Die Physiognomie eines Fanatikers – Peter Michalziks Biografie „Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher“ kapriziert sich auf die Erlebnisse des Schriftstellers als Soldat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ob der US-Regisseur Quentin Tarantino, der für seine drastischen Gewalt-Inszenierungen berüchtigt ist, eigentlich jemals Heinrich von Kleist gelesen hat? In seinem letzten Film, „Inglourious Basterds“ (2009), gibt es zumindest zwei Motive, die eine solche Idee nicht abwegig erscheinen lassen: Zum Einen tritt dort ein sogenannter „Bären-Jude“ auf, der die Nazis das Fürchten lehrt. Und zum anderen benutzt dieser „Bear-Jew“ auch noch einen Baseballschläger, also eine Keule, um seine Gegner ohne jede Gnade zu erschlagen.

Kleists Drama „Die Herrmannsschlacht“ hat bereits seine zeitgenössischen Rezipienten mit vergleichbaren Gräuel-Fantasien schockiert: Dort wird der römische Galan Ventidius einer Bärin zum Fraß vorgeworfen, und auch hier ist das zentrale „Werkzeug des Hasses und der Befreiung“ die Keule, wie Peter Michalzik in seiner Biografie „Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher“ feststellt, die 2011 bei Propyläen erschienen ist. Als der gefangengenommene Römer Septimus in der „Herrmannsschlacht“ auf das Kriegsrecht verweist, erteilt Herrmann nur den kühlen und knapp formulierten Befehl: „Nehmt eine Keule doppelten Gewichts, / Und schlagt ihn todt!“

Es kam ‚immer schon‘ auf die Vorstellungen von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ an, die in der Zeit der Rezeption solcher Werke wie dem Tarantinos und demjenigen Kleists virulent sind bzw. wirksam waren: Sie entscheiden darüber, ob solche Grausamkeiten toleriert werden, ob sie das Publikum abschrecken oder im Gegenteil sogar euphorisch aufgenommen werden. Das internationale Kino-Publikum etwa hatte 2009 mit Tarantinos Rache-Szenarien kaum Probleme. Handelte es sich doch in „Inglourious Basterds“ bei den Nazis um eher karikaturenhaft dargestellte NS-Judenvernichter, denen eine kleine, ebenfalls eher burlesk auftretende Guerilla-Terror-Gruppe endlich einmal eine ‚gerechte‘ Strafe zukommen ließ, welche es so historisch bekanntlich nie gegeben hatte. Das Ergebnis waren, etwa während der Filmfestspiele in Cannes, von heiterem Gelächter und Jubel erfüllte Kinosäle.

Auch die „Herrmannsschlacht“, allem Anschein nach gedacht als propagandistisches Bühnenstück gegen die von Kleist als absolut ‚böse‘ wahrgenommene napoleonische Besatzungsmacht in Preußen, mache „den Terroristen zum Thema der Literatur“, stellt Michalzik fest. Damit sei die „Herrmannsschlacht“ das „aktuellste Drama Kleists“, habe er doch darin den „Zusammenhang der beiden Themen Widerstand und Terrorismus“ durchdacht. Allerdings war selbst Kleists Zeitgenossen die Drastik der Darstellung offensichtlich noch zu groß: „Das Problem der ‚Herrmannsschlacht‘ ist: Ein Propagandastück, bei dem man sich mit dem Held nicht identifizieren kann, dient seinem Zweck nicht. Erst nach der Uraufführung 1860 wurde das anders gesehen, da wurde die ‚Herrmannsschlacht’ zum patriotischen Drama.“

Bemerkenswert an Michalziks Biografie ist ihr besonderer Fokus auf den Krieger und den Soldaten Kleist. Damit wird es möglich, so ‚heiße Eisen’ wie das totale Kriegs-Propaganda-Stück „Die Herrmannsschlacht“, über dessen Einordnung im Werk unter Kleist-Forscherinnen und -Forschern nach wie vor debattiert wird, ohne Scheu anzupacken und als das zu benennen, was es im Leben und Wirken dieses radikalen Autors bedeutete: „‚Die Herrmannsschlacht‘ ist kein Fremdkörper in Kleists Werk“, stellt Michalzik nüchtern fest. Und er benennt genau das Problem, an dem diejenige Germanistik bis heute hart zu beißen hat, die es immer noch als schwierig empfindet, kritisch auf einen der fraglos bemerkenswertesten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts zu blicken: „Seit den Furchtbarkeiten des Nationalsozialismus aber kann man sich Herrmann nicht mehr als positiv besetzte Figur vorstellen. Genau so hat Kleist ihn aber sehen wollen. Herrmann ist geschrieben als ein Held, der sich im Dienst einer großen Sache selbstlos selbst überwindet und dadurch zu sich findet.“

Der Literaturwissenschaftler Mark-Georg Dehrmann hat Michalziks Biografie, die sich auch biografisch stark auf Kleists Erlebnisse als Soldat kapriziert, bereits in der „Süddeutschen Zeitung“ ausführlich gelobt, und seine Bewertung sei hier als ‚Schlusswort‘ des vorliegenden Hinweises noch einmal zitiert: „Michalzik bringt diese Zeit zum Sprechen, indem er minutiös recherchiert, was dort geschah, wo Kleist gewesen sein musste. Er arrangiert Berichte von anderen Soldaten, rekonstruiert detailliert, wie man damals Krieg führte, im Krieg lebte, den Krieg erlebte. Aus allem entsteht ein fulminantes Bild des Krieges, in dem gleichzeitig die Physiognomie Kleists sichtbar wird. Präzision im Detail und erzählerischer Elan prägen das Buch durchgehend.“

J.S.

Titelbild

Peter Michalzik: Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher - Biographie.
Propyläen Verlag, Berlin 2011.
557 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783549073247

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