste Tagung eine Verlagerung des Akzentes: weg vom Autor und hin zu seiner kontextuellen Einbettung, zu seinem kulturellen Umfeld – zu seinen Zeitgenossen.

Eingeladen waren Spezialisten, die nicht gezielt zu Gutzkow forschen, sondern in deren Arbeitsgebiet dieser Autor eine Rolle spielt oder spielen könnte. Der Gewinn liegt darin, dass auf solche Weise Kontexte gerade von Seiten der Nicht-Experten ausgeleuchtet werden und damit Dialoge zwischen verschiedenen Gebieten eröffnet werden können. In einer Zeit, die sich anschickt, gewohnte Epochenbilder – etwa innerhalb der Realismusforschung – durch breiter gefächerte Wahrnehmungen zu verfeinern und zu korrigieren, scheint es legitim, auch Gutzkow in das Konzert der Stimmen wieder neu aufzunehmen. Das kontroverse, uneinheitliche, oft moderne, dann in Deutschland wiederum seltsam rückständige 19. Jahrhundert scheint dies geradezu zu erfordern.

Gutzkow als Zeitgenosse und Berufsschriftsteller

Von den frühen 1830er-Jahren bis zu seinem Tod 1878 hat Gutzkow mit einer großen Zahl von Zeitgenossen Kontakt gehabt, auf sie reagiert und wiederum ihre Reaktionen auf seine Werke und Äußerungen verarbeitet. Diese fast 50 Jahre währende aktive Zeitgenossenschaft umspannt eine Fülle von Veränderungen, die es erschwert, den Autor mit einem Epochenlabel zu versehen: Gutzkow, der Bewunderer Jean Paul’scher Romantik und der Jungdeutsche, steht neben Gutzkow, der auf Radikalisierungen im Vormärz (eher skeptisch) reagiert, dann aber im Revolutionsjahr 1848 auf das politische Geschehen einzuwirken versucht. Gutzkow, ein Vertreter des frühen Realismus, versehen mit Resten von Idealismus, bleibt im Nachmärz seinen liberalen Idealen treu und sucht diese gegen den aufkommenden national-liberalen Konservatismus und seine ästhetische Grundlegung im ,Programmatischen Realismus‘ zu verteidigen. Gutzkow, der Zweifler, der dann seit den 1860er Jahren immer mehr zum ,verzweifelnden‘ Beobachter wird, begleitet schließlich die sich abzeichnende und dann vollziehende Einigung Deutschlands unter preußischer Führung teilnehmend-distanziert und steht den neureichen liberalen Gebärden der Gründerzeit oder der sich formierenden Arbeiterbewegung insgesamt kritisch gegenüber. Von der Bewunderung Jean Pauls zur Desillusion durch das Bismarck-Reich bleibt Gutzkows Schreiben vom Maß der Distanz geprägt, einem zuweilen scharf wertenden, dann aber auch wieder hinterfragenden Gestus; er eignet dem Kritiker, der seine Zeit analysiert und auf sie reagiert.

Es ist also wohl kein Zufall, dass Gutzkow über fast fünf Jahrzehnte hinweg als Kritiker in endlosen Reihen von Besprechungen und immer wieder neuen, oft überhastet herausgegebenen Werken, Bearbeitungen und Neuauflagen sich zu Wort gemeldet hat. Macht ihn dies zum modernen ,Berufsschriftsteller‘? Die schiere Menge an Publikationen und auch die Bedingungen, unter denen sie entstanden, legen dies nahe. Es sind dies Kontexte, die sein Schreiben beeinflussen, die er aber auch mit seinem Schreiben zu guten Stücken selbst mitformt, denn der literarische Markt für den Berufsschriftsteller entsteht in Deutschland ja erst zu Lebzeiten Gutzkows.

Gutzkow als Dichter?

Aber dann steht – nicht untypisch für ihn – diese Modernität wieder neben seinem Konservatismus, der sich nicht nur im Glauben an eine liberale Bildung niederschlägt, sondern auch in einem Schriftstellerbild kundtut, das die Rolle des ,Dichters‘ im umfassenden Sinne miteinzuschließen sucht. Doch Gutzkow als ,Dichter‘ im traditionellen Sinne und also auch als Lyriker wahrzunehmen, fällt nicht leicht; seine Lyrik, die sich sowohl von der biedermeierlichen Poesie der Schwäbischen Schule als auch von der neuen politischen Lyrik der 1840er-Jahre abgrenzt, bleibt ephemer. Aber wie der Aufbau seiner zu Lebzeiten konzipierten Ausgaben zeigt, tut Gutzkow das ihm Mögliche, diese nicht nur aufzunehmen, sondern als Teil seiner Produktion zu betonen, so Peter Stein in seinem Beitrag.

Gutzkow – das erschien dem Editionsprojekt in den ersten Jahren – ist aber trotzdem weiterhin eher als Prosaautor und Kritiker wahrzunehmen. Daraus ergaben sich Schwerpunkte sowohl für die bisherige Arbeit des Editionsprojektes an den Texten als auch für viele Vorträge der Tagung. Peter Hasubek weist noch einmal auf den engen Zusammenhang von Carl Leberecht Immermanns und Gutzkows Prosa hin, gerade im Blick auf das Konzept des ,Romans des Nebeneinander‘ und dessen ästhetischer Grundlegung. In einem komparatistischen Vergleich arbeitet John Rignall Gemeinsamkeiten und Unterschiede einer Dialektik heraus, die Gutzkows wie George Eliots Werk prägen, der Dialektik von minutiösem Realismus und Panoramatik. Werkstrukturelle Vergleiche bilden auch die Grundlage für Florian Krobbs in mancher Hinsicht ähnliche Gegenüberstellung des Erzählens bei Wilhelm Raabe und Gutzkow. Ebenso argumentiert dann Dirk Göttsche, wo er die poetologischen Aspekte einer Zeitgenossenschaft zwischen Vormärz und Realismus am Beispiel Laube und Gutzkow untersucht.

Gutzkow als Dramatiker

Mit Skepsis betrachtete das Editionsprojekt am Anfang die Dramen Gutzkows, die ja zeitgenössisch zum Teil, gerade in den 1840er- und 1850er-Jahren, eine Menge Beachtung fanden. Doch hat die Arbeit an den Texten darauf aufmerksam machen können, wie viel es in diesem Bereich zu entdecken gibt. (Vgl. Karl Gutzkow: „Dramatische Werke. Marino Falieri / Hamlet in Wittenberg / Nero / König Saul“. Herausgegeben von  Anne Friedrich und Susanne Schütz. GWB. Dramatische Werke, Band 1, Münster 2009; Karl Gutzkow: „Dramatische Werke. Richard Savage / Werner / Die Gräfin Esther / Patkul“ Herausgegeben von Susanne Schütz  und  Claudia Volland. GWB. Dramatische Werke, Band 2. Münster 2009.)

K. Scott Baker leistete hierzu nicht nur mit seiner Monografie einen wertvollen Beitrag (vergleiche „Drama and ,Ideenschmuggel‘. Inserted Performance as Communicative Strategy in Karl Gutzkow’s Plays 1839-1849“, Bern 2008), sondern nimmt diesen Faden auch in seinem Vortrag im vorliegenden Band wieder auf, wenn er unterschiedliche Konzepte des historischen Dramas und des Rückgriffs auf Friedrich Schiller bei Gutzkow, Heinrich Laube und Friedrich Hebbel vergleicht. Zeitgenossenschaft als ,Rollenspiel‘ verschiedener ,Akteure‘ auf dem literarischen Feld scheint hier ein fruchtbarer interpretatorischer Ansatz. Andrew Cusack betont so etwa verschiedene Aspekte der Theatralität, die er als ein generelles Zeichen der Jahrzehnte bis 1850 begreift, indem er die zahlreichen Rollen und die damit einhergehenden Erwartungen untersucht, in und unter denen der Theatermann und Autor Karl von Holtei und Gutzkow zusammentrafen. Veronica Butler folgt einem ähnlichen Interesse, wenn sie die Genese des Verhältnisses von August Lewald und Gutzkow untersucht, und dies aus Gutzkows Sicht als Beispiel für die Vormärz-Hoffnungen und Nachmärz-Enttäuschungen vorstellt.

Gutzkow als Kritiker

Alle drei Beiträge betrachten wie viele andere Gutzkow auch in seiner Rolle als Kritiker. Michael Perraudins Untersuchung zum sich wandelnden Verhältnis von Heinrich Heine und Gutzkow findet ihre Basis im Zusammentragen direkter und literarisch produktiver Äußerungen, die den kritischen Umgang beider dokumentieren: von der beiderseitigen Achtung als Autoren über die gegenseitige Reizbarkeit der auf dem Markte konkurrierenden Schriftsteller bis hin zur wechselseitigen Nichtachtung, ja Verachtung. Bernd Füllner beleuchtet die Spannung zwischen beiden Autoren aus der Sicht ihres gemeinsamen Verlegers der 1830er-Jahre, Julius Campe in Hamburg. Der Kontext von ,Rollenspiel‘, ,Akteuren‘ und ,literarischem Feld‘ erweist sich wiederum als erkenntnisstiftend.

Den produktiven Umgang mit den historischen Bedingungen des literarischen Marktes, des Journalismus und der literarischen Kritik kennzeichnet, so zeigt Benedict Schofield, ebenso den Umgang von Gutzkow und Gustav Freytag miteinander, und zwar sogar bevor beide im sogenannten ,Grenzbotenstreit‘ der 1850er-Jahre die verschiedenen Lager bildeten. Über mehrere Stadien, welche die Zeit von 1835 bis zur Reichsgründung Anfang der 1870er-Jahre umspannen, entwickelt sich auch das Verhältnis von Berthold Auerbach und Gutzkow zueinander. Wie dies im kulturpolitischen Feld jeweils zu werten ist, dem geht Anita Bunyan nach. Olaf Briese verdeutlicht am Beispiel der facettenreichen Beziehung zwischen dem Hegelianer Karl Rosenkranz und Gutzkow, wie Kritik und Zustimmung abhängig sein können vom Diskursfeld und seinen Implikationen.

Die beiden Beiträge zu Wagner und Gutzkow ergänzen sich in gewisser Weise. Betont Hugh Ridley die potentielle Nähe von Wagner und Gutzkow, wo es darum geht, Kunst neu und anders zu denken, so stellt Duncan Large dar, wie gegenseitige Abneigung Gutzkow nicht daran hindert, schon früh und weitsichtig die Bedeutung Wagners zu erkennen und dies dann auch zu sagen, ein gutes Beispiel für den (kritischen) Spürsinn Gutzkows. Ruth Whittle polt die ,Kritikersicht‘ gewissermaßen um, wenn sie Gutzkow und sein Werk zum Gegenstand der Kritik erhebt und solchermaßen die Rezeption durch die verschiedenen Literaturgeschichten anhand von Fallstudien näher untersucht.

