Kein Puppenheim

Katherine Shonks Debüt-Roman „Happy Now?“ trägt die bildhaft schöne Oberfläche einer jungen Ehe ab und gibt den Blick frei auf ein Tabu-Thema: Depression

Von Nadja UrbaniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadja Urbani

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Du wirst glücklich“, hatte er zu ihr gesagt. Und Claire hatte angenommen, dass sich das auf ihre gemeinsame bevorstehende Ehe bezog. Doch nun, nicht einmal zwei Jahre später, hat Jay, ihr Ehemann, das Versprechen gebrochen und auf die denkbar schlimmste Weise Schluss gemacht. Darum sitzt Claire schließlich in einer Selbsthilfegruppe und stellt sich den Anderen vor: „Ich bin hier, weil mein Mann sich umgebracht hat. Er ist vom Balkon gesprungen. Am Valentinstag. Wir waren auf einer Party.“ So kurz, aber nicht schmerzlos, lässt sich die Geschichte, die die US-Autorin Katherine Shonk in ihrem Debüt-Roman erzählt, zusammenfassen. Jays Ende ist der Anfang eines Romans, der unter die Haut geht, indem er das Bild einer jungen Liebe zugleich zeichnet und zerstört. Eine „schäbige Geschichte“, wie Claire sie selbstironisch nennt.

Doch ist Selbstmord „schäbig“? Claire ist wütend und beschämt, dass ihr Ehemann Jay sie so verlassen hat. Nach dem großen Schock am Valentinstag verfällt sie in eine Lethargie und lässt sich von ihrer Familie wie ein Kind umsorgen. In ihr ist es kalt und taub, und trotzdem beginnt die Trauernde, mit Liebe auf die gemeinsame Zeit zurückzublicken. Denn sie hatten es eigentlich schön miteinander. Claire, die lebensfrohe Künstlerin Mitte 30, baute Puppenhäuser und richtete Musterwohnungen ein, der attraktive Jay arbeitete erfolgreich als Juniorprofessor in der Entwicklungspsychologie. Im Rahmen seiner Forschung spielte er „Puppentheater“ mit Babys, um ihre Wahrnehmung zu testen. Sie selbst wollten nun auch Kinder bekommen. Claire war nach vielen Jahren auf dem harten Single-Markt froh, ihr Glück gefunden zu haben. Eigentlich. Denn Jay litt unter Depressionen, die ihn in beinahe regelmäßigen Abständen heimsuchten und die Idylle störten.

Erst sagte sie zu seinen Anfällen: „Jedem geht’s doch mal so. Oder?“ Dann, als sie es als Teil von Jay erkannte, wollte sie mehr über das Gefühl wissen, das ihn dann plagte. Er konnte es nur als eine „Hölle“ beschreiben. Wie sollte Claire mit einer Krankheit umgehen, die nicht einmal Jay selbst erklären konnte, und über die in der Gesellschaft nicht gesprochen wird? Claire war es sogar vor ihrer Familie peinlich, Jays „Manko“ zu erwähnen. Und selbst der in Gefühlsdingen sehr mitteilsame Jay hielt sich bei seinen Kollegen – allesamt Psychologen – mit Ausreden über Wasser. Denn es ist kein Thema, mit dem leicht umzugehen ist. „Depression“ als Begriff ist zwar in die Alltagssprache eingegangen, doch davon wirklich betroffen zu sein, geht wohl viel tiefer, als nur „deprimiert“ zu sein. Dass man „deprimiert“ ist, kann ruhig ausgesprochen werden. Dass Jay „depressiv“ ist, verheimlicht er besser.

Umso mutiger, dass Shonk dieses missverständliche und heikle Thema für ihren ersten Roman gewählt hat. Trotz ihres sanften Erzählduktus lässt sie keine Schonung walten, geht mitten hinein in trübe Stimmungen und irrationale Situationen, zeigt Aspekte der Krankheit auf, egal wie schwer sie für den Leser zu greifen sind. So leicht der Roman sprachlich auch geschrieben ist und die Fakten offen legt, so anspruchsvoll ist das Leseerlebnis dennoch. Denn die Erzählung selbst hat die Struktur einer Depression: Immer wieder führt die Narration zurück zu Gefühlen und Gedanken, die sich im Kreis drehen. Für Claire geht es in ihrer Trauer auf und ab, so wie es auch in Jays Leben gewesen war. Hier die schönen Erinnerungen an ihr Kennenlernen und die Hochzeit mit anschließendem Nestbau, dort die dunklen Phasen, in denen Jay sie zurückgestoßen und im Stich gelassen hatte.

