Ausweitung der Kampfzone

Das Bild des modernen Krieges in den Medien

Von Rania GaafarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rania Gaafar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

George Orwells nihilistische Zukunftsvision- "War is Peace. Freedom is Slavery. Ignorance is Strength" (aus "1984") - findet ihren Ausdruck sowohl in politischen Ausnahmesituationen wie zu Kriegszeiten. Dieser Zynismus reflektiert nicht nur die Umkehrung demokratischer Grundideale im bewaffneten Kampf, sondern auch die inhaltliche Verzerrung der Bilder im Zuge einer medialen Wahrnehmung. Diese Wahrnehmung ist das Ergebnis einer kontroversen Kriegsberichterstattung, wie sie zuletzt von den Ereignissen im Kosovo-Krieg bestimmt war. Der Begriff des "chirurgischen Krieges" fiel im Zusammenhang mit dem Kosovo und implizierte einen Angriff auf Jamie Sheas Medienpräsenz im NATO-Hauptquartier in Brüssel. Jamie Shea stand für die täglich vermittelte Legitimation der Angriffe, für die fragwürdigen Ziele der Nato und die angeblichen Belege der Treffsicherheit von "High Technology"-Waffen. Der nachhaltige Eindruck der Bilder verdrängte den Informationswert.

Das Bild des Krieges im Film, in der Literatur und auch in der Fotografie beleuchtet das Kriegserleben aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive. Krieg auf dem Bildschirm wird durch die Konstruktion von Realität im Fernsehen, in der fotografischen Abbildung, in der Literatur und auf der Bühne wahrgenommen, und zwar lediglich durch das Auge der Kamera respektive des Autors. Diesen Anspruch hat auch der Titel der dreibändigen Aufsatzsammlung "Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des modernen Krieges in Literatur, Theater, Fotografie und Film". Der erste Band dieser Publikation führt zunächst mit drei Beiträgen in die inhaltliche und stilistische Darstellung von Krieg in der Literatur ein. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, der Reaktion Deutschlands auf den Burenkrieg 1881 bis 1903 und dem deutschlandfeindlichen Bild in Frankreich nach dem Deutsch-französischen Krieg 1870/71, sowie auf Hugo von Hofmannsthals Kriegspublizistik. Vier zentrale Begriffe bilden im ersten Beitrag das Zentrum der Themenforschung: "Stoff, Sujet, Motiv und Thema". Anhand dieser narrativen Zerlegung wird der Anspruch der Kriegsliteratur problematisiert, ein hohes Maß an Authentizität zu bieten. Insbesondere die detaillierte Schilderung der Erlebnisse ist kontraproduktiv: "Die Präzision, manchmal Überpräzision im Detail enthält keine brauchbare Information über die existentielle Situation der Personen und das Wesen des Phänomens. Der 'Stoff' hat bildhaften Vorstellungsgehalt, aber keine Konkretisierung eines Bedeutungsgehalts." Motive, einerseits im Sinne von Objekten, andererseits als topografische und semantische Räume ("Ostfront, ein U-Boot, Stalingrad, Moskau, Berlin") bergen eine kulturell codierte Bedeutung in sich. Sie werden vom Leser wiedererkannt, und assoziativ verknüpft.

Das Ziel, Krieg mit dem höchstmöglichen Authentizitätsanspruch in Literatur, Fotografie und Film darzustellen, ist Anliegen aller Autoren. Dieses ostentative Realitätskonzept wird in erster Linie durch die Ästhetik der Fotografie und des Filmes begründet. Der Schwerpunkt des zweiten Bandes liegt auf der Rezeption des Zweiten Weltkrieges in der deutschen und englischen Literatur, der Mythenbildung und Selbststilisierung des Soldaten als Möglichkeit, militärische Verluste zu kompensieren. Eingeteilt in die Kapitel "Postmoderne Kriege", "Krieg auf der Bühne" und "Krieg auf der Leinwand" konzentriert sich der dritte Band auf die letzten beiden großen Kriege des ausgehenden 20. Jahrhunderts, den Vietnam- und den Golfkrieg.