Neue Blickrichtung

Die Frage der ,Zeitgenossenschaft‘ scheint ja erst einmal das Augenmerk von den Werken Gutzkows und ihrem so wesentlichen internen Strukturgefüge zu nehmen und damit Gefahr zu laufen, hinter den in den letzten Jahrzehnten in der Gutzkow-Forschung erreichten Erkenntnisstand zurückzufallen. Wo aber die werkstrukturelle Arbeit um Text-Kontext-Relationen erweitert werden soll, ist die Ausdehnung der Fragestellungen auf die Zeitgenossen und deren Werke unumgänglich. Die Tagung hat dies eindrucksvoll bewiesen, auch wenn die einzelnen Beiträge verständlicherweise oft erst einmal nur Anstöße geben können und nicht in allen Fällen schon in abgeschlossene Strukturvergleiche münden. Gerade dort, wo Spuren neu aufzunehmen waren – etwa in Fällen wie Karl Rosenkranz, Gustav Freytag, Karl von Holtei, oder August Lewald –, erscheinen die erzielten Ergebnisse als ein erster wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einem komplexeren Gesamtbild der verschiedenen Strömungen im 19. Jahrhundert, seiner Autoren, Werke und außertextlichen Bedingungen. Aber auch für besser erforschte Autoren, wie Heine, Wilhelm Raabe, Theodor Fontane oder Heinrich Laube, ergab das Zusammenführen von Spezialwissen mit der Gutzkow-Perspektive neue Einblicke, nicht nur in die Genese von Schriftstellerbeziehungen und die Entwicklungen ihres Schreibens, sondern auch in die Mechanismen des entstehenden kulturellen Marktes und seiner Organe. Und all dies hat naturgemäß auf die Werke eingewirkt und ist von uns heute neuerlich zu erschließen, wollen wir deren geschichtliche Bedeutung begreifen.

Forschungsdesiderate

Die hier gemachten Bemerkungen seien durch eine keineswegs erschöpfende Reihe von Beobachtungen und weiterführenden Fragen beschlossen, die sich aus den Beiträgen ergeben und die weitere Forschung vielleicht perspektivieren helfen oder einfach zum Lesen anregen mögen.

1. Gutzkows produktive Rezeption gilt es in der Zukunft noch genauer zu untersuchen. Gute Fortschritte markieren hier die Beiträge von Catherine Minter, Peter Hasubek und Michael Perraudin. In ihrer Untersuchung über den anhaltenden, wenn auch sich wandelnden Einfluss, den Jean Paul auf Gutzkow hatte, gelingt es Minter, in Jean Paul eine der produktiven Quellen ausfindig zu machen, die Gutzkows merkwürdige Verbindung von Realismus und Idealismus verständlicher werden lassen. Hasubek fasst die Bedeutung, die Immermann für Gutzkow hatte, zusammen, indem er als Kenner beider Bereiche deren Verhältnis zueinander bestimmt. Perraudin arbeitet den frühen Einfluss von Heine auf Gutzkow klar heraus, etwas, was der spätere Gutzkow – etwa in seinen autobiografischen Schriften – eher zu verdecken sucht, wenn er sich anschickt, nicht nur Heine, sondern auch Ludwig Börne aus seiner Biografie ,herauszuschreiben‘. Börne ist leider kein Gegenstand eines Tagungsbeitrages gewesen, aber Martina Lausters ‚Nachwort‘ im Anhang des Bandes „Börne’s Leben“ kann hier produktiv zu Rate gezogen werden (vergleiche Karl Gutzkow: „Börne’s Leben“. Herausgegeben von Martina Lauster  und  Catherine Minter. GWB. Schriften zur Literatur und zum Theater. Band 5. Münster 2004). Weitere Desiderate in diesem Bereich wären Untersuchungen zu Gutzkows produktiver Rezeption von Ludwig Tieck und Willibald Alexis; von beiden Autoren her könnte der Zusammenhang von Romantik und Frührealismus in seinem Stellenwert für die Entwicklung von Gutzkows Schreiben weiter verdeutlicht werden.

2. Helen Chambers geht in ihrem Beitrag zur Bedeutung Gutzkows für Fontane in mancherlei Hinsicht den umgekehrten Weg, wenn sie Fontanes Berliner Theaterkritiken über die Aufführungen von Gutzkows Stücken und seine literarische Rezeption Gutzkows zum Anlass nimmt, Eigenarten im Werk Fontanes besser zu verstehen. Ähnliche Rückwirkungen sind in vielen anderen Beiträgen auch angedacht, aber bedürfen vielfach noch einer verstärkten Wahrnehmung für die Arbeit zu den anderen Autoren des 19. Jahrhunderts.

