Gewusstes und Geahntes

Roland E. Koch lässt in seinem Buch „Dinge, die ich von ihm weiß“ eine fiktive Haushälterin über Bischof Graf von Galen und die Nazizeit plaudern

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Haushälterinnen sind, ähnlich wie Sekretärinnen, eine besondere Spezies, bei der man per definitionem annimmt, und oft mit Recht, dass sie Dinge wissen, die Außenstehende nicht einmal ahnen, oder auch, dass sie die Dinge wissen, die manch Außenstehender auch zu gerne wüsste. Den Haushälterinnen unverheirateter Männer haftet zudem noch ein Hauch heimlicher Geliebter an – dies umso mehr, je jünger und je attraktiver sie in weltlichen Augen sind und je keuscher diese Unverheirateten sind beziehungsweise sein sollten. Insofern ist die Ausgangssituation clever gewählt: Der historische und inzwischen selig gesprochene Bischof Clemens August Graf von Galen wird porträtiert durch eine fiktive Haushälterin, die pikanterweise auch seine Vertraute und Geliebte ist.

Maria, die Bauerstochter mit dem biblischen Namen, Haushälterin des Bischofs von Münster, die zu dessen Vertrauter, Sekretärin, Geliebter und Mutter seiner Tochter avanciert, erzählt aus einer zeitlichen Distanz von 20 Jahren nach dem unerwartet frühen Tod des Bischofs – und nur sie erzählt. Die Erzählperspektive ist eng, intim, fast heimelig, so, als säße man mit der nun alten Maria um den Kaffeetisch und ließe sie plaudern.

Diese Plauderei kennt verschiedene Stufen der Intensität, ist unterschiedlich fesselnd – mal mehr, mal weniger – und zeichnet damit den Grad der Intensität in der Beziehung Marias zu Clau (die kastriert wirkende Abkürzung von Clemens August) nach. Alles andere als harmonisch und über die Zeit (immerhin 13 Jahre) linear, was Nähe und Intensität anbelangt, ist dieses Miteinander, bei dem man mehr als einmal auf den Gedanken kommt, Maria rede sich Vieles schön und der Bischof sei ein ausgemachter Egoist und Egozentriker – und jemand, der es mit dem aufgezwungenen Zölibat (warum wird Keuschheit eigentlich nicht freiwillig praktiziert?) nun wahrlich nicht allzu genau nimmt. Bauerstochter Maria geht mit dem Thema Sexualität naiv-natürlich um, und macht sich zu Beginn ihrer Tätigkeit Gedanken über des Bischofs Umgang mit seiner Männlichkeit, denn sie sieht in erster Linie den Mann, weil sie selbst eine Frau ist, die „sich zuweilen selbst hilft“. Und so entsteht das Bild eines sehr menschlichen, weil durchaus auch zweifelnden, oft unbeherrschten, eigenbrötlerischen Bischofs, der (immer wieder) Verdauungsprobleme hat und der onaniert – letzteres tut er zwar explizit nur ein einziges Mal, aber dafür birgt diese Szene den Wendepunkt in der Beziehung des Bischofs zu seiner Haushälterin, die kurz darauf auch seine Geliebte wird.

Die Welt der Maria ist einfach, besonders dann, wenn sie vom Leben außerhalb der eigenen vier Wände erzählt, wo Vieles, von dem wir heute wissen, dass es im „Dritten Reich“ vor sich gegangen ist, im Raume hängt wie Frühnebel an einem Septembermorgen – verschwommen, unklar, alles andere als konkret und doch irgendwie präsent. Man ahnt es, doch man will es nicht wissen, solange man nicht persönlich betroffen ist. Und so braucht es den persönlichen Bezug, um das Geahnte greifbar werden zu lassen: Marias psychisch kranke Schwägerin verschwindet eines Tages spurlos aus ihrer Anstalt, um einige Zeit später als Aschehäufchen in einer Urne aus dem Osten wieder aufzutauchen.

Einigen der heute politisch so Korrekten mögen diese Schilderungen zu einfach sein – es hätte an Zivilcourage gefehlt, könnten sie wettern. Doch wie viel Zivilcourage ist möglich in einem totalitären System und noch dazu in Kriegszeiten, wo sich jeder selbst der Nächste ist? Und wieviel Zivilcourage dürfen heute die Angehörigen einer freiheitlichen Gesellschaft von den Altvorderen fordern, wenn es auch unsere Gesellschaft sehr an Zivilcourage fehlen lässt?

Die Menschen sind feige, fehlbar, unzulänglich und alles andere als Helden, so die subtile Botschaft des Buches, und auch der Bischof bildet da keine Ausnahme. Schlimm ist dies zunächst nicht, denn es liegt quasi in der Natur der Sache. Traurig ist es dagegen schon, und schlimm wird es, wenn Helden produziert werden, wo doch immer nur Menschen Modell stehen.

Allerdings: Etwas oft kommt es schon, dieses „Wir-haben-es-ja-geahnt-aber-nicht-wissen-Wollen“, das charakteristisch ist für diese Beziehung, so, wie Maria sie schildert. Dabei gilt der historische Bischof, von außen betrachtet, eher als Widerständler, doch das widerspricht sich nicht, denn eine Sache ist, was wir heute wissen, das er getan hat, und eine ganz andere, was wir nicht wissen, was er vielleicht sonst noch hätte tun können. Und so bleibt ein Anflug von bitterem Nachgeschmack zurück in Form einer Mappe, die schlussendlich umsonst zusammengestellt wurde. Darin hatte Clau offenbar belastendes Material gegen andere gesammelt – was er damit vorhatte, bleibt im Dunkeln. Kurz vor seinem Tod übergibt er diese Mappe an Maria – was diese damit soll, bleibt ebenfalls im Dunkeln, denn Maria kann sich ausgerechnet an diese Anweisung – ob sie die Mappe ansehen und verwenden oder aber unter Verschluss halten soll – nicht mehr erinnern, und so blättert sie die Unterlagen zwar durch, lässt sie dann aber liegen. Das passt nicht ganz zu den doch mehrfach geäußerten (aber zugegebenermaßen nicht sehr überzeugenden) Selbstvorwürfen und -zweifeln, zu wenig getan zu haben während des Krieges; es ist wohl eher ein leidlich schlechtes Gewissen, das hier etwas kokett zur Schau gestellt werden soll.

Etwas unglaubwürdig ist der neu ernannte Kardinal dann doch noch kurz vor seinem Tod, als der 68-jährige mit (noch nicht diagnostiziertem) Blinddarmdurchbruch seine Haushälterin ein letztes Mal in sein Bett bittet. Aber was heißt schon unglaubwürdig – Fiktion bedeutet ja lediglich, dass es so gewesen sein könnte, und wer wollte dem widersprechen?

Titelbild

Roland Koch: Dinge, die ich von ihm weiß. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2011.
230 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783937717692

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