Warten auf den Tod

Henning Mankells Roman "Der Chronist der Winde"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur intimen Mankell-Kennern dürfte bekannt sein, dass der Autor einen zweiten Wohnsitz in Maputo in Mosambik hat, wo er ein kleines Theater betreibt. So lernen wir eine neue Facette des Autors kennen, der seine eigenen Afrika-Erfahrungen in dem vorliegenden Roman "Der Chronist der Winde" verarbeitet hat.

Es bedarf einer gehörigen Portion schwarzen Humors oder Zynismus, um der Handlung komödiantische Züge abzugewinnen. Vielmehr handelt es sich um eine lupenreine afrikanische Tragödie, wie man sie schlimmer kaum inszenieren kann.

Erzählt wird die Geschichte des im Sterben liegenden zehnjährigen Straßenjungen Nelio, der als kleines Kind mit ansehen musste, wie sein Dorf von Banditen heimgesucht und viele ihm nahestehende Personen getötet wurden. Mit List und Tücke gelingt es ihm, sich aus den Fängen der Bande zu lösen. Auf seiner ziellosen Flucht lernt er einen betagten Albino kennen, der ihn mit afrikanischen Weisheiten versorgt und ihm beibringt, sich auf einen knochenharten Überlebenskampf in der Großstadt einzustellen.

Nelio lernt schnell, sich in der ihm fremden Welt - in der die Gegensätze zwischen Armut und Reichtum gravierend zu Tage treten - zurecht zu finden. Er wird Anführer einer Straßenkinderbande, die sich durch kleinere Diebstähle, Betteleien und ein enormes Improvisationstalent über Wasser hält. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet auf der kleinen Theaterbühne, die die steinalte Dona Esmeralda im Hinterzimmer ihrer Bäckerei betreibt, wird der Straßenjunge Opfer eines Attentats und von zwei Schüssen lebensgefährlich verletzt.

Der angeschossene Nelio weiß, dass er nur noch wenige Tage zu leben hat und beginnt damit, dem Bäcker José Antonio Vaz, der in Mankells Roman als zweiter Ich-Erzähler fungiert, seine Lebensgeschichte zu "beichten". Der Bäcker pflegt den Todkranken unbemerkt von der Außenwelt auf dem Dach der Bäckerei, versorgt seine Wunden notdürftig und bringt ihm Heilung versprechende Kräutermixturen.

Jeden Abend erzählt Nelio einige Sequenzen aus seinem Leben, immer wieder zwischen koma-artigen Fieberanfällen und völliger Geistesgegenwart schwankend. Jeder der acht Nächte ist ein Kapitel gewidmet; das Romanfinale ist vieldeutig "Morgendämmerung" betitelt.

Henning Mankells Roman verbindet den brutalen Überlebenskampf weiter Teile der afrikanischen Bevölkerung mit mythisch anmutenden Legenden der Ureinwohner. Ganz nebenbei liefert er auch einen stimmigen Einblick in die schwankende Gefühlslage seiner Figuren, die durch die häufig wechselnden politischen Machtverhältnisse und die Überbleibsel der blutigen Kolonialherrschaft jegliche Orientierung verloren haben. Aus Voltaires "Candide" hat Mankell seinem Roman das Zitat vorangestellt:"Wenn dies die beste aller Welten ist, wie müssen dann erst die anderen sein?" Nicht oft treffen leitmotivische Sprüche so exakt ins Herz der Handlung.

Titelbild

Henning Mankell: Der Chronist der Winde.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2000.
276 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3552049819

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