3. In vielen Beiträgen betont wurden die Verbindungslinien, die von den Jungdeutschen und dem Vormärz im engeren Sinne in Richtung auf den Realismus verlaufen. Weil Gutzkows Schreiben nicht verstummt, erscheint er als Zeitzeuge sehr brauchbar, wenn es darum geht, gewisse ,Vormärz-Nachmärz‘-Gegenüberstellungen auf ihre Aussagefähigkeit hin zu überprüfen. Schofield und Göttsche haben einiges Material hierzu geliefert, das es noch einmal im Hinblick auf Periodifizierung, so wie sie die Wissenschaft vornimmt, anzuschauen gilt.

4. Gutzkows Mitwirken an der Gründung der Schillerstiftung (1855) und seine Tätigkeit als deren Generalsekretär von 1861 bis 1864 erlauben Blicke darauf, wie hier jemand als früher Anwalt der Schriftsteller sich nicht nur solidarisch mit dem eigenen Berufsstand zeigt, sondern diesen in einer wichtigen Stufe seiner Entwicklung mitprägt. Gutzkows sehr persönlich wertende, oft polemische und zunehmend bittere Kritik lässt dies nur allzu gern übersehen. Einen wesentlichen Beitrag zum Ausgleich dieses Forschungsdefizites wird der in der Herausgeberschaft von Christine Haug und Ute Schneider in Kürze erscheinende Band „Schriften zum Buchhandel und zur literarischen Praxis“ liefern. Wertvolle Einblicke sind auch von der Tagung zu erwarten, die von Ute Schneider und Wolfgang Lukas in Mainz durchgeführt wird: „Karl Gutzkow. Publizistik, Literatur und Buchmarkt zwischen Vormärz und Gründerzeit“. Eine Tagung zum 200. Geburtstag des Schriftstellers am 16.–18. März 2011, veranstaltet vom Institut für Buchwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Germanistik der Bergischen Universität Wuppertal, in Verbindung mit dem Editionsprojekt Karl Gutzkow.

5. Dieses Interesse spielt unmittelbar hinein in die notwendige Arbeit zur Ausdifferenzierung des literarischen Feldes im 19. Jahrhundert, zu dem der von Martina Lauster gerade editierte Band „Die Zeitgenossen. Ihre Schicksale, ihre Tendenzen, ihre großen Charaktere“ (GWB. Schriften zur Politik und Gesellschaft. Band 3. Münster 2010) und ihre Kommentierung im Internetteil der Ausgabe (‚Globalkommentar‘. GWB, DG. Schriften zur Politik und Gesellschaft. Die Zeitgenossen. [Apparat]. Exeter, Berlin: www.gutzkow.de, pdf-Fassung 1.1, 2007; siehe auch Lausters ‚Nachwort‘ und ihr ‚Personen- und Sachregister‘ im gedruckten Band) ebenso beitragen wie der in Planung befindliche Band zu den „Beiträgen zur Geschichte der neuesten Literatur“. In dem Maße, wie das literarische Feld ökonomische Autonomie anstrebt, hat es sich gegenüber den anderen ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Feldern abzugrenzen. Die Konkurrenz von Autoren untereinander und die daraus nicht selten entstehende Polemik und der rauhe Ton im Umgang miteinander sind ein Phänomen, das mit solcher Differenzierung des Marktes einhergeht. Wie es bei all dem Trennenden aber auch Verbindendes gibt, was für die bestehenden politischen Verhältnisse als gefährdend eingestuft wurde, könnte nicht zuletzt in der Zusammenarbeit von Christian Wienbarg und Gutzkow untersucht werden, wo diese 1835 das großangelegte Projekt der „Deutschen Revue“ planen, dann aber an der Ausführung durch Zensur und Verbot gehindert werden. In seinem Beitrag über einige der Beiträger zu Gutzkows „Unterhaltungen am häuslichen Herd“ schließt Wulf Wülfing diese Lücke für das Nachmärz-Jahrzehnt. Über die Biografien der Mitarbeiter werden Subtexte deutlicher, welche das Unternehmen „Familienzeitschrift“ in neuem Licht erscheinen lassen.