Das Wechselbad der Stimmungen überträgt sich auf den Leser – und soll es auch. Denn der Roman kann seinen Sinn allein dann entfalten, wenn er auf die Bereitschaft stößt, in diese Gefühle einzutauchen, statt flugs über die Handlung hinwegzulesen. Nur so fiebert man mit, wenn Claire sich nicht traut, den Abschiedsbrief ihres Mannes zu lesen, fühlt dann ihren Ärger darüber, dass Jays Informationsliste über die hinterbliebene Katze doppelt so lang ist. Und lacht mit, wenn Claire in der Selbsthilfegruppe über die Vorstellung grinst, einen „Club der Suizid-Bräute“ mit dem Schlachtruf „Ich könnte ihn umbringen!“ zu gründen. Dem Roman gelingt das Kunststück, ein schwer zu fassendes Thema mit einem feinen Sinn für Humor und plastischen Figuren zu verarbeiten. Besonders die Protagonistin Claire ist eine so vielschichtig und authentisch gezeichnete Figur, dass sie nicht nur auf die Rolle der „tragischen Selbstmord-Witwe“ aus einem Depressions-Roman festgelegt bleibt, sondern ungewöhnlich echt wirkt. Als lebe sie wirklich irgendwo in Chicago, um ihre Frau zu stehen – einst als Single, nun als 37-jährige Witwe.

Es sind besonders die paradox-komischen Situationen, die Claire so lebendig wirken lassen. Zum Beispiel geschieht ihr das Missgeschick, in der falschen Selbsthilfegruppe zu sprechen. Als sie dort in ihrer Wut auf Jays Tat nur auf entsetzte Gesichter stößt, merkt sie, dass sich hier zwei Fronten gegenüberstehen: Sie, die fassungslos ist über den Egoismus eines Selbstmordes, und die anderen, die eben solch einen Suizidversuch überlebt haben. Es wird klar, wie schwierig es für einen gesunden Menschen wie Claire ist, die Denkweise von depressiven Menschen zu verstehen. Die Gefühle, die Jay beschrieben hatte, sind ihr immer fremd geblieben: dass er manchmal den Gedanken nicht ertrug, jeden Tag etwas so Langweiliges tun zu müssen wie duschen, oder sein ganzes Leben in nur einem, seinem, Bewusstsein zu verbringen. Das alles erschien ihm wie ein Stein, den er immer wieder einen Berg hochschieben musste. Claire dagegen wusste einfach nicht, welchen Stein und welchen Berg er meinte.

Trotzdem: Sie wollte den Weg gemeinsam mit ihm gehen, denn welche Ehe ist schon perfekt? Besser einen lieben Mann mit gelegentlichen Depressionen, als einen, der trinkt, sie betrügt oder sich schlicht nicht für sie interessiert. Oder etwa nicht? Wer rechnet schon damit, dass ein glücklich verheirateter Mann sich das Leben nimmt? Jay entsprach ja nicht gerade dem Klischee eines Selbstmordkandidaten, der an Weihnachten allein vor dem Fernseher sitzt und sich von der Welt verlassen fühlt.

Sie hatte es also nicht kommen sehen. Niemand. So werden Claires Trauer und Wut von einem Gefühl der Schuld durchkreuzt. Das große Verdienst dieses mutigen Romans ist es, dass er das komplexe Feld der Trauer in all seinen Facetten darstellt. Es entbehrt zum Beispiel nicht jeglicher Komik, wie das Umfeld mit einer trauernden Witwe umgeht: Claire wird schief angeschaut, wenn sie das Bedürfnis hat, einen Witz zu machen. Und alle erwarten, dass sie ständig in Tränen ausbricht. Im Umgang mit einer Hinterbliebenen verlieren viele ihre Sprache – Witwe Claire wird zu einer Herausforderung für ihre Mitmenschen.

„Happy Now?“ bietet aber keine konkreten Hilfestellungen und Lösungen an – weder im Umgang mit Trauer, noch mit Trauernden und depressiven Menschen. Doch der Roman gibt dem Leser etwas, das auch sehr wertvoll ist: Er öffnet zugleich locker und sensibel den Horizont für schwierige Themen und kann jene begleiten, die selbst etwas zu verarbeiten haben. So spektakulär Jays Sprung vom Balkon auch klingt und so ominös die Tat bleibt: Dies ist kein unterhaltsames Buch, sondern ein geglückter Roman über das Ende des Glücks – und seinen Anfang. Mit einer Prise Optimismus und einem jungen klugen Blick auf die Welt vermittelt Shonk die einfache Erkenntnis, dass die Dinge meistens nie so sind, wie man sie sich vorgestellt hat. Das Leben ist eben kein selbstgebasteltes Puppenhaus, aber es gibt Bücher, die über diese Einsicht hinwegtrösten können. Dieses gehört dazu.

Titelbild

Katherine Shonk: Happy now? Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Harriet Fricke.
Eichborn Verlag, Frankfurt, M. 2010.
279 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783821861210

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