Der Beitrag "Der Krieg, die Rolle der Medien und Stanley Kubricks Film `Full Metal Jacket´" schreibt dem Regisseur Stanley Kubrick eine auteur-hafte Annäherung an das amerikanische Kriegserlebnis in Vietnam zu. Im Gegensatz zu Spielbergs"Saving Private Ryan" ist der Aspekt des männlichen Heroismus im Krieg, der geprägt ist vom John Wayne-Image der fünfziger Jahre, in "Full Metal Jacket" vollkommen ausgespart. Die Rekruten werden in ihren intimsten Situationen desavouiert. Mit dem Einsatz von Schauspielern, die ihr eigenes Leben darstellen, zum Beispiel in der Rolle des Ausbilders, schafft Kubrick einen neuen Übergang von der Bildebene zur Wirklichkeit.

Hervorzuheben wäre weiterhin, nicht zuletzt aufgrund ihrer Aktualität, die Abhandlung zum schon beinahe notorisch gebrauchten Begriff des "Information Warfare". Anhand von Computerkriegsspielen wird in den USA und neuerdings auch in Deutschland das Nationalbewusstsein von Jugendlichen in Form aggressiver Kampfhaltungen gegenüber dem virtuellen Feind gefördert. Unter dem Kapitel "Postmoderne Kriege" kristallisieren sich für die beiden Autoren zwei Leitmotive im Kontext "moderner Informations- und Kommunikationstechnik" heraus: "Krieg im Computer (als Medium) und Krieg mit dem Computer (als Waffe)". Der Reiz der virtuellen Waffe scheint darin zu bestehen, Rezipienten hier aktiv werden zu lassen, während der Krieg in den Medien bloß passives Verhalten zuläßt. Computerspiele ermöglichen die virtuell aktive Teilnahme an den internationalen Einsätzen der Militärs. Befürworter dieses virtuellen Kampfeinsatzes war einst Ronald Reagan, der noch ganz unter dem Einfluss des Kalten Krieges und seiner populär gewordenen "Evil empire"-Vision stand. Erschreckende Folge dieser Politik ist die weitgehende Fusion von virtueller Realität und Wirklichkeit. Für das Kriegsspiel "Back to Baghdad" etwa stellte das "US Defense Department" Originalfotos und Satellitenaufnahmen aus dem Golfkrieg zur Verfügung.

Computerspiele werden als "Teil der Rüstungskultur" bezeichnet, die auch die Bundeswehr mittlerweile in ihre PR-Arbeit integriert hat. Last but not least nehmen die Autoren Bezug auf Martin Libicki, einen der wohl wichtigsten Autoren über "Information Warfare". Die Kampfzone der Gegner wird in Bereiche ausgeweitet, die Zivilisten jederzeit zugänglich sind, und es ist dieses langsame Eindringen in den zivilisatorischen Lebensbereich und gleichzeitig in das Bewusstsein, das ein Ende der Schonzeit impliziert und den Lebensraum zur Kampfzone erklärt: "Der neue Krieg verbreitet keinen Schrecken mehr, und genau das ist das Schreckliche daran".

Auf der formalen Ebene haben alle Bände bilinguale Überschriften zu den jeweiligen Kapiteln und je nach der Sprache der Beiträge umgekehrt englische oder deutsche Kurz-Einleitungen. Die breite Themenauswahl eröffnet neben den jüngeren Beispielen USA und Jugoslawien auch die Verarbeitung des Ersten und Zweiten Weltkrieges in der Kultur und Literatur. Die Heterogenität der Beiträge schließt jedoch eine grundlegende Gemeinsamkeit nicht aus: dass die Darstellung des Krieges in jedem Medium letztendlich eine Konstruktion der gesellschaftlichen und politischen Realität bleibt.

Titelbild

Thomas F. Schneider: Kriegserlebnis und Legendenbildung. Band I, II und III.
Rasch Universitätsverlag, Osnabrück 1999.
1150 Seiten, 92,00 EUR.
ISBN-10: 3934005144

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