Paris is a Woman

Ein Sammelband fragt sich, ob die „Gilmore Girls“ mehr als eine Fernsehserie sind

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Karin Lenzhofer bewundert in ihrem diversen Serien-Heroinen gewidmeten Buch „Chicks rule!“ nicht nur die Frauen und Mädchen mit den magischen und anderen Superkräften oder die kampferprobte Xena, sondern ebenso sehr die in einem amerikanischen Ostküstenstädtchen lebenden „Gilmore Girls“.

Nun wurde den beiden titelstiftenden Lorelais der Serie ein ganzer Sammelband gewidmet. Sein Titel fragt, ob die „Gilmore Girls“ vielleicht sogar „mehr als eine Fernsehserie“ sind. Acht Beiträge unternehmen die Beantwortung. Fünf davon haben die Herausgeberinnen Maria Anna Kreienbaum und Katharina Knoll – teils gemeinsam, teils alleine – selbst verfasst. Die anderen stammen von SeminaristInnen der am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal lehrenden Professorin und ihrer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin.

Anders als Lenzhofer sind allerdings nicht alle der Beitragenden vom emanzipatorischen Charakter der Serie überzeugt. Katharina Knoll meint etwa, in den Geschlechterrollen der Serie „konservative und traditionelle Darstellungsmuster“ nachweisen zu können, weshalb sie „konservativ verhaftet“ sei. Überhaupt sei es ausgeschlossen, dass Warner Brothers eine Familienserie „produzieren kann, die subversiv mit Geschlecht und den damit verbundenen Machtmechanismen umgeht“, lautet ihr Verdikt, dem zufolge sie sich die ganze Untersuchung eigentlich hätte sparen können. Vielleicht hätte sie sich bei Lenzhofer kundig machen sollen, deren oft überzeugende Ausführungen überhaupt nur in einem der Beiträge rezipiert werden. Es handelt sich denn auch um den lesenswertesten des gesamten Bandes – und auch um den letzten. Martina Mescher hat ihn geschrieben.

Zuvor erläutert Kreienbaum in einem eingestandenermaßen „feuilletonistischen Beitrag“, warum sie sich von der Serie „verzaubert“ fühlt. Katarina Knoll stellt eine „diskursive Betrachtung der ‚Gilmore Girls‘ und des Genres der Fernsehserie“ an. Bastian Dannenberg erörtert den „Umgang mit Freiheit in der Serie“ und macht „zuhauf“ autoritäre Muster „der sado-masochistischen Spielart“ aus. Etwa in der Beziehung von Rorys Freundin Lane zu ihrer Mutter. Noch deutlicher werde das autoritäre Beziehungsgefüge in Lorelais Verhältnis zu ihren Eltern, wofür er merkwürdigerweise als Beleg anführt, dass sie „viel Freiheit für sich“ fordert und so einen Konflikt „provoziert“. Das Freiheitsstreben Lorelais ist nun wirklich unübersehbar. Daher ist denn auch nur das Verhalten der Eltern ihr gegenüber autoritär, doch lässt sich die Beziehung insgesamt mit dem Begriff keineswegs hinreichend charakterisieren. „Als wirklich frei kann keine Figur betrachtet werden“, lautet Dannenbergs abschließender Befund, der sich über das Wörtchen wirklich gegen jede Kritik zu immunisieren sucht.

Dannenbergs Aufsatz folgt ein Text von Jana-Eileen Hüsmet, in dem sie dem „gemeinschaftlichen Leben“ in Stars Hollow, der fiktiven Kleinstadt der „Gilmore Girls“, nachgeht. Einer der zentralen Gewährsmänner für ihre Untersuchung ist Ferdinand Tönnies, von dem sie zwar die Schrift „Gemeinschaft und Gesellschaft“ heranzieht, ohne sie allerdings im Literaturverzeichnis anzuführen.

Abschließend sei sich dem Highlight des Bandes zugewandt. Es ist der bereits erwähnte Text von Mescher, in dem die Autorin herausarbeitet, wie die Serie „Außenseiterfiguren“ darstellt und dabei „hochartifiziell mit dem Stilmittel der Überzeichnung“ arbeitet. Zwei von ihnen nimmt sie genauer in den Blick: Kirk, der fast in jeder Episode einen neuen Job hat, und den ehemaligen Broadway-Star Miss Patty, von der sich die Autorin an einen „klassischen Camp-Charakter“ erinnert fühlt. Außerdem zeigt Mescher, dass für die Studentinnen der Serie „Lebensentwürfe, in denen eine ‚Karriere‘ als Cheerleader keine ernstzunehmende Option ist“, nicht in Frage kommen, sondern diese und andere „klassischen Identifikationsfiguren“ von High-School-Filmen vielmehr „als Element zur Abgrenzung genutzt“ werden. So unterscheiden sich die „Mädchencharaktere“ Rory, Lane und Paris zwar ganz fundamental von „klischeehaften Vorstellungen über heranwachsende Frauen“, doch werden sie keineswegs als Außenseiterinnen porträtiert. Paris erfülle zudem die „Kriterien, die mit der männlich konnotierten Figur des nerds in Verbindung gebracht werden.“ Für die Autorin eine Gelegenheit, auf die „in Deutschland noch relativ unbekannte Variante des nerd/geek-Feminismus“ aufmerksam zu machen.

Titelbild

Maria Anna Kreienbaum / Katharina Knoll (Hg.): Gilmore Girls – mehr als eine Fernsehserie? Sozialwissenschaftliche Zugriffe.
Verlag Barbara Budrich, Opladen 2011.
142 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783866493728

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