Dies ist eine erste, keineswegs vollständige Liste der Fragen und weiterführenden Perspektiven, die sich aus der Auseinandersetzung mit den vorliegenden Beiträgen ergeben.

Ausblick auf die zukünftige Arbeit

In seinem den Forschungsstand von der Peripherie her sichtenden Hauptvortrag hat Jeffrey Sammons unter anderem auch auf die nicht nur institutionellen Schwierigkeiten hingewiesen, welche eine intensivierte Gutzkow-Forschung überwinden müsse. Die Widersprüchlichkeit in den Texten Gutzkows, die wohl am besten verstanden werden könne, wenn man die mehrstimmige Komplexität als literarisches Phänomen akzeptiere und produktiv zu interpretieren beginne, erfordert dabei in besonderer Weise die Kommentierung der Texte, wie sie als ein Schwerpunkt die Arbeit des „Editionsprojektes Karl Gutzkow“ in den kommenden Jahren ausmachen wird. Erste Beispiele, wie so etwas aussehen könnte und was damit nicht nur für die Gutzkow-Forschung im engeren Sinne gewonnen werden könnte, liegen in den von Kurt Jauslin, Rik Kavanagh und Martina Lauster vorgelegten Kommentaren zu den „Neuen Serapionsbrüdern“, den „Briefen eines Narren an eine Närrin“ und zu den „Zeitgenossen“ vor (Siehe: Kurt Jauslin. ‚Überlieferung bis Globalkommentar‘. GWB, DG. Erzählerische Werke. Die neuen Serapionsbrüder. [Apparat]. Exeter, Berlin: www.gutzkow.de, pdf-Fassung 2.2, 2010; Kurt Jauslin. ‚Einzelstellenkommentar Band 1‘. GWB, DG. Erzählerische Werke. Die neuen Serapionsbrüder. [Apparat]. Exeter, Berlin: www.gutzkow.de, pdf-Fassung 1.0, 2010. – R. J. Kavanagh.,Überlieferung bis Rezeption‘. GWB, DG. Erzählerische Werke. Briefe eines Narren an eine Närrin. [Apparat]. Exeter, Berlin: www.gutzkow.de, pdf-Fassung 1.1, 2008; R. J. Kavanagh. ‚Vorwort, 1.-4. Brief. Erläuterungen‘. GWB, DG. Erzählerische Werke. Briefe eines Narren an eine Närrin. [Apparat]. Exeter, Berlin: www.gutzkow.de, htm-Fassung 1.3, 2010; R. J. Kavanagh. ‚5.-9. Brief. Erläuterungen‘. GWB, DG. Erzählerische Werke. Briefe eines Narren an eine Närrin. [Apparat]. Exeter, Berlin: www.gutzkow.de, htm-Fassung 1.0, 2009.)

Auch soll der Lexikonteil der Ausgabe aus den Beiträgen des vorliegenden Tagungsbandes heraus weiter ausgebaut werden. All dies leitet die zweite Phase des „Editionsprojektes Karl Gutzkow“ ein, das sich in den kommenden Jahren, neben der Herausgabe weiterer Werke, vor allen Dingen der Kommentierung des bislang Veröffentlichten widmen will.

Anmerkung der Redaktion: Der Text ist ein abgewandelter Auszug aus dem Beitrag von Gert Vonhoff, in: Karl Gutzkow and His Contemporaries / Karl Gutzkow und seine Zeitgenossen. Beiträge zur Internationalen Konferenz des Editionsprojektes Karl Gutzkow vom 7. bis 9. September 2010 in Exeter. Hg. Gert Vonhoff in Zusammenarbeit mit Beke Sinjen und Sabrina Stolfa, Bielefeld: Aisthesis, 2011. [= Forum Vormärz Forschung. Vormärz-Studien XIX], S. 9-18; hier S. 9-17.)