Von Königsberg über Paris nach Berkeley

Judith Butler streitet mit Immanuel Kant und Michel Foucault für die akademische Freiheit

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn es gilt, ihre Position des dekonstruktiven Feminismus stark zu machen, rekurriert die an der University of California Berkeley als Rhetorikprofessorin tätige Philosophin Judith Butler recht gerne auf die Geistesgrößen dieses altehrwürdigen Faches. Dass dies stets kritisch geschieht, versteht sich von selbst. Häufig fallen dabei die Namen Jaques Derrida, Michel Foucault oder Julia Kristeva. In einem schmalen Bändchen der Gender-Forscherin, das unlängst ins deutschsprachige Sortiment flatterte, setzt sie sich nun insbesondere mit dem von einem seiner Zeitgenossen als Alleszermalmer gepriesenen königsberger Transzendentalphilosophen Immanuel Kant auseinander. Allerdings befasst sich Butler in dem nur rund 50 Druckseiten umfassenden Text weniger mit gendertheoretischen Fragen, sondern begibt sich vielmehr auf die Suche nach „überzeugenden Argumente für die akademische Freiheit“, die wiederum nicht zuletzt darin besteht, Kritik üben zu können.

Nun gibt es Butler zufolge zwar „viele Gründe, sich nicht Kant zuzuwenden, um Sinn und Bedeutung von Kritik neu zu fassen“, dennoch scheint es ihr „fruchtbar“ zu sein, einen Blick in Kants Schrift „Der Streit der Fakultäten“ sowie in den „kurzen aber anregenden Aufsatz mit dem Titel ‚Was ist Aufklärung?‘ zu riskieren. Allerdings liest sie diese Schrift mit einer von Michel Foucault geschliffenen Brille auf der Nase, welche „die Bedeutung von Kants Text für unsere […] Zeit“ deutlicher hervortreten lasse.

„Wir büßen sowohl die sokratische als auch die kantische Tradition ein, von Derrida und Foucault ganz zu schweigen, wenn ausgeschlossen wird, genau die Fragen zu fragen, die einen kritischen Standpunkt gegenüber der staatlichen Herrschaft und die durch die Regierung auferlegten Pflichten begründen würden“, warnt Butler. Das mag so sein. Die Universität als Ort der akademischen Freiheit hat allerdings unlängst schon der Kant-Forscher Reinhard Brandt um einiges profunder verteidigt, indem er die Frage beantwortete: „Wozu noch Universitäten?“ Zwar rekurrierte auch er nicht zuletzt auf Kant, doch anders als Butler benutzte er dazu keine fremde Sehhilfe. Auch interessierte sich sein Essay in erster Linie für das deutsche „Hochschul(un)wesen“ nach der Bologna-Reform, während sich Butler auf die US-amerikanischen Lehr- und Forschungsanstalten konzentriert. Insofern haben beide Schriften ihre Berechtigung.

Titelbild

Judith Butler: Kritik, Dissens, Disziplinarität.
Übersetzt aus dem Englischen von Regina Karl, Vera Kaulbarsch,Elias Kreuzmair und Adrian Renner.
Diaphanes Verlag, Zürich 2011.
64 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783037341452